Neulußheim. Les Browns „Sentimental Journey“, das in der Einspielung mit der legendären Doris Day 1945 zum Welthit wurde, war nicht nur Einstieg, sondern auch Titelsong eines spannenden und charakterstarken Programms, mit dem am Freitagabend „Die 2 Grazien“ im Neulußheimer Kulturzentrum Alter Bahnhof sowohl für Begeisterung als auch – vereinzelt - für Stirnrunzeln sorgten.
Letzteres lag vor allem daran, dass sich Sybille Fändrich-Ruisinger und Ulrike Scherb nicht so recht entscheiden konnte, welche der drei Chariten aus der griechischen Mythologie sie eigentlich verkörpern wollen: Immer wieder sprangen sie zwischen Euphrosyne („die Frohsinnige“), Thalia („die Blühende“) und Aglaia („die Strahlende“), die dereinst den Menschen als „Untergöttinnen“ Anmut, Schönheit und Festesfreude schenken sollten, hin und her.
Von „Autumn Leaves“ bis „Just a Gigolo“
In ihrem musikalisch-erzählerischen Bühnenprogramm gab es neben Hits wie „Lass die Sonne in Dein Herz“, mit dem „Wind“ 1987 beim „Eurovision Song Contest“ Platz zwei belegten, dem aus der Feder Joseph Kosmas stammenden Jazzstandard „Les Feuilles mortes“, das – von Johnny Mercer ins Englische übertragen – als „Autumn Leaves“ durch Roger Williams durchstartete oder einem schmissigen „Just a Gigolo“ (Leonello Casucci) auch eigene Kompositionen aus Fändrich-Ruisingers Tonschmiede.
Higlights dabei waren das Klang-Gesangs-Experiment „Lappen“, mit dem der Putzzwang zwischen Wischmopp und Straßenkehrmaschine verarbeitet werden sollte und das mit einer satten Pointe endet: „Ich finde, dass der Mensch und die Welt nicht ganz sauber sind“ und das „Spannbettuch“, das mit seiner humorvoll stichelnden Desillusion über das Beziehungsleben zu so etwas wie einem Untertitel zum Programm avancierte: „Das einzig Spannende an uns ist unser Spannbetttuch, nur die Wärmflasche ist heiß“.
Taumel zwischen bissiger (Selbst)Ironie und sentimentalem Schmerz
Tatsächlich schwelgen die Grazien rund zwei Stunden lang in einem Taumel zwischen bissiger (Selbst)Ironie und sentimentalem Schmerz, der aber immer wieder wohltuend von feixenden Wort- und Liedbeiträgen unterbrochen wird: „Die singenden, swingenden Göttinnen von Odenwälder Anmut“, wie sich Fändrich-Ruisinger und Scherb selbst betiteln, verbinden Seelenstriptease, klingende Botschaft und Hoffnungsschimmer zu einem in sich nicht ganz geschlossenen und bisweilen etwas wahllos wirkenden Programm, das aber hohe emotionale und auch manche künstlerische Blüte bietet: „Wir leiden ohnehin gern in unserem Programm“.
Dabei punktet vor allem die auf den ersten Blick eher bieder wirkende Sybille Fändrich-Ruisinger nicht nur mit einem exzellenten, oft auch sehr fantasiereichen Gitarrenspiel, sondern auch mit einer Stimme, die aufs erste Hören etwas gewöhnlich wirkt, dann aber doch verblüffende Tiefe und Charakterstärke enthüllt. Ihr eigener Song „Take it easy“ wird zu einer warm-weichen Durchhalteparole mit gefühlvoller Sprengkraft, mit der die ausgebildete Opernsängerin, die heute noch Gesangsunterricht gibt, zu Leichtigkeit und Optimismus auch in aktuell schweren Zeiten einlädt: „Take it easy, nehm es leicht, stell Dir vor, Du könntest fliegen“ sing sie fast sphärisch in die Herzen ihrer Zuhörer.
Einen kleinen Hinweis auf die Zusammenarbeit mit Pe Werner platziert Fändrich-Ruisinger mit „Gruß au Chocolat“, das die aus Heidelberg stammende Sängerin 1998 in ihrer Musikrevue „Eine Nacht voller Seeligkeit“ präsentierte: Gemeinsam waren die beiden in den späten 1980er Jahren als „Duo PS“ unterwegs und räumten 1990, kurz vor Werners Bundesdurchbruch mit „Kribbeln im Bauch“, den Schweizer Kleinkunstpreis ab.
Ulrike Scherbs „Hochstraßenblues“ erinnert an Joy Fleming
Ulrike Scherb hat erst spät zum Singen gefunden und dabei das röhrige Ulknudel-Format für sich entdeckt. Ihre stimmliche Überzeugungskraft und die korrekte Lage sind nicht immer hundertprozentig verlässlich, ihr Engagement und ihre Hingabe dafür umso mehr. Wenn sie mit Ella Fitzgeralds „After You’re gone“ konstatiert, „Ich hab ach ä Päckl – mit moim Fritz“, zu einer lieblichen Gitarre „Wonderful World“, den Louis-Armstrong-Hit schlechthin, als Hoffnungsfanal ins Volk gießt oder mit dem „Hochstraßenblues“ an die selige Joy Fleming, bei der Scherb einst einige Workshops besuchte, und ihren „Neckarbrückenblues“ erinnert, mit dem die legendäre Jazz-, Blues- und Schlager-Röhre 1971 für Furore sorgte, nimmt sie mit und beeindruckt.
Zusammen sind die beiden Grazien auch mit Benny Goodmans „This foolosh Things“, bei dem verschränkter Gesang und liebevolle Begleitung an vielen Stellen zu einer kuschelweichen Harmoniedecke mit Gänsehautcharakter verschmelzen oder einem einfühlsamen und sehr ergreifenden „Over the Rainbow“ aus dem „Zauberer von Oz“ überzeugend und begeisternd.
Nach einer musikalischen Sentimentalreise ist das Publikum weitgehend gerührt und tatsächlich sind „Die 2 Grazien“ ein Hinhören wert. Bei ihnen liegt nicht jeder Ton perfekt und der Programmablauf hakelt etwas, aber das Herz und die Botschaft sind dabei und werden angesprochen. Und mit etwas mehr Bühnenerfahrung werden die beiden ihren eigenen Sinnspruch bewahrheiten: „Hoffnung ist der Treibstoff – aber fahren muss jeder selbst.“
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/neulussheim_artikel,-neulussheim-die-2-grazien-beruehren-neulussheimer-publikum-emotional-_arid,2291877.html