Schwetzingen/Ketsch. Lothar Benzel kennt die Reaktionen, die sich regen, wenn an einem Ort Sand und Kies abgebaut werden sollen. Er ist Referent unter anderem für Rohstoffsicherung beim Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg (Iste). Allerdings: „Die Situation ist relativ prekär“, sagt der Diplom-Ingenieur. Denn in der Rhein-Neckar-Region werde wie andernorts auch viel gebaut, doch die Rohstoffe dafür, also Sand und Kies, müssten nahezu vollständig von außerhalb zugeführt werden.
Im Gewann Entenpfuhl möchte die Firma Heinrich Krieger KG über 35 Jahre hinweg Sand und Kies abbauen (wir berichteten mehrfach). Und schnell regte sich bei Bekanntwerden Widerstand, schließlich müssten 42 Hektar Wald abgeholzt werden.
Weder die Anrainergemeinde Ketsch möchte ein Betonwerk noch die Ende Oktober in Schwetzingen gegründete Bürgerinitiative mit Vertretern fast aller Parteien, von Umweltorganisationen und Bürgern. Zumal auch die Trinkwasserversorgung mit Sorge beäugt wird: Es gibt einen konkurrierenden Antrag beim zuständigen Landratsamt in Heidelberg um Erweiterung des Trinkwasserschutzgebiets auf den anvisierten Bereich. Bei entsprechenden Vorhaben, ob aktuell bei Konstanz oder Ravensburg, seien die Gegner schnell auf dem Plan. Rohstoffabbau will aus verschiedenen Gründen niemand in seiner Nähe.
Nur einen nennenswerten Abbau
Aber Lothar Benzel weiß über ein Standortsterben und folglich über „Verknappungserscheinungen“ von Sand im Bundesland zu berichten, insbesondere zwischen Karlsruhe und Mannheim. Die Pläne zur Roh-stoffsicherung wurden in den be-troffenen Regionen 2014 und 2015 zwar verbindlich – der Regionalplan der Metropolregion Rhein-Neckar im Dezember 2014 – doch gemäß einer Umfrage des Verbands sei auf dieser Basis lediglich eine Flächen-erweiterung genehmigt worden.
In der Rhein-Neckar-Region gebe es nur noch einen nennenswerten Abbau, sagt Benzel, nachdem 2011 der Abbau der Heidelberg-Cement-Gruppe auf der Kollerinsel geschlossen worden sei. Und tatsächlich weisen auch die Zahlen zur Rohstoffgewinnung (nicht nur für Kies und Sand) des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau für Rhein-Neckar einen stetigen Rückgang der Fördermengen aus.
Von Selbstversorgung in Sachen Kies und Sand, das strebt Iste an, ist Rhein-Neckar jedenfalls weit entfernt. Die Rohstoffe für den Bauboom würden aus dem Kreis Karlsruhe und Rastatt in den Norden transportiert, eine gewisse Menge komme auch aus der Pfalz, weiß der Iste-Referent. Gleichwohl: „Der Druck wird größer“, sagt Benzel, „es ist mal ein Neuaufschluss erforderlich“.
Hausgemachtes Problem
Wenn der Sand (Gestein mit einem Durchmesser zwischen 0,063 und 2 Millimetern) knapp wird, wovor die Iste warnt, ist das ein hausgemachtes Problem. Denn prinzipiell verfügt Baden-Württemberg, ja ganz Deutschland, über ausreichend Sand- und Kiesvorkommen. Nur sind in Baden-Württemberg mögliche Stätten schwer nutzbar zu machen. Ein Gutteil der Vorkommen liegt in Naturschutzgebieten, im Bereich der Wohn- und Gewerbebebauung oder unter Verkehrswegen wie Straßen und Schienen. 85 Prozent der Flächen in Baden-Württemberg sind damit bereits verplant oder genutzt. Und sind geeignete Stellen für den Sand- und Kiesabbau gefunden, gestaltet sich die Genehmigung schwierig, weil langwierig. Vom Antrag von Unternehmen bis zum Abbaubeginn von Sand- und Kieswerken vergehen mitunter zehn Jahre. Die offene Abbaufläche in Baden-Württemberg umfasst ledig-lich 0,18 Prozent der Landesfläche.
Lothar Benzel wirbt als Iste-Vertreter für einen Kies- und Sandabbau im Entenpfuhl. Befürchtungen, die auf Gemarkung Schwetzingen geförderten Rohstoffe würden exportiert, weist er ab. „In Rhein-Neckar ist es ja wie in einem Vakuum. Es wird der Nahraum versorgt werden.“ Der Markt werde das günstigere Produkt nachfragen und das komme dann von der Firma Krieger. Generell sei ein Transportweg ab etwa 50 Kilometern nicht mehr lukrativ. Auch der Export beispielsweise in die Schweiz werde von Werken übernommen, die nicht weiter als rund 30 bis 50 Kilometer von der Grenze entfernt seien.
Die Firma Krieger werde ein Bündel von Bedenken abarbeiten müssen. Dabei erfolge jedoch beispielsweise beim Thema Wald, der gerodet wird, ein Ausgleich. „Das ist ja eigentlich ein Nullsummenspiel“, sagt Lothar Benzel. Sollte ein Wald-ausgleich nicht möglich sein, werde es auch keine Genehmigung geben. Umweltschützern hält er entgegen, dass der aktuelle Trend des Stand-ortsterbens beim Sand- und Kiesab-bau für Treibhausgase sorgt: „Jedes Werk, das stirbt, löst zusätzlich Ver-kehr aus.“
Zumal man Sand und Kies weiterhin als Primärstoff für die Baubranche in großen Mengen benötigen werde – für Beton. „Sie können Natursand nicht zu 100 Prozent ersetzen.“ Man sei heutzutage gezwungen, Flächen zu sparen, also werde eine Verdichtung, eine Innenentwicklung in Städten empfohlen. Dafür seien hochwertige Produkte notwendig, wolle man statt in die Breite in die Höhe bauen.
Mit den Bau- und Abbruchabfällen, die recycelt werden, könne man nur rund zehn Prozent (siehe Grafik) des erforderlichen Rohstoffbedarfs abdecken. Der liege in Baden-Württemberg jährlich bei rund 100 Millionen Tonnen. Der Bauschutt und Straßenaufbruch, der wiederverwertet werde, belaufe sich auf über 90 Prozent. Das sei auch in der Abfall-bilanz Baden-Württemberg nachzulesen, sagt Benzel. In der Tat: Für 2018 steht da eine Quote von 96 Prozent. „Wir sind die Branche mit der höchsten Wiederverwertungsquote“, sagt Lothar Benzel.
Noch fast am Anfang
Das sieht Florian Knappe vom Insti-tut für Energie- und Umweltfor-schung in Heidelberg (ifeu) anders. Der Diplom-Geograf ist Experte für Kreislaufwirtschaft. Und da befinde man sich in Baden-Württemberg, wie in ganz Deutschland, am Anfang, obwohl sie in der Theorie schon lange existiere. Florian Knappe startet bei der Rezeptur für Beton. Er baut die Zutaten auf dem Tisch auf. Steine und Sand, Zement, Wasser und etwas Bauchemie.
Bei Steinen und Sand sei für R-Beton ein Zuschlag von bis zu 45 Prozent aus dem Recycling möglich. Deshalb: „Wir bauen mehr als wir abreißen. Man wird immer neuen Sand und Kies brauchen. Die Frage ist nur: wie viel?“ Florian Knappe zeichnet ein Schaubild. Erdbau, Straßen- und Wegebau sowie Hochbau steht da. Dann zeichnet er Pfeile, die wieder zu Erdbau, Straßen- und Wegebau sowie Hochbau möglichst in dicker Ausführung führen sollen. Doch sie fallen bescheiden aus. Den Pfeil von Hochbau zu Hochbau malt er so dünn, wie er nur kann (in der Grafik 0,07 Millionen Tonnen), denn der Anteil an recycelter Gesteinskörnungen für Beton beträgt derzeit nur rund 0,8 Prozent.
Mit dem Schaubild verdeutlicht Florian Knappe, dass noch zu viel Bau- und Abbruchabfall auf Deponien landet oder für Verfüllungen und Rekultivierungen eingesetzt wird – mehr als sein müsste. Auch landen ihm zu viele Abfälle des Hochbaus lediglich im Erdbau und werden für Dämme, Wälle und Auffüllungen eingesetzt.
Florian Knappe berichtet von nur drei Betonwerken im Ländle, die R-Beton offerieren, eines davon übrigens in Mannheim. Dort habe ein Pilotprojekt gezeigt, bei dem der Bauschuttaufbereiter und das Transportbetonwerk nur wenige hundert Meter auseinanderlagen, dass neben dem ökologischen Plus beim Einsatz von R-Beton auch wirtschaftliche Gründe für eine Umstellung sprechen können. In Ballungszentren, wo der Bauboom vor allem sichtbar ist, böten sich gute Bedingungen, um vermehrt mit R-Beton zu bauen. Bei der Innenverdichtung falle beim Abbruch alter Gebäude viel Abfall an, während gleichzeitig eine große Menge Baustoffe nachgefragt würden. Die Wege für den Transport seien also entsprechend kurz.
Dennoch: Damit sukzessive mehr R-Beton zum Einsatz kommt, müsse auf der Nachfrageseite etwas passieren. Es brauche Anreize, die freilich aufwendige Recycling-Prozedur vorzuhalten. Für derlei Anreize ist nicht zuletzt der öffentliche Sektor prädestiniert. Die Stadt Karlsruhe etwa mache sich für die Verwendung von R-Beton stark. Das Hochbauamt schreibe auf Basis erfolgreicher Erstprojekte mittlerweile alle Bauleistungen in R-Beton aus. Florian Knappe nennt zudem Berlin, wo Neubauten oder Komplettmodernisierungen von Unterrichts-, Büro-, Verwaltungs- sowie Laborgebäuden des Landes, deren Volumen zehn Millionen Euro überschreite, verpflichtend den Einsatz von R-Beton vor.
Dass es funktioniert, mache die Schweiz vor, sagt Knappe. Dort sei vor 20 Jahren die in Deutschland entwickelte Idee und das zugehörige Regelwerk für R-Beton aufgegriffen und in die Praxis umgesetzt worden. Rund 15 Prozent der Beton-Nachfrage im Nachbarland werde heute mit R-Beton befriedigt. Und: „Dort wird erst von Recycling-Beton gesprochen, wenn die RC-Gesteinskörnung mindestens 20 Prozent beträgt“, sagt Florian Knappe.
Hintergrund: R-Beton
Mineralische Abfälle stellen den größten Teil des Bauabfalls dar.
Bisher werden die aufbereiteten Werkstoffe überwiegend für Anwendungen eingesetzt, die nicht gleichwertig sind, also im Tief- oder Wegebau.
Das Potenzial zur Herstellung hochwertiger Werkstoffe wie Beton wird fast nicht genutzt.
R-Beton ist ein innovativer Baustoff. Als rezyklierte Gesteinskörnung (RC-Gesteinskörnung) können alte Baustoffe aus dem Hochbau wieder in den Hochbau gelangen, indem man sie zu Baustoffen für die Beton- und Zementproduktion aufbereitet.
Es gibt bisher nur wenige Transportbetonwerke, die R-Beton herstellen. mab
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