Cannabis-Legalisierung: Traum oder Albtraum?

Marihuana-Pflanzen auf dem Fensterbrett, straffreier Besitz von Gras und legale Cannabis-Clubs – für Freunde einer liberalen Drogenpolitik geht wohl bald ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Für Gegner ist es eher ein Albtraum. Die Ampel macht ernst mit der Legalisierung, wenn auch mit angezogener Handbremse. Marco Brückl und Stefan Kern teilen dazu ihre eigenen Gedanken mit.

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Stefan Kern
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Unser Symbol-Bild zeigt eine Cannabis-Pflanze. © dpa

Region. Marihuana-Pflanzen auf dem Fensterbrett, straffreier Besitz von Gras und legale Cannabis-Clubs – für Freunde einer liberalen Drogenpolitik geht wohl bald ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Für Gegner ist es eher ein Albtraum. Die Ampel macht ernst mit der Legalisierung, wenn auch mit angezogener Handbremse. Marco Brückl und Stefan Kern teilen dazu ihre eigenen Gedanken mit.

Marco Brückl: Pro Cannabis-Legalisierung

Für mich ist seit jeher nicht verständlich, warum Cannabis in Deutschland als angebliche Einstiegsdroge verteufelt wird, während Tabak und Alkohol legal sind. Dass sie legal sind, habe historische Gründe, wird angeführt, dann ist es jetzt an der Zeit, an der Historie zu drehen und auch Cannabis „gleichzustellen“. Denn die bessere oder schlechtere Droge gibt es nicht – zumindest lässt sich das mit bisherigen Studien nicht eindeutig belegen. Eine Rangfolge erscheint ohnehin sinnlos.

7,9 Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form, weiß man beim Bundesministerium für Gesundheit. Ein problematischer Alkoholkonsum liegt bei etwa 9 Millionen Personen dieser Altersgruppe vor. Analysen gehen von jährlich etwa 74 000 Todesfällen durch Alkoholkonsum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol aus. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch Alkohol betragen rund 57 Milliarden Euro pro Jahr steht im Jahrbuch Sucht 2022. Deutschland hat kein Cannabis-Problem, sondern ein Alkohol-Problem.

Was passiert, wenn hierzulande Cannabis legal wird, beschreiben Zahlen aus Kanada, wo seit drei Jahren Erwachsene legal kiffen, annähernd: 2020 gaben rund 35 Prozent der 18- bis 24-jährigen Befragten an, in den letzten drei Monaten Cannabis konsumiert zu haben, diese Größenordnung ist seit 2019 unverändert. 70 Prozent der Befragten hatten Cannabis legal in einem Shop gekauft – das gibt den Hinweis für eine gewisse Kontrolle über Käufer, Menge und Qualität – das spricht für eine Legalisierung. Denn Cannabis wird hierzulande zunehmend verunreinigt konsumiert.

Und bitte nicht falsch verstehen: Sucht ist immer unschön und sie gilt es, stets zu vermeiden. Aber wer schon Weinfeste oder dergleichen besucht hat, weiß, was hier gemeint ist, wenn man manchem Ungehobelten zum Joint rät – der beruhigt zuweilen ungemein.

Stefan Kern: Kontra Cannabis-Legalisierung

Der Gedanke, dass Cannabis bald freigegeben werden soll, frustriert mich. Nicht weil es eine Droge ist, die gefährlich für den Menschen sein kann. Gerade die Gefahren für das jugendliche Gehirn sind hinlänglich belegt. Dabei denke ich nicht nur an Psychosen, sondern auch das Zerstören von Motivation.

Nein, die Sache frustriert mich, genauer gesagt, sie macht mich traurig, weil es für mich eines der Symbole für eine absolut ich-zentrierte Welt ist. Die alljährlichen Demonstrationen in Heidelberg für die Cannabis-Freigabe haben nur ein einziges Ziel, das eigene Bedürfnis zu stillen. Es geht nicht um Solidarität mit irgendjemandem, gesellschaftliche Missstände zu kritisieren oder globale Ungerechtigkeiten anzuprangern. Kompass ist lediglich der eigene Wunsch, Drogen konsumieren zu dürfen. Vielleicht ist es Notwehr, weil das Leben, die Welt, nur mit betäubten Sinnen ertragen werden kann, was eine niederschmetternde Analyse wäre. Und ja, Alkohol ist auch eine Droge, in Teilen gefährlicher als Cannabis. Ich weiß, wovon ich spreche, ich bin an der Seite einer alkoholkranken Mutter groß geworden.

Für mich folgt daraus aber nun nicht auch Cannabis, eine weitere Droge, freizugeben, sondern eher das Bewusstsein für die Gefahren, die vom Alkohol ausgehen, zu stärken. Und an die Hoffnungen der Bundesregierung in Sachen mehr Jugendschutz, weniger Kriminalität, Entlastung der Justiz glaube ich nicht so ganz. Dafür genügt ein Blick in die Niederlande. Die seit Mitte der 1970er Jahre eher liberale Drogenpolitik setzt den niederländischen Rechtsstaat mittlerweile massiv unter Druck. Vor allem, weil im Windschatten von Cannabis der Kokain-Handel blüht. Und bei Schülern, 15 und 16 Jahre alt, ist die Quote des regelmäßigen Cannabis-Konsums laut einer Studie des „Nationale Drugmonitor“ aus dem Jahr 2012 mit 14 Prozent doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt.

Wie auch immer, am Ende glaube ich, ist Leben mehr als Bedürfnisbefriedigung.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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