Neulußheim. Kunst und Kultur haben in der Gemeinde einen festen Platz – den Alten Bahnhof. Der ehemalige Startpunkt für Reisen in die nähere Umgebung oder in die weite Welt ist in den vergangenen drei Jahrzehnten seinerseits zu einem Ziel geworden – regelmäßig kommen Menschen aus der ganzen Region in das ehrwürdige Gemäuer, um sich an darstellender Kunst zu erfreuen, den Klängen unterschiedlicher Bands zu lauschen oder sich an dem zu erfreuen, was landläufig unter dem Begriff Kleinkunst bekannt ist.
Wie so vieles im Land wurde auch die Kultur in der Vier-Sterne-Gemeinde durch das Coronavirus jäh ausgebremst, fängt nun langsam wieder an, Tritt zu fassen. Die Zwischenzeit, jenes Vakuum der Kultur, ging an vielen Künstlern nicht spurlos vorüber und auch Wolfgang Treiber, der Neulußheimer Kunstpapst, wurde aus dem Tritt gebracht.
Doch für den Kunstliebhaber war es nur ein Moment des Innehaltens, der Reflektierens. Seine Freude an der Kunst, sein Spaß am Organisieren von Ausstellungen hat er nicht verloren. Zumal er diese Leidenschaft mit seiner Frau Marianne Nagel-Treiber teilt, die wohl in absehbarer Zeit mehr in den Vordergrund rücken wird, das Zeug zur Kunstpäpstin hat.
Wolfgang Treiber ist der Kunstpapst des Alten Bahnhofs Neulußheim: Moment des Innehaltens
Nein, Wolfgang Treiber geriet durch den erzwungenen Stillstand eher ins Grübeln, ließ die vergangenen Ausstellungen Revue passieren und kam plötzlich zu der auch für ihn überraschenden Erkenntnis: „Du machst das ja jetzt schon 30 Jahre.“ Wer weiß, ob dieses Datum, das eigentlich kein klassisches Jubiläum ist, ihm ohne die Corona-Pause bewusst geworden wäre. Denn für Treiber ist nach der Ausstellung vor der Ausstellung, da bleibt kaum Raum zum Innehalten.
Dennoch, 30 Jahre und rund 180 Ausstellungen sind ein Grund innezuhalten, zumal sich in den Treiber‘schen Ausstellungen die Keimzelle für den Kulturtreff Alter Bahnhof findet. Der ehemalige Rektor einer Grundschule in Nußloch, der mit seiner Familie seit 1986 in Neulußheim wohnt, erinnert sich noch gut an die Zeit, als er gegen Ende der 1980er Jahre mit dem Kinderwagen in der Gemeinde unterwegs war und ihm am Alten Bahnhof das offene Tor auffiel. Neugierig wagte er einen Blick ins Innere und sah an den Wänden lauter kleine Bilder hängen.
„Das kannst du auch“, schoss es ihm durch den Kopf, zumal er einen Freund in Heidelberg hatte, der malte und gerne ausstellen wollte. Gesagt, getan, Treiber ging aufs Rathaus und fragte, ob er den Alten Bahnhof für diesen Zweck nutzen dürfe. Zu seinem Erstaunen – „damals kannte mich niemand im Ort“ – lautete die Antwort Ja. Die einzige Bedingung war machbar – den Raum sauber wieder zu verlassen.
Die erste Ausstellung war ein voller Erfolg, erinnert sich Treiber, der der Premiere weitere Expositionen folgen ließ. Woraufhin sich das Rathaus bei ihm meldete. Bürgermeister Gerhard Greiner bat ihn zu einem Gespräch und stellte die Frage, ob er nicht im Auftrag der Gemeinde regelmäßig Ausstellungen veranstalten möchte. Treiber hatte seine Bedenken, wollte sich nicht binden oder einbinden lassen, doch Greiner sicherte ihm freie Hand und die Unterstützung der Gemeinde zu.
Womit die Kunst nun auch offiziell in den Alten Bahnhof einzog. Am 1. November 1992 fand die erste Ausstellung im Namen der Gemeinde statt, weitere folgten und addierten sich auf nunmehr 30 Jahre Kunst vor Ort. Und gemeinsam mit seiner Frau Marianne, die Kunst studiert hat, legte er das Gerüst der Ausstellung fest: Von freitags bis samstags sind die Ausstellungen zu sehen und gezeigt wird, was dem Anspruch der Kunst gerecht wird.
Wolfgang Treiber ist der Kunstpapst des Alten Bahnhofs Neulußheim: Kunst muss Kunst sein
Für manche ein elitärer Ansatz, doch das Beharren auf der Qualität der ausgestellten Werke gibt Treibers recht, das Konzept hat sich bewährt. Bleibt die Frage, woher das Wissen kommt. Aus der ganzen Welt, erwidert Treiber und verweist auf die Leidenschaft von ihm und seiner Frau an der Kunst. Wo auch immer sie bei ihren zahlreiche Reisen Station machen – der erste Weg führt ins Museum. „Wir haben alle Museen in der Welt besucht, die zugänglich sind“, stellt Treiber fest und fügt hinzu, sich dabei ein „bescheidenes Wissen erarbeitet“ zu haben.
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Ein Ziel der Ausstellung sei es gleichermaßen gewesen, dem Publikum eine breite Palette zu präsentieren, von der Malerei über Skulpturen hin zur Bildhauerei oder zu textilen Arbeiten. Und, freut sich Treiber, viele Künstler seien im Laufe der Jahre durch ihn entdeckt worden, hätten ihre ersten Ausstellungen in Neulußheim gehabt. Als Beispiel führt er Bernhard Apfel an.
Der Holzbildhauer hatte seine erste Exposition im Alten Bahnhof, vor dem noch immer eine Skulptur von ihm steht, der Phoenix. Wie auch die Aula der Lußhardschule von einem seiner Werke geprägt wird – „Lauf des Wassers“. Von Treiber in Heidelberg entdeckt begann nach der Neulußheimer Ausstellung die Karriere von Apfel.
Einen tiefen Einschnitt brachte das Jahr 1995 mit sich – Klaus Maier wurde zum Kulturamtsleiter der Gemeinde. Er griff eine Idee von Treiber auf und gab dem Kulturtreff Alter Bahnhof sein bis heute gültiges Aussehen. Treiber hatte schon immer seine Ausstellung mit Musik begleitet, ließ Solisten oder Ensembles die Vernissagen umrahmen.
Eine Idee, die Maier ausbaute, der eigene Kabarett- und Musikabende ins Leben rief, jährlich ein Kulturprogramm mit bis zu 27 Angeboten an den Start brachte. Familie Treiber und einige Freunde und Bekannte standen ihm bei der Bewirtung zur Seite, bis Maier die Idee hatte, den Modellsportclub anzusprechen, dessen Jugend einen Kuchenverkauf zugunsten einer Freizeit in Schottland organisierte.
Die Geburtsstunde des Bahnhofskonzepts mit wechselnden Künstlern und einer Bewirtung, für die nun ein fester Helferstamm zur Verfügung stand. Was auch vonnöten war, denn beispielsweise die Frühschoppen mit Olli Roth lockten bis zu 800 Gäste in den Biergarten des Alten Bahnhofs. Für die Helfer jede Menge Arbeit.
Bis dann 2015 Bürgermeister Gunther Hoffmann einschritt und die Macher auf ihr rechtlich nicht einwandfreies Verhalten hinwies – es fehlte das ordnende Gerüst, ein Verein musste her, um dem ganzen einen Rahmen zu geben. Weshalb Wolfgang Treiber seit 2015 Vorsitzender des Vereins „Kulturtreff Alter Bahnhof“ ist.
Ursprünglich hatte er Bedenken gegen das Vereinskorsett, doch habe sich seitdem eine feste Gemeinschaft von 15 Leuten gebildet, deren einziger Zweck die Veranstaltungen seien. Auch der Weggang von Klaus Maier in den Ruhestand, ihm folgte Alexandra Ötzkalay als Kulturamtschefin, verlief reibungslos. Neu waren die einheitlichen Shirts, die sich im rückwärtigen Titel unterschieden – der Kunstpapst war geboren.
Die rund um den Alten Bahnhof gewachsene Gemeinschaft, der Kontakt zu den Künstlern – jeder, der mal im Alten Bahnhof ausgestellt hat, ist im positiven Sinn ein Mitglied der Familie Treiber – waren Säulen, auf denen sich die Pandemie durchstehen ließ. Gerade den Kontakt zu den Künstlern zu halten, ist Treiber besonders wichtig, spricht er von vielen Freundschaften, die in den 30 Jahren entstanden sind.
Wolfgang Treiber ist der Kunstpapst des Alten Bahnhofs Neulußheim: Freundschaften sind entstanden
Und natürlich gab es auch aus seiner Sicht Höhepunkte bei den Ausstellungen. Neben den Skulpturen von Apfel zählt er dazu die Originalkostüme vom Venezianischen Karneval, die Karin Horn in den Bahnhof brachte, die Werke des bulgarischen Surrealisten Dimitri Vojnov oder die Malerei von Katja Hess, die in Neulußheim ihren Durchbruch hatte, von Treiber entdeckt wurde. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen, reicht noch von Irmgard Klamp bis Ute Wittmann, von Uschi Mehler bis zu – bei 180 Ausstellungen ein aussichtsloses Unterfangen, allen gerecht zu werden. Ein kleiner Hinweis mag eine Hilfe sein: Künstler, die Treibers besonders gefallen, kommen öfter in den Alten Bahnhof. Meist im Abstand von einigen Jahren, damit der Betrachter die Entwicklung verfolgen kann, die sie in dieser Zeit genommen haben.
Und eines ist Wolfgang Treiber zum Schluss noch besonders wichtig: Der Kulturtreff ist Ehrensache. Alles geschieht im Ehrenamt, unentgeltlich, ist eine Dienstleistung für die Bürger, denen das Angebot gemacht wird, Kunst für sich zu entdecken.
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