Neulußheim. Wolfgang Treiber setzt sich die rote Eisenbahnermütze auf – ohne sie fährt kein Zug – nimmt auf seinem Regiestuhl rechterhand der in Reih und Glied aufgereihten Trafos Platz und es kann losgehen. Den Stromregler leicht geöffnet und langsam setzt sich die Dampflok in Bewegung, die roten Räder rollen an, von den Kolbenstangen mit Macht nach vorn gedrückt. Für den Lokführer Treiber der schönste Augenblick, wenn man im wahrsten Sinn des Wortes sieht, wie ein Rädchen ins andere greift, wie der Zug zum Leben erwacht.
Dies zu sehen, zu erleben, ist mit ein Grund, warum sich Wolfgang Treiber im Keller seines Hauses mit der Lehmann Gartenbahn einen Traum erfüllt hat: Die Loks und Waggons sind so groß, dass man Einzelheiten auch während deren Fahrt gut erkennen kann. Die „normalen“ Modelleisenbahnen der Spur HO sind dem Eisenbahnenthusiasten „zu klein und zu fuzzelig“, ihnen fehle beim Fahren die Eleganz.
Weshalb Treiber dem Großformat verfallen ist, das er obendrein dank Gleichstrom extrem langsam fahren lassen kann, so dass die ganze Schönheit des Eisenbahnfahrens zur Geltung kommt – „die Loks rauchen, das Gestänge ist bei der Arbeit zu sehen“, schwärmt er von seiner Eisenbahn.
Keine Frage – Wolfgang Treiber ist ein Eisenbahnfan durch und durch. Doch dem Prototyp eines Modelleisenbahners entspricht er nicht. Landschaften in einem akkuraten Maßstab abzubilden, in ihnen die verschiedensten Züge fahren zulassen, möglichst noch nach Fahrplan, das ist nicht seine Welt.
Denn Wolfgang Treibers Welt ist die Eisenbahn. Für ihn ist die Modellbahn eher der Versuch, ein Stück jener Eisenbahngeschichte um sich zu haben, die ihn schon ein Leben lang begleitet. Ob er als Junge über die erste Modelleisenbahn strahlte, als junger Mann zig Tausende von Kilometern auf dem Schienenstrang zurücklegte oder im späteren Leben einen Ausbildungskurs zum Lokführer auf der Bahn im Deutschen Dampflokmuseum in Franken, auf der Schiefen Ebene, absolvierte – die Faszination Eisenbahn hat ihn ein Leben lang begleitet.
Unterwegs im Fernreisezug
Der heute 80-Jährige erinnert sich noch gut an den Beginn der 1950er Jahre. Der Vater kam aus der Gefangenschaft zurück und für ihn gab es als Geschenk eine Modelleisenbahn – Lok, drei Waggons und ein Schienenkreis. Doch damals siegte die jugendliche Neugier, Treiber wollte wissen, wie so eine Lok funktioniert – es war das Ende seiner ersten Bahn.
Das nächste einschneidende Erlebnis mit der Bahn ereilte Treiber ein Jahr später – mit elf Jahren fuhr er allein mit der Bahn zu Bekannten seiner Großmutter nach Mailand. Wie damals üblich mit einer umgehängten Tafel – dennoch, die Schweizer Zöllner hielten den Zug eine Stunde an, bis die Legitimität seiner Reise bestätigt war.
In den kommenden Jahren köchelte seine Liebe zur Bahn auf Sparflamme, bis er sich als junger Mann für vier Jahre bei der Marine verpflichtete. Für den Soldaten hieß es nun, zwischen Flensburg und Heidelberg zu pendeln – am Ende seiner Dienstzeit, hat er ausgerechnet, waren es rund 60 000 Kilometer, die er mit dem Fernreisezug, vorneweg die Dampflok, zurückgelegt hat.
Doch es ist nicht die Zahl der Kilometer, auf die Treiber abhebt, es ist der Begriff des Fernreisezuges, der ihn über Jahrzehnte gefangen hielt. Fernreise – da schwebt schon das Exotische mit, die Spannung auf Kommendes, aufs Abenteuer. „Und wir waren ja alle Fernreisende“, erinnert sich Treiber an das soziale Gefüge Eisenbahn. Klar, wenn er nachts fuhr, schlief er, doch die Tagfahrten sind für ihn als soziale Gemeinschaft in Erinnerung geblieben. „Wir waren alle unterwegs zu einem Ziel, jeder hatte etwas zu Essen oder zu Trinken dabei, es wurde geredet, sich ausgetauscht“, erinnert er sich an die Abteile mit ihren sechs Sitzen.
Ein Kosmos, den er später auch mit seiner Frau Marianne genoss, zieht es das Paar doch immer wieder in die weite Welt hinaus. Und egal ob es nach China oder Afrika geht – der Zug war immer Ausgangs- und Endpunkt. Heute, bedauert Treiber, hat das Bahnfahren nicht nur wegen der unzähligen Lärmschutzwände, die hierzulande den Blick verstellen, an Charme verloren – es sind die Mitreisenden, deren soziale Kontakte sich aufs Handy oder Laptop beschränken, von denen der Blick kaum weicht.
Ein besonderes Geschenk
Dennoch, die Bahnfahrt an und für sich bleibt ein Faszinosum für ihn und so ist die Freude verständlich, die er empfand, als ihn seine Frau mit einem besonderen Geschenk überraschte: Er nahm an der Jungfernfahrt der ICE-Neubaustrecke Mannheim-Stuttgart teil.
Zurück in die Jugendzeit von Treiber, der nach seiner Zeit bei der Marine Pädagogik studierte, von Anfang der 1980er Jahre bis zu seiner Pensionierung 2005 war er Rektor der Lindengrundschule in Nußloch und wurde in Neulußheim sesshaft.
Wie gesagt, das Paar reiste um die ganze Welt, zum Teil im eigenen VW-Bus, doch Sehnsuchtsort bleibt für Treiber immer Bayern. Hier verbringt er regelmäßig Urlaubswochen und hier, am Starnberger See, kam er erstmals mit der LGB in Berührung – der Lehmann-Garten-Bahn. Deren Anblick hat ihn von vornherein begeistert – „die Preise haben mich umgehauen“. Und wieder war es seine Frau Marianne, die Schicksal spielte und ihn mit seinem ersten LGB-Zug überraschte.
Heute sind es 15 an der Zahl, die im Kellergeschoss ihre Bahnen ziehen. Bei seinem Hobby kamen Treiber zwei Dinge zupass, die LGB-Züge sind wie gesagt sehr groß, viele Menschen trennen sich gleich wieder von ihr, wenn das Auge größer war als Zimmer, Garten oder die Freude der Ehefrau. So kam er günstig an Züge, zumal er in den entsprechenden Blättern, beispielsweise im Sperrmüll, nach Angeboten suchen ließ.
Doch Treiber hat es gern noch eine Spur größer, weshalb er von der Sauschwänzlebahn (Schwarzwald) über das Kuckucksbähnle (Pfalz) bis hin zum Rasenden Roland auf Rügen alles fuhr, was an Museums- und Schmalspurbahnen Rang und Namen hat. Von Schmalspurbahnen in Myanmar (das frühere Burma), Rajastan (Indien), Holland oder Sizilien – einmal um den Ätna herum – ganz zu schweigen. Und dann die Sonderfahrten – mit dem Salonwagen zum Weihnachtsmarkt in Salzburg, mit dem Glacierexpress durch die Schweiz, Treiber kommt heute noch ins Schwärmen, erzählt er von seinen tollen Reisen. Ganz besonders angetan hat es ihm immer die Jagst-Schmalspurbahn, die von Möckmühl nach Jagsthausen führt. Einmal im Jahr war das Bähnle Ziel des Ausflugs seiner ganzen Schule, sehr zur Freude aller Schüler.
Station im „Alten Bahnhof“
Treibers Berührungspunkte mit der Welt der Bahn sind damit längst noch nicht erschöpft. Acht Jahre fuhr er regelmäßig mit der Bahn nach Mannheim, er war Schöffe am Amtsgericht, und seit 15 Jahren, seit seiner Pensionierung, trifft er sich jeden Tag, bei Wind und Wetter, mit seinem Freund Dr. Riad Hamade zu einem Spaziergang entlang der Strecke der Rheintalbahn, der alten B 36. Weshalb er mittlerweile anhand der Länge der Güterzüge und deren Frequenz genau sagen kann, wie es der Wirtschaft geht.
Dass er ganz nebenbei seit 28 Jahren die Kunstausstellung im „Alten Bahnhof“ organisiert, ist da fast schon das i-Tüpfelchen und bei der Kultserie „Eisenbahnromantik“ ist sein Name auch schon bekannt.
Und dieser ganze Kosmos Eisenbahn hat sich nicht nur in den LGB-Zügen niedergeschlagen, Treiber sammelt auch Züge der Marke Märklin, Spur 0 aus der Vor- und Nachkriegszeit sowie Züge der Spur H0 und der Märklin-Marke Maxi und besitzt zahlreiche weitere Sammlerobjekte: ein 80 Zentimeter großes Unikat eines Dampfmodells aus den 1980er Jahren, das Modell einer alten E-Lok oder verschiedene Eisenbahneruhren.
Mit Wolfgang Treiber könnte man sich noch stundenlang über die Welt der Eisenbahnen unterhalten, doch dies würde jeden Platzbedarf sprengen. Deshalb zum Abschluss noch zwei Tipps von ihm: Ein Besuch der weltgrößten Modelleisenbahn in der Hamburger Speicherstadt sei immer eine Reise wert. Wer nicht ganz so weit reisen mag, dem empfiehlt er die immerhin 2000 Quadratmeter umfassende Ausstellung in Fürth in den dortigen Miniaturenwelten.
Info: Weitere Bilder gibt es unter www.schwetzinger-zeitung.de
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