Altlußheim/Schwetzingen. Vor Gericht und auf hoher See befindet man sich in Gottes Hand. Sicherlich eine vielen Lesern durchaus geläufige Weisheit. Dass aber das wohl bekannteste christliche Gebet bei der Urteilsfindung vor einem deutschen Gericht eine entscheidende Rolle spielen kann, ist wohl den wenigsten bekannt.
Verhandelt wurde vor dem Amtsgericht in Schwetzingen. Inhaltlich ging es um ein Geschehen im August des vergangenen Jahres im Bereich der Lußhofeinmündung, der Kreuzung B 39 und L 722. Laut Anklage soll sich der 44-jährige Fahrer eines Pkw aus Polen, der erheblich unter Einfluss von Amphetamin stand, hinter das Steuer seines Fahrzeugs gesetzt und bei seiner mitternächtlichen Fahrt die Herrschaft über den Pkw verloren haben. Anschließend sei er dann im angrenzenden Feld zum Stehen gekommen. Während der Fahrt befand er sich in Begleitung seiner Verlobten. Soweit so gut oder schlecht, könnte man meinen.
Was geschah zwischen Unfall und dem Eintreffen der Polizei?
Unklar bleibt nämlich das Geschehen danach, bis zum Eintreffen der Polizei. Diese war von einem Verkehrsteilnehmer informiert worden, dass es auf der dortigen Straße zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einem Mann und einer Frau komme. Beim Eintreffen der Polizei war unschwer festzustellen, dass die Frau auffällige Rötungen am Hals aufwies und kurz davorstand, das Bewusstsein zu verlieren.
Wie es aber dazu kam und die näheren Hintergründe, blieben vor Gericht im Unklaren. Grund dafür war, dass die beiden Beteiligten über das Geschehen offensichtlich ein beharrliches „Schweigegelübde“ vereinbart hatten. Dies allerdings im Einklang mit den rechtlichen Möglichkeiten. So haben Angeklagte vor Gericht das Recht zu schweigen, während Verlobte, in diesem Fall die Frau, von ihrem sogenannten Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen können. Zudem hatte es den Anschein, dass die Verteidigerin diese Konstellation nur allzu gerne in ihre Strategie aufnahm.
44-Jähriger zuerst nicht vor Ort auffindbar
Aufschlussreich dann die Ausführungen des verantwortlichen Polizeibeamten vor Ort. Dieser war wegen einer Schlägerei von zwei Personen zum Ort des Geschehens gerufen worden. Beim Eintreffen war hier zunächst lediglich die Verlobte des Angeklagten anzutreffen, er selbst war vorläufig nicht auffindbar. Nach eingeleiteten Suchmaßnahmen und unter Hinzuziehung eines Diensthundes, konnte der Angeklagte in einem angrenzenden Feldgelände aufgegriffen werden. Er stand nach Angaben des Beamten erkennbar unter Drogen.
Eine Verständigung sei nicht möglich gewesen. Der Angeklagte habe keine sinnvollen Sätze hervorgebracht und habe lautstark herumgeschrien. Sein Verhalten war völlig aufgeregt, überdreht und aggressiv. Das ging so weit, dass er sich durch sein eigenes Verhalten Verletzungen am Handgelenk zugezogen habe, bedingt durch die zuvor erfolgte Fesselung. Die Frau wies dagegen verschiedene Verletzungen durch Schürf- und Platzwunden auf. Es waren aber auch Rötungen im Schulter- und Nackenbereich zu erkennen gewesen, ein möglicher Hinweis auf ein zuvor erfolgtes Würgen.
Zweifel der Verteidigung vor dem Amtsgericht in Schwetzingen
Wie der Beamte weiter erklärte, haben beide Beteiligte im Verlauf später durchgeführter Gespräche zu verstehen gegeben, dass der Angeklagte gefahren sei. Dies wiederum veranlasste die Verteidigerin dazu, den rechtmäßigen Erhalt der Information durch die Polizei in Zweifel zu ziehen. Damit, so ihre offensichtliche Strategie, könnten diese Fakten bei der Urteilsfindung gegebenenfalls nicht berücksichtigt werden. Was sich später bewahrheitete.
Weitgehend Klarheit erbrachte die Vernehmung des 51-jährigen Lkw-Fahrers, der die Polizei verständigt hatte. Dieser schilderte sehr glaubhaft, wie er am Ort des Geschehens ankam, einen Mann und eine Frau auf der Straße sitzen sah und erkennen konnte, dass der Mann die Frau gut fünf Minuten fest im „Schwitzkasten“ hatte. Nach Verständigung der Polizei sei er zu den beiden gegangen und habe die Frau weggezogen. Sie habe Angst vor dem Mann gehabt und sei sehr blass gewesen, so der Zeuge.
Angeklagte hat bereits Eintäge im Strafregister
Im Anschluss verlas Richter Weimer die wesentlichen und auch einschlägigen Einträge des Angeklagten aus dem polnischen Strafregister, sowie die festgestellte beachtliche Amphetaminkonzentration im Blut des Angeklagten.
In seinem Plädoyer sah der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Straftatbestände der Körperverletzung und Freiheitsberaubung als erfüllt an. Er forderte daher eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von insgesamt 5850 Euro, das heißt 90 Tagessätzen zu 65 Euro. Die Verteidigerin plädierte auf Freispruch, da ihr Mandant nicht überführt sei.
Der Vorsitzende verurteilte den Angeklagten wie von der Staatsanwaltschaft gefordert und stützte sich insbesondere die glaubhaften Aussagen der Zeugen.
Eine besondere Begründung erfuhr die Verurteilung wegen Freiheitsberaubung. Hier verwies Richter Weimer auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, also des höchsten deutschen Strafgerichts. Danach ist der Tatbestand der Freiheitsberaubung als erfüllt anzusehen, wenn sich das Opfer länger in der Gewalt des Täters befindet, als man für ein „Vaterunser…“ benötigt. Und fünf Minuten sollten dafür, selbst bei größter Andacht, allemal ausreichen.
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