Geflüchtete in der Enderlegemeinde

Wie ein afghanischer Journalist mit der Familie nach Ketsch floh

Samiullah Sayhoon musste mit seiner Familie Afghanistan verlassen, weil er sich als Journalist in großer Gefahr befand. "Wir hätten wohl nicht überlebt", meint er traurig.

Von 
Caroline Scholl
Lesedauer: 
Die Familie Sayhoon ist dankbar, in Ketsch nun in Sicherheit zu sein. Jetzt lernen alle Deutsch. Auf dem Bild fehlen die beiden älteren Kinder, die gerade in der Schule waren. © Caroline Scholl

Ketsch. Reportagen über die gesellschaftlichen und politischen Zustände in Afghanistan waren sein Metier – ein riskanter Job, für den Samiullah Sayhoon auch im Auftrag der deutschen Regierung tätig war. Doch ihm war es immer wichtig, den Blick darauf zu lenken, was gesagt und gehört werden muss. Ob durch das Schreiben von Artikeln, in Reportagen im Radio oder in anderen Medien, der 37-jährige war mit umfassender Recherche aktiv, bis sich die Lage durch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan immer weiter zuspitzte. Unsere Zeitung traf den Vater von fünf Kindern im Alter von zwölf, zehn, neun, sieben und fünf Jahren mit seiner Frau Basirah in Ketsch, wo die Familie seit November 2022 lebt.

Mona Mataji, die aus dem Iran stammt und seit vielen Jahren in Schwetzingen wohnt, unterstützte beim Übersetzen und auch Katja Wagner aus Ketsch, deren Tochter mit zwei Kindern der Familie Sayhoon in eine Schulklasse geht, kam dazu, denn sie hilft der Familie gern bei den ersten Schritten zum Aufbau einer Zukunft hier in der Enderlegemeinde.

Bedrohung wird immer massiver

Mit viel Freude und großer Gastfreundschaft empfingen Bashira und Samiullah alle zum Interviewtermin und erzählten ihre bewegende Geschichte. „Ursprünglich kommen wir aus Badachschan, einer afghanischen Provinz im Nordosten mit Grenzen zu Tadschikistan, Pakistan und China. Zuerst habe ich Biologie studiert und war später 13 Jahre als Journalist, auch für internationale Medien, und von 2013 bis 2015 sowie von 2018 bis 2021 als Reporter für das deutsche Verteidigungsministerium tätig. Nachdem die Taliban an die Macht kamen, war jeder, der für das Ausland arbeitete, praktisch direkt ein Systemkritiker und somit in einer sehr bedrohlichen Situation. Zu Anfang war man in den Hauptstädten noch relativ sicher, denn die Taliban waren eher im ländlichen Raum unterwegs, doch im Juni 2021 kamen die ersten Warnungen, worauf meine Familie und ich nach Kabul zogen. Doch einen Monat nachdem wir dort ankamen, übernahmen die Taliban die Stadt und die Bedrohungen bis hin zu Morddrohungen wurden immer massiver. Wären wir geblieben, hätten meine Familie und ich wohl nicht überlebt“, erzählt Samiullah Sayhoon. Dann: „Über das Afghan Journalist Safety Commitee bekamen wir in unserem Versteck in Kabul einen Termin, an dem wir nur mit unseren Pässen und sonst nichts zum Flughafen kommen sollten mit dem Ziel, uns auszufliegen. Doch dort herrschte völliges Chaos. Unzählige Menschen wollten aus Afghanistan weg und nur wenige Flugzeuge starteten. Wir kamen einfach nicht durch und mussten umkehren. Nach weiteren fast drei Monaten, in denen wir uns verstecken mussten, schafften wir es mithilfe des Commitees in Pkws über die Grenze nach Pakistan zu kommen. Über 14 Stunden waren wir unterwegs, wurden immer wieder angehalten und kontrolliert. Für die Kinder war dies sehr belastend, ihnen wurden Fragen gestellt und wir waren ständig in Sorge, dass etwas schiefgeht. Wir versuchten so unauffällig wie möglich zu wirken. Ich trug sogar einen langen Bart, damit ich den Taliban nicht gleich auffiel. Von Pakistan aus bekamen wir dann ein Visum zur Einreise nach Deutschland und landeten dort in einer Flüchtlingsunterkunft. Über Reilingen kamen wir schließlich im November 2022 nach Ketsch und sind sehr dankbar, nun in Sicherheit zu sein“, berichtet Samiullah Sayhoon bewegt.

Natürlich lebt noch ein großer Teil der Familie in Afghanistan und während der Flucht war es zu gefährlich, Kontakt zu halten. „Nun können wir wieder telefonieren, und alle sind froh, dass wir in Sicherheit sind“, bestätigt er.

Mittlerweile besuchen die älteren Kinder der Familie die Neurottschule und die beiden jüngeren Mädchen die Alte Schule in Ketsch. Im Februar darf dann auch der jüngste Sohn in den Kindergarten. „Für uns ist es am allerwichtigsten, nun die Sprache zu lernen. Die Kinder machen gute Fortschritte in der Schule und lernen schnell. Meine Frau fängt in Kürze ebenfalls einen Sprachkurs an und ich bin jeden Tag im Sprachkurs. Mein Wunsch ist es, eines Tages wieder als Journalist tätig zu sein, oder auch als Lehrer oder im Bereich Integration. Unser Dank gilt allen, die uns hier so freundlich begegnen und helfen“, sagt Samiullah Sayhoon.

Offene Art von Vorteil

Mona Matajii, längst eine Freundin der Familie, ist davon überzeugt, dass Samiullah mit seinen Qualifikationen und vor allem der offenen Art, wie er und seine Familie der deutschen Kultur und den Menschen begegnen, bald ein echtes Zuhause finden und sich eine Zukunft aufbauen können: „Ich weiß, auch hier im Umkreis gibt es genug Leute, die wie ich übersetzen können, bis die ersten Sprachkenntnisse sitzen. Gerade für die erste Zeit ist dies wichtig. Aufeinander zugehen, einander zu helfen und voneinander zu lernen, ist doch ein großes Geschenk und das, was Menschen tun sollten“, bekräftigt sie und Katja Wagner stimmt ihr zu.

Freie Autorin Freie Journalistin für die Region Rhein-Neckar

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung