Speyer. Für den achtjährigen Fabian kam der große Glücksmoment gestern Nachmittag gegen 15 Uhr auf der Klipfelsau. Da war ein sechs Meter hoher Riese im Anmarsch, auf den der Junge zwei Jahre lang gewartet hat. Die Schneemannverbrennung in Speyer konnte gestern laufen. Frühlingsgefühle stellten sich gleich doppelt ein.
„Das war richtig blöd“, kommentierte Fabian, dass der Verkehrsverein Speyer und dessen Veranstaltungs GmbH sowohl 2020 als auch 2021 keinen Sommertagszug organisieren konnte. Schon als Kindergartenkind ist der junge Domstädter dabei gewesen, dann als Erstklässler wieder. Darüber nachdenken, was Fabian am Besten gefällt, muss er nicht: „Wenn der Schneemann brennt.“
Obgleich sich einige der Allerjüngsten nicht unbedingt mit dem Anblick des flackernden Wintersymbols anfreunden konnten: Die Mehrheit der kleinen und großen Zuschauer freuten sich über den Brauch, der wieder auflebte. „Ich hab mit meiner Oma zum ersten Mal selbst einen Sommertagsstecken gebastelt“, sagte Emilia (7), die sich mit ihrer Familie einen Platz in der ersten Reihe auf der Klipfelsau gesichert hatte und stolz ihren mit bunten Bändern umwickelten Stab samt einer dicken Hefebrezel auf der Spitze zeigte. Dass Tradition offensichtlich verpflichtet, bewies die Anzahl vieler weiterer Stecken, die vom Nachwuchs munter in der Luft geschwenkt wurde.
Marlons Brezel, kurz zuvor an einem Verkaufsstand erworben, hatte den Einzug des Schneemanns nicht mehr in voller Größe überlebt. Dem Sechsjährigen, der mit seinen Eltern aus Ludwigshafen gekommen war, gefiel nicht nur der blütenweiße Geselle. „Ich finde die Kostüme toll“, verriet der Grundschüler. Vor Corona seien sie jedes Jahr zum Lätarezug nach Speyer gefahren, ergänzte sein Papa Thomas Tiefenacker.
So viel Farbe die Kostümierungen auch dem ohnehin sonnigen Tag verliehen, so viel Botschaft steckte dahinter. Friedenstauben wurden auf die Reise geschickt, Peace-Zeichen waren zu sehen und Luftballons in Blau und Gelb zeigten die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine.
Mit heißer Nadel gestrickt worden war die Veranstaltung in diesem Jahr. Schuld daran war die kurze Vorlaufzeit, die den Organisatoren des Verkehrsvereins, allen voran der federführend verantwortlichen Esther Wedekind-Razvi, geblieben war. Erst nach einem Gespräch mit Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler (SPD) am 17. Februar stand fest, dass der Umzug stattfinden kann.
Für Luisa eine Premiere
Nicht ins Gewicht fiel für das Publikum, dass der bunte Lindwurm kleiner ausfiel als in der Vergangenheit. „Wir haben uns so sehr gefreut, dass überhaupt etwas möglich war“, versicherte Mariella Dauber, die mit ihren Kindern Luisa (2), Max (6) und Emil (8) unter den Zuschauern war. Die verordnete Maskenpflicht war für sie kein Problem. Gerade für den jüngsten Spross war die Winteraustreibung ein besonderes Erlebnis – Luisa feierte Premiere bei der Begegnung mit dem Schneemann. Der war stattlich wie eh und je dank der professionellen „Polsterung“ durch die Bauhofmitarbeiter mit rund 30 Strohballen, Balken und Holzleisten.
Angekündigt vom Fanfarenzug Rot-Weiß Speyer zogen die Akteure auf der Klipfelsau ein. Die Blaskapelle Schwegenheim war wiederum treuer Begleiter und schickte dem Schneemann ein gefühlvolles „Winter ade“ hinterher. Der Chor der Klostergrundschule gestaltete das kleine Programm gesanglich mit fröhlichen Frühlingsmelodien.
Dass der Schneemann – wie in der Vergangenheit von den Schwarzwälder Pferden Mirko und Mona am Zügel von Fritz Herrmann aus Haßloch gezogen – optimal in Flammen aufging, war das Verdienst der Fachleute von der Speyerer Feuerwehr, die ebenso wie das THW für die Sicherheit vor Ort zuständig waren. Gut zehn Minuten dauerte es, dann war von dem weißen Riesen kaum mehr als ein Gerippe übrig. Der Frühling ließ bereits sein blaues Band mit voller Sonnenkraft flattern …
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