Alter Bahnhof

Neulußheimer Künstlerin Noémie Reichert vor Vernissage im Alten Bahnhof

Am Wochenende werden „Kleiderträume“ von Noémie Reichert in einer Ausstellung im Kulturtreff zu sehen sein. Im Interview spricht die Künstlerin über ihre Arbeit und die Herausforderung, Kleidung aus Papier zu kreieren.

Von 
Maria Herlo
Lesedauer: 
Noémie Reichert stellt am Wochenende im Alten Bahnhof aus. Die Vernissage zu ihren „Kleiderträumen“ findet am Freitag, 21. Juli, statt. © Herlo

Neulußheim. In der Herstellung von Kleidung ist es nicht ungewöhnlich, mit Papier zu arbeiten. Schon immer haben Schneider ihre Modelle zunächst auf Papier entworfen. Mit dem dünnen Werkstoff experimentieren bis heute viele Modedesigner, jedoch Kleider aus Papier in Lebensgröße herzustellen, auf die Idee sind bisher nur wenige gekommen – darunter die in Neulußheim beheimatete Noémie Reichert. Ihre größte Leidenschaft ist schon seit geraumer Zeit das kreative Arbeiten mit Papier.

Und was sie daraus anfertigt, zieht die Betrachter schon viele Jahre unweigerlich in den Bann. Sie erliegen der Illusion, dass es sich um Stoffe, Brokat, Samt und Seide oder erlesene handgemachte Spitzen handelt, wie an einem Hofkleid, das durch seine Eleganz bezaubert, zu bestaunen ist oder am sehr weiblich wirkenden Rokokokleid, verziert mit ausgeschnittenen und wattierten Rosen, Blumen und Perlen.

Neulußheimer Künstlerin Noémie Reichert zeigt prachtvolle Roben aus Papier

Das spröde Material Papier als weich herabfallenden Kleiderstoff scheinen zu lassen, das ist eine Herausforderung, der sich nur wenige stellen. Noémie Reichert schafft diese Illusion so perfekt, dass man nur durch Berühren erkennen kann, woraus die filigranen Kostüme tatsächlich gemacht sind.

Zur Person

Noémie Reichert ist 1959 in Luxemburg geboren. Nach der Ausbildung zur Schaufenstergestalterin führte sie von 1995 bis 2010 ein eigenes Ladengeschäft in Luxemburg und Heidelberg.

2009 unternahm sie erste Versuche, sich künstlerisch zu betätigen und Kleider aus Papier herzustellen. Der Erfolg ermutigte sie, weitere dieser ausdrucksstarken Kunstwerke zu schaffen.

Ihre Kreationen zeigt sie in nationalen und internationalen Ausstellungen, bei Modeschauen, Messen, historischen Veranstaltungen oder in Galerien – mit großer Resonanz.

2008 zog die Künstlerin nach Brühl und 2017 nach Neulußheim. Noémie Reichert ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und lebt mit ihrem Mann in Neulußheim. her

Anlässlich der Ausstellung im Kulturtreff Alter Bahnhof, wo sie die Ergebnisse ihrer Arbeit, „Träume aus Papier“, präsentieren wird, sprachen wir mit der Künstlerin, wie alles begann, über ihre Vorliebe für Mode und über die kreative Lust am Arbeiten mit Papier.

Frau Reichert, was ist so faszinierend daran, Kleider aus Papier anzufertigen?

Noémie Reichert: Ich mag etwas aus einem Material zu schaffen, das nicht dafür bestimmt ist, und ich mag die Täuschung, die sie auf den ersten Blick erzeugen, die Illusion, sie wären aus Stoff.

Wie kam es dazu?

Reichert: Schon von klein auf interessierte ich mich für Mode. Immer wieder saß ich am Nähtisch mit meiner Mutter zusammen und spielte mit einer Barbiepuppe. Später kam ich über meinen Beruf als Schaufenstergestalterin im Bereich Damenkleidung mit unterschiedlichen Stilrichtungen in Berührung. Am meisten interessierte mich damals die historische Mode.

Was fasziniert Sie daran?

Reichert: In der Zeit der Renaissance, des Barocks oder Rokoko waren die Damen am Hofe sehr edel gekleidet, ich verbrachte viele Stunden in Museen vor den Bildern der alten Meister und träumte von dieser Pracht, die ich später dann selbst in meinen Kreationen aus Papier realisierte.

Wie ging es weiter?

Reichert: Ich eröffnete ein Geschäft für Innendekoration, in welchem ich auch Dekorationspapiere anbot. Um die Blicke der Passanten auf meinen Laden zu lenken, gestaltete ich aus den unverkauften Papierresten das erste Kleid, welches ich vor die Ladentür stellte. Es war ein echter Hingucker. Die Reaktion der Kunden war überwältigend. Das gab mir Mut, in diese Richtung weiterzumachen.

Gibt es Ihren Laden noch?

Reichert: Mittlerweile ist er längst geschlossen. Was 2008 als Werbegag begann, ist zur Passion geworden für das Fertigen von Papierkleidern, die inzwischen auf großen Bühnen, auf Kunstmessen, als Ausstellung in prunkvollen Schlössern, auf historischen Festen und Sonderausstellungen zum Thema Mode, Design und Geschichte gezeigt werden.

Was für Papier verwenden Sie und wo nehmen Sie es her?

Reichert: Für meine Kreationen verwende ich handelsübliches Papier wie beispielsweise transparente und feste Vlies-, Seiden-, Strukturpapiere, Karton sowie Papiermaché oder handgeschöpftes Papier.

Wie groß ist der Aufwand, so ein Kleid herzustellen?

Reichert: In jedem dieser Unikate stecken zwei- bis dreihundert Arbeitsstunden. Zu jedem Kleid fertige ich selbst auch die passenden Accessoires wie Hals- und Kopfschmuck, Perlen, Handtaschen, Fächer an, ebenfalls aus Papier versteht sich. In den letzten Jahren widmete ich mich vorrangig eigenen Entwürfen, das sind Braut- oder elegante Abendkleider zu jedem Anlass, verziert mit ornamentalen Blumenmustern, die ich teilweise auch selbst bemale. Meine Inspiration nehme ich unter anderem aus der Natur, wo ich mich viel und gerne aufhalte.

Was werden Sie im Alten Bahnhof zeigen?

Reichert: Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung werden an den prächtigen Exponaten der unterschiedlichen Kleiderserien viel Freude haben. Sie bekommen Einblicke in verschiedene Moderichtungen und können erkennen, worin der Unterschied zwischen Kunst und Handwerk besteht.

Freie Autorin

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung