Central Kino Ketsch

Pandemie befeuert Suchtkrankheiten

Kirchenkino-Film „Der Rausch“ bewegt die Zuschauer. Chefarzt der Kraichtalkliniken Sven E. Seilkopf gibt in dem Film Einblicke in das Thema Alkoholismus.

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Caroline Scholl
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Pfarrer Christian Noeske (v. l.), Gastredner Chefarzt Sven E. Seilkopf von den Kraichtalkliniken und Matthias Rey vom Kirchenkino freuen sich über einen gelungenen Abend im Kino. © Scholl

Ketsch. Mit „Der Rausch“ ist es dem Team des Kirchenkinos erneut gelungen, einen sehr beeindruckenden Film auf die Leinwand des Central Kinos zu bringen und dazu einen höchst kompetenten Gesprächspartner für die sich traditionell anschließende Publikumsdiskussion zu gewinnen.

In „Der Rausch“, unter anderem mit einem Oscar für den besten internationalen Film ausgezeichnet, geht der Protagonist Martin, gespielt von Mads Mikkelsen (bekannt aus „James Bond Casino Royale“ oder „King Arthur“) ein folgenreiches Experiment mit drei seiner Lehrerkollegen ein.

Sie möchten eine Promille-Theorie ausprobieren, bei der sie durch Alkoholkonsum ihren Blutalkoholwert tagsüber konstant bei 0,5 Promille halten. Was zunächst ein scheinbar positives Ergebnis hat, wird bald zum Problem und die negativen Auswirkungen lassen nicht lange auf sich warten.

„Der Film zeigt sehr deutlich und sehr authentisch eine Vielzahl der Facetten, die eine Alkoholsucht mit sich bringt: Von den möglichen Auslösern, dem leichten Zugang, der gesellschaftlichen Akzeptant von Alkohol. Zunächst ist die Konsumerfahrung positiv, man möchte diese Erfahrung wieder und will immer mehr, bis man dann schließlich nicht nur sprichwörtlich in die Knie geht, wenn man die Kontrolle über den Konsum verliert“, bilanziert Dr. Seilkopf, Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialmedizin und Suchtmedizin direkt nach dem Film.

So sei das vermeindlich entspannende und stimmungsanregende Gefühl, welches sich nach dem Alkoholkonsum einstelle, zunächst zwar vorhanden, doch dies schlage schnell um in unmittelbare negative Wirkungen mit verheerenden Folgen auf Körper und Psyche mit Langzeitfolgen.

„Ein Problem und ein Unterschied zu anderen Suchtmitteln ist, dass der Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft eine hohe Akzeptanz hat. Alkohol ist sehr leicht verfügbar und wird quasi überall angeboten. Kaum ein Empfang, auf der nicht ein Glas Sekt gereicht wird, und feiern ohne Alkohol ist für viele schon in der Jugend kaum denkbar, doch auch ältere Menschen sind suchtgefährdet“, erklärt der Mediziner.

Doch ab wann spreche man von Alkoholsucht, so lautet eine Frage aus dem Publikum, die auch aus dem Film hevorgeht: „Problematisch wird es dann, wenn der kontrollierte Konsum nicht mehr möglich ist, und auch wenn das Trinken zum Kontrollverlust führt. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand täglich oder zwar mit Pausen, aber in gewisser Regelmäßigkeit trinkt und dabei die Kontrolle verliert“, so der erfahrene Suchtmediziner. In den Kraichtalkliniken seien die rund 170 Betten dauerhaft belegt, denn die Tendenz zu Suchterkrankungen sei in den letzten Jahren aus seiner Erfahrung heraus stark gestiegen und werde durch die Pandemie als Belastungssituation zusätzlich befeuert.

„Warum bleiben manche Menschen ein Leben lang Genusstrinker und warum schlägt dies bei anderen um“, so die Frage einer weiteren Zuschauerin, die Dr. Seilkopf wie folgt beantwortet: „Es gibt viele Faktoren, die dies beeinflussen. Man weiß heute, dass ein gewisses genetisches Risiko, also ein Prädisposition, eine Rolle spielen kann, denn es gibt oft Familien, in denen Suchterkrankungen mehrfach auftreten. Dann spielt die emotionale Stabilität eine Rolle und natürlich die eigene Psyche und die Einbindung in das soziale Umfeld.“

Hemmschwelle für Hilfe

So geraten Suchtgefährdete oft unter Druck und versuchen, ihre Sucht oft zu verheimlichen. „Süchtige schämen sich regelrecht und die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen, ist groß. Was ist, wenn mich jemand beispielsweise in einer Selbsthilfegruppe sieht? Oft bemerkt die Familie oder das soziale Umfeld die Sucht, alle sprechen über den Betroffenen, aber leider selten spricht jemand mit dem Betroffenen. Dass sie sich dies gewünscht hätten, sagen mir Betroffene in der Therapie sehr oft. Mein Rat lautet: Sprechen sie das Thema offen an, schauen sie nicht weg. Wir haben eines der besten, wenn nicht Europas bestes Suchthilfesystem. Doch leider schaffen es dann tatsächlich nur 50 Prozent der sogenannten ‚trockenen Alkoholiker’ dauerhaft, abstinent zu bleiben“, weiß der Suchtmediziner.

Dies liege beispielsweise am leichten Zugang zum Alkohol, der quasi omnipräsent sei, und am sogenannten Suchtgedächtnis, dass systematisch den kontrollierten Umgang mit Alkohol verlernt habe. „Leider haben Abstinente keine Lobby. Wer nicht mittrinkt, gehöre nicht dazu, wer am meisten verträgt, sei der Held. Dies ist leider oft so verankert und kein vernünftiger Umgang mit dem Thema. Ein Teil der Therapie für Suchtkranke ist das sogenannte ,Ablehntraining’. Bis jemand von der Einstellung ,ich darf nicht mehr’ bis zu ,ich will nicht mehr’ kommt, ist es ein weiter Weg. Auch das ,Sich-Outen’ als Suchtkranker ist ein großer und herausfordernder Schritt, aber sehr wichtig“, führt Seilkopf weiter aus.

Ob er je erlebt hätte, dass es jemand geschafft habe, vom Alkoholiker wieder zum kontrollierten Trinken zu kommen, möchte ein Kinobesucher wissen. „Dazu kann ich nur sagen, dies habe ich in 30 Jahren nie erlebt. Alkoholiker bleibt jemand für immer, lediglich der Aggregatszustand ändert sich“, so Seilkopf.

Freie Autorin Freie Journalistin für die Region Rhein-Neckar

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