Geschäftsleben - Hermann Flörchinger lernt das Gebäck 1972 kennen / Über 2000 Stück keine Seltenheit / Nach traditionellem Rezept

Martinshörnchen gehen immer

Von 
Caroline Scholl
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Bernd (l.) und Hermann Flörchinger sind „Teigflüsterer“ und wahre Experten, wenn es um Martinshörnchen geht. © sz

Ketsch. Ob die beliebten Martinshörnchen ihren Namen in Anlehnung an Martin Luther bekamen, der am 10. November 1483 geboren wurde, oder ob der Ursprung des Traditionsgebäcks in der Form eines Hufeisens des Pferdes von Martin de Tours (dem heiligen Sankt Martin) liegt, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. „Mir waren Martinshörnchen zumindest nicht bekannt, bevor ich 1972 nach Ketsch kam“, erklärt der 80-jährige Hermann Flörchinger.

Als er mit seiner Frau Renate Anfang der 1970er Jahre in der Enderlegemeinde eine Bäckerei eröffnete, war jedoch die Nachfrage nach den mit einer Nussfüllung versehenen Hefehörnchen sofort da. „Karl Dehmer, der damals in Ketsch eine Bäckerei hatte, fertigte die Hörnchen bereits und wir nahmen sie auch mit ins Sortiment auf. In dieser Zeit entstand die Kooperation mit der Kolpingsfamilie und wir lieferten seither die Martinshörnchen für den Laternenzug und für die Kindergärten. Da war es keine Seltenheit, dass in der Backstube über 2000 Hörnchen gebacken wurden“, erinnert sich der ehemalige Inhaber der Bäckerei, die 1995 von seinem Sohn Bernd übernommen wurde.

Früher als sonst anfangen

Nach dem alten Rezept des Vaters fertigt er noch heute die beliebte Leckerei und ist derzeit der einzige Bäcker, der in Ketsch noch eine eigene Backstube hat. „Zu der Martinswoche gehören die Martinshörnchen dazu. In diesem Jahr gibt es zwar Corona-bedingt kein Martinszug, aber einige Kindergärten haben Martinshörnchen geordert, genauso wie die Seniorenheime und manche Pflegedienste. Von daher werden wir in dieser Woche wieder etwas früher als sonst mit dem Backen anfangen, damit niemand auf dieses Traditionsgebäck verzichten muss“, erklärt Bernd Flörchinger, der mit einem weiteren Bäcker und einer Konditorin in der Backstube steht.

Jedes Hörnchen entstehe dabei in Handarbeit und mit dem richtigen Dreh würde das Hörnchen geformt, die Nussfüllung sei obligatorisch. „Als Karl Dehmer längst verstorben war, kam seine Frau Luzia einmal zu uns in die Backstube und sah, wie ich Martinshörnchen fertigte. Sie fragte, ob sie auch noch mal ein Hörnchen rollen dürfe und dabei kamen ihr die Tränen in Erinnerung an ihren verstorbenen Mann, der so viele Jahre ebenfalls in der Martinswoche unzählige Hörnchen formte. Man kann durchaus sagen, gerade für Ketsch haben die Martinshörnchen eine ganz besondere Bedeutung“, sagt Hermann Flörchinger.

Ihm selbst schmecken die Hörnchen auch nach vielen Jahrzehnten noch sehr gut. In der Martinswoche möchte er beim Frühstück nicht darauf verzichten. Und wie geht es Bäckermeister Bernd Flörchinger? Hat er selbst noch Lust auf ein Martinshörnchen, wenn er knapp 2000 Stück in kurzer Zeit gebacken hat? „Martinshörnchen gehen immer. Und wenn sie frisch aus dem Ofen kommen, kann ich nicht widerstehen – das wird sich wohl nie ändern“, sagt der Ketscher und lacht.

Natürlich hoffe er, dass spätestens nächstes Jahr wieder die Kinder mit bunten Laternen durch die Enderlegemeinde ziehen können und sich danach mit einem Martinshörnchen stärken dürfen. „Es ist schade, dass diese Pandemie so viele traditionelle Veranstaltungen unmöglich macht, aber es sollen alle gesund bleiben, das ist am wichtigsten“, ergänzt Bernd Flörchinger und setzt wieder eine ganze Platte voller Martinshörnchen in die Auslage der Bäckerei. Mit oder ohne Laternenumzug – die Martinshörnchen sind beliebt.

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