Ketsch. Mit ihrem beigen Bürzel, den verblüffend langen roten Stelzen und dem rotbraunen Ring um die Augen – ähnlich einem Monokel – wirken sie harmlos, fast schon wie die Professoren der Vogelwelt: die ägyptischen Nilgänse. Doch wie ein „Wolf im Schafspelz“ ist die invasive Art von einem Charakter geprägt, der quasi das Gegenteil ihres Aussehen widerspiegelt: dreist, laut, aggressiv und ohne Scheu vor Menschen. Dies musste der Ketscher Werner Groen am vergangenen Wochenende erfahren.
Groen wohnt in der Ortsmitte der Enderlegemeinde, nennt einen größeren Garten samt Teich und Pool sein Eigen. Als er am Samstagvormittag in eben jene Grünanlage blickte, traute er kaum seinen Augen: Zwei ägyptische Nilgänse samt Nachwuchs haben es sich in seinem Teich bequem gemacht und waren drauf und dran, auch den Pool für sich einzunehmen.
Nilgänse erobern Ketsch: Vom Zedernbaum geht es in den Pool
„Das war ja anfangs noch ganz süß, doch da wusste ich noch nicht, was für ein Theater das noch geben wird“, beschreibt der Ketscher, wie er die Situation zunächst bewertete. Doch noch mal zurück zum Anfang: Bereits am Freitag hat Groens Nachbarin die Wildvögel in ihrem fast 20 Meter hohem Zedernbaum bemerkt. Eine durchaus gängige Beobachtung, sind die Tiere doch bekannt, an hohen Stellen zu brüten.
Die Ägyptische Nilgans
- Die Ägyptische Nilgans gilt als häufigster afrotropischer Entenvogel.
- Von den Niederlanden aus breitet sich die invasive Art seit einigen Jahren über ganz Mitteleuropa aus und ist auch in von Menschen frequentierten Orten anzutreffen.
- Mit ihrer Anpassungsfähigkeit und dem aggressiven Verhalten stellt die Nilgans eine Bedrohung für die heimische Vogelwelt dar.
- Die Nilgans setzt alle drei bis vier Minuten Kot ab, um flugfähig zu bleiben.
„Doch aus irgendeinem Grund haben sie sich entschieden, in meinen Garten umzusiedeln. Eventuell ist eines der Küken aus dem Nest gefallen, zu mir rübergelaufen und dann ist die ganze Schar hinterher“, mutmaßt Groen. Mit Schar sind die beiden Elterntiere sowie zwei Küken gemeint. Was sich zunächst harmlos anhört, wurde von einigen äußeren Einflüssen schnell problematisch. Der Ketscher ist Hundebesitzer und in der Nachbarschaft liegt das Revier einiger frei laufenden Katzen.
„Das war ein Gekreische, die Nilgänse sind so schon ständig am Schnattern. Als sich dann eine Katze genähert hat, gingen die beiden Großen sofort in Angriffsstellung und es gab ein Riesentheater im Garten“, erinnert sich Groen, der die Situation samstags noch recht lustig fand. Doch als die Gansfamilie am folgenden Tag noch immer die Herrschaft über Pool und Teich innehatte, ergriff er die Initiative.
Lärm kaum zu ertragen: In Ketsch hallt das Geschnatter der Nilgänse durch die Gärten
Denn bei allem Spaß, der zu Beginn mit den tierischen Besuchern verbunden war, bedeutete die Anwesenheit der Nilgänse auch ein dauerhaftes und lautes Geschnatter rund um die Uhr. „Außerdem kann man sich nicht vorstellen, was die Tiere an Dreck machen. Zusätzlich haben wir in unserem Teich Kois, die von den Vögeln durch Picken malträtiert wurden.“
Doch was tun? Die Nilgänse schienen es sich in Groens Garten bequem gemacht zu haben. „Ich habe zunächst bei der Polizei angerufen, die mir in diesem Fall nicht weiterhelfen konnte. Gleiches gilt für die Tiernotrettung, die zwar äußerst freundlich war, aber ebenfalls nicht vorbeikommen wollte“, berichtet Groen. Nun war guter Rat teuer, die Tiere würden sich allein schon aufgrund ihres Charakters nicht einfangen lassen, Versuche wurden mit äußerster Aggressivität gestraft.
„Im Endeffekt ist man in einer solchen Situation alleine, es gab keine Anlaufstelle, die einem helfen konnte“, so der Ketscher konsterniert. Denn auch am Montagmorgen waren die Gänse noch nicht abgezogen. Die Gemeinde hatte genauso wenig einen Rat wie der Revierförster. „Man konnte nur beten, dass die Gänse bald weiterziehen.“
Mit dem Nachwuchs ist es für die Nilgänse schwer, aus dem Ketscher Garten zu fliegen
Und diese Gebete wurden noch am Montag erhört – und das recht kurios, wie Groen seine Beobachtungen beschreibt: „Irgendwann sah ich, dass eine der Gänse auf dem Dach meines Schuppens saß, die andere unten vor meinem Gartengitter“. Dadurch, dass die Vögel ihren Nachwuchs dabeihatten, war es wohl schwierig, aus dem abgezäunten Bereich zu entfliehen.
Doch die Wildtiere wussten sich Abhilfe zu schaffen: „Mit einem ordentlichen Rumms lief die große Gans gegen das Gitter und brachte es damit zum Einsturz. Kurze Zeit später war die Familie dann auf dem Nachbargrundstück und hat dort weitergeschnattert. Ich habe schnell das Gitter wieder verschlossen“, berichtet Groen.
Doch was sich wie eine kuriose Geschichte anhört, hinterlässt den Ketscher doch etwas ratlos – Was soll man in einer solchen Situation machen? Die möglichen Anlaufstellen hat Groen abtelefoniert – ohne Ergebnis. In der Ketscher Gemeinderatssitzung beschrieb Grünen-Rat Günter Martin die Situation und Bürgermeister Wangler versicherte, dass sich die Gemeinde über Hilfe informieren werde, was auch Hauptamtsleiter Ulrich Knörzer im Nachgang nochmals betonte.
Hockenheimer Biologe: Eine Maßnahme wäre, den Pool abzudecken
Auch der Hockenheimer Biologe Uwe Heidenreich wusste auf Anfrage dieser Zeitung kein Patentrezept. „Man sollte seinen Pool abdecken“, empfiehlt Heidenreich. Gleichzeitig betont er, dass die Ägyptischen Nilgänse schnell zur Plage werden können. „Sie sind sehr aggressiv und verdrängen andere heimische Wasservögel wie Enten.“ Ein Beispiel für die Dreistigkeit der invasiven Art hat der Biologe ebenfalls parat: Erst im Februar 2023 machte es sich eine Nilgans im Hockenheimer Storchennest bequem. „Das war ein Theater, als die Störche ihre Brutstätte beziehen wollten“, erinnert er sich.
Der Jagdverband Baden-Württemberg sieht eine Situation, wie sie Werner Groen erlebte, als eher unproblematisch. Auf Nachfrage lässt dieser wissen: „Die Nilgänse sind nun mal Wildtiere und lassen sich nieder, wo sie möchten. Vor allem Gewässer, wie in diesem Fall der Pool, und gemähter Rasen zieht diese wie magisch an.“
Urbaner Lebensraum wie in Ketsch ist für die Nilgänse ein willkommener Ort
Die Nilgänse wurden seit dem Wochenende schon mehrfach auf Dächern in der Ketscher Ortsmitte gesichtet. Ein Bild, an das man sich in der Enderlegemeinde eventuell gewöhnen muss. „Diese Art ist sehr anpassungsfähig und der urbane Raum ist eine perfekte Nahrungsquelle. Nilgänse können sehr weite Strecken laufen und haben keine Berührungsängste mit Menschen. Man darf nicht vergessen, dass sie als Nachfahren von Zuchttieren aus der Gefangenschaft kommen und dementsprechend wenig scheu sind“, lässt der Jagdverband wissen.
Doch was man tun kann, um die Nilgänse zu vergrämen, bleibt weiter offen. Dafür gibt es wohl auch keine Lösung: „Man muss die Ruhe bewahren, den Tieren ihren Frieden lassen und warten, bis sie weiterziehen“, so der Tipp des Jagdverbandes. Heißt: Das Schnattern am laufenden Band, das Kampfgebahren mit Katz und Hund sowie der viele Dreck müssen einfach ausgesessen werden – Geduld ist also das oberste Gebot.
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