Ketsch. Gleich zu Beginn: der Waschbär gehört zu den Sympathieträgern. Mit seiner charakteristisch schwarz gefärbten Gesichtsmaske, im Stile eines Zorros, die sich scharf von dem umgebenden weißen Fell absetzt, produziert er bei den allermeisten Betrachtern wohl ein Lächeln ins Gesicht. Doch, und das gehört zur Wahrheit, das gilt nicht für jeden. In den Augen nicht wenige Menschen stellt er eine Bedrohung für die heimische Tierart dar. Vor allem Bodenbrüter und anderen kleinen Tieren wie Salamander und Kröten rückt der Kleinbär auf die Pelle.
Das endgültige Bild wird aber auch hier nicht erstellt. Zu ungenau ist das Bild, das zwischen den verschiedenen Fraktionen entsteht. Sicher ist aber, dass der nordamerikanische Waschbär auch in Ketsch angekommen ist und sich vermehrt. Die Lebensbedingungen für den Waschbär, so der passionierte, auch für die Enderlegemeinde zuständige Jäger Gerhard Herm, seien hier ideal. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass er die zunehmende Ausbreitung dieses Kleinbären nicht gerne sieht, ja, ihm sogar Sorgen bereitet.
Vom Menschen eingeschleppt
Der Waschbär ist ein Neozoon. Das heißt, er gehört zu den Arten, die sich durch menschliche Einflussnahme, bewusst oder unbewusst, in einem Gebiet etablieren konnten, in dem sie zuvor nicht heimisch waren.
Die ersten Exemplare kamen zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Nordamerika als Teil der Pelzproduktion nach Europa. Alle hier vorkommenden Bären gehen auf Tiere zurück, die aus Pelztierfarmen entkommen sind oder ausgesetzt wurden.
Sie machen vor nichts halt
Ein kleines Fanal war die Aussetzung zweier Waschbärenpaare im Jahr 1934 am hessischen Edersee. Anfang der 1960er Jahre zählte man dort schon über 600 Nachkommen. Schon damals wurde er bejagt, was die weitere Ausbreitung aber kaum zu bremsen schien.
Die nachtaktiven Tiere, so Herm, seien enorm anpassungsfähig und klug. Schätzungen gehen davon aus, dass sein Bestand in Deutschland mittlerweile auf mehrere 100 000 Exemplare angewachsen ist. Dabei, so Herm, habe er kaum natürlichen Feinde.
Die Populationsentwicklung werde zum Problem für andere Tiere. Der geschickte Allesfresser mache vor nichts Halt und auf der Rheininsel könnte er Bodenbrüter bedrohen. Auch der Naturschutz Bund (Nabu) räumt in einem Text auf seiner Homepage ein, dass es „Belege über lokal negative Auswirkungen des Waschbären auf die heimische Tierart gebe“. Vor allem für bodenbrütende Kiebitze, verschiedene Amphibien aber auch den Rotmilan könnten Waschbären zum Problem werden.
Weiter heißt es da jedoch, dass es erfolgversprechender wäre, die Lebensräume insgesamt besser zu schützen, als den Waschbären zu jagen. Die Artenvielfalt werde mehr durch Zersiedelung und intensive Landwirtschaft als von einem Neozoon bedroht.
Für Herm, der jeden Tag im Revier unterwegs ist, stellt sich die Situation anders dar. Natürlich seien die Arten aus vielerlei Gründen unter Druck. Aber der Waschbär sei deswegen keine Nicht-Gefahr. Ganz im Gegenteil, Vermehrungsrate und seine Fähigkeit sich anzupassen, könnte vielen heimischen Arten zum Verhängnis werden. Das Ziel, die heimische Fauna zu bereichern, das damals bei der Aussetzung der beiden Waschbärenpaare am Edersee ausgegeben wurde, klingt in den Ohren Herms wie Hohn.
Für die heimische Artenvielfalt bedeute der Waschbär jedenfalls nichts Gutes. Deshalb wird er seit 2016 auch auf der EU-Liste der gebietsfremden Arten geführt. Herm lässt keinen Zweifel daran, dass diese Art möglichst umfassend eingehegt werden müsse.
Im Auge des Hurrikans
Er befindet sich mit dem Problem in Sachen Neozoon im Auge eines Hurrikans. Es ist oberflächlich zwar relativ ruhig, doch die Dinge um Fauna und Flora sind im Zuge der Globalisierung der Waren- und Tourismusströme sowie dem Klimawandel gehörig in Bewegung geraten. Ein weiteres Beispiel ist die asiatische Tigermücke, die durch den weltweiten Warentransport und die intensive Reisetätigkeit in den vergangenen drei Jahrzehnte weltweit verschleppt wurden. Dabei sorgt der Klimawandel dafür, dass sich solche Arten auch in für sie früher unwirtlichen Arealen wie Deutschland heimisch fühlen und sich stabile Populationen bilden.
Wie beim Zauberlehrling
Wie damit umzugehen ist, wird hefig diskutiert. Dabei ist der Klimawandel auch ganz allein zum mächtigen Schwungrad für die Habitatswanderung der Arten geworden. Nicht alle Veränderungen sind aufzuhalten und nicht alle sind für die Artenvielfalt schlecht. Dass die heimische Artenvielfalt schützenswert ist, scheint allgemeiner Konsens zu sein.
Doch sämtliche Waschbären in Deutschland – damit auch in der Enderlegemeinde – zu erlegen, erscheint durchweg unrealistisch und wirft ethisch nicht ganz einfache Fragen zur Bejagung von Tieren auf. Aber die Natur, unter den von Menschen veränderten Bedingungen, einfach machen zu lassen, erscheint vielen Experten ebenfalls nicht richtig.
Die Problematik erinnert ein wenig an Goethes Zauberlehrling. Immer wieder agiert der Mensch in hochkomplexen Gefügen mit unterkomplexem Verständnis. Am Ende bleibt wohl nur, das Minus zu begrenzen und genau das will Herm tun, indem er der Ausbreitung des Waschbären entgegentritt und ihn zum Wohle der heimischen Tiere dezidiert von der Rheininsel fernhalten will.
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