Serie "Alte Häuser und ihre Geschichten" (7) - Das alte evangelische Pfarrhaus in der St. Leoner Straße war Familien der Geistlichen ein geräumiges Domizil

Im Pfarrgarten Vesperpakete für die Bettler

Von 
Gisela Jahn
Lesedauer: 

Neulussheim. Im hinteren Teil des Gartens verkündet ein strahlend gelb blühender Forsythienstrauch bei der Mauer aus historischen Steinen der geschleiften Feste Philippsburg neues Leben. Ihn kümmert nicht der bevorstehende Abriss des alten Pfarrhauses und dass hier bald ein anderes Leben Einzug halten wird.

"Bei uns war immer eine gewisse Betriebsamkeit im Pfarrhaus", erin-nert sich Hildburg Krauss, wenn sie an ihre Kinder- und Jugendjahre im Pfarrhaus in der St. Leoner Straße 11 zurückdenkt. Sie kam 1963 mit ihrem Bruder Martin und den Pflegeeltern, Pfarrer Hansgert Schmolck und seiner Frau Dorothee, aus dem Schwarzwald ins evangelische Pfarrhaus nach Neulußheim. Sie denkt an den überaus herzlichen Empfang durch die Neulußheimer: "Wir fühlten uns hier sehr wohl."

Das an der damaligen Reilinger Straße, heute St. Leoner Straße 11, gelegene Anwesen erwarb die evangelische Kirchengemeinde am 16. März 1857 von den Eheleuten Johann Zimmermann für 885 Gulden. Die Pläne für das Haus mit landwirtschaftlichen Gebäuden fertigte damals Stadtbaumeister Reinhard aus Heidelberg.

Dr. Ralf Richard Wagner hat in der Broschüre zum 100. Jubiläum der Neulußheimer evangelischen Kirche weiter festgehalten, dass bis zur Fertigstellung des Baues Pfarrverweser Karl Odenwald die beiden Nachbargemeinden Alt- und Neulußheim betreute.

Im November 1858 war das Haus bezugsfertig. Endlich konnte der Pfarrer die Konfirmanden im örtli-chen Pfarrhaus unterrichten. Pfarrer Friedrich Gscheidlen bewohnte mit seiner Familie das neue Haus bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1888. Eine Renovierung wurde notwendig. Es folgten noch viele Pfarrer, Pfarrverwalter und Pfarrverweser, die das Gebäude mit ihren Familien in den Jahren 1889 bis 1983 bewohnten.

Als offenes Haus geführt

Pfarrer Hansgert Schmolck lebte mit seiner Familie bis Ende 1969 im Pfarrhaus. "Meine Pflegeeltern führten ein offenes Haus, viele fanden vorübergehend hier Obdach", so der Geistliche. "Auch zwei Pfarrvikare wohnten zeitweise im Erdgeschoss. Für uns Kinder waren die vielen kleinen Speicherräume im Obergeschoss ideal für das Versteckspiel. Es gab zwar da oben weder ein Bad noch eine Toilette, aber die vielen kleinen Räume begeisterten uns und waren zum Spielen ideal. Auch im weitläufigen Garten tollten wir herum." Im Garten wurden damals die Bettler mit einem Mittagessen versorgt oder bekamen ihr Vesperpaket. Heute sieht er aus wie der sprichwörtliche Dornröschengarten: Alles ist verwildert und voll Dornen.

Dass das Pfarrhaus bis heute steht und nicht Opfer der Flammen wurde, verdankte Familie Schmolck dem damaligen Bürgermeister Friedrich Stadler: "Unser Adventskranz brannte lichterloh und der Bürgermeister, Retter in der Not, kam mit Feuerlöschern und erstickte die Flammen. Das ganze Zimmer war voll Rauch und alles war verrußt", schmunzelt heute Hildburg Krauss.

Die beiden Pfarrer Adolf Link und Richard Ding mit ihren Familien be-wohnten bis 1983 das geräumige Haus. Vor dem Einzug von Pfarrer Siegfried Fritsch und seiner Familie waren der Ausbau des Dachgeschosses und eine umfassende Modernisierung notwendig. Nun hilft auch keine Renovierung mehr: Eigentümer des Hauses ist inzwischen die politische Gemeinde Neulußheim. Und die Gemeinderäte haben in einer öffentlichen Sitzung, zwar mit einigen Gegenstimmen und einer Enthaltung, jedoch mehrheitlich für den Abriss des alten Pfarrhauses gestimmt.

Copyright © 2025 Hockenheimer Tageszeitung