Selbstversuch - Redakteurin Anette Zietsch probiert sich als Spargelstecherin auf dem Feld von Gerd Koppert / Funktioniert der Vorschlag der Politik? / Das Experiment ist nach einer Stunde beendet

Erntehelfer – da muss ich leider passen!

Von 
Anette Zietsch
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Oftersheim. Die Idee unserer Politiker in der Corona-Krise erschien auf den ersten Blick ganz logisch: Die Spargelstecher aus Osteuropa dürfen nicht nach Deutschland einreisen. Die Arbeitnehmer haben weniger Arbeit. Sollen sie doch helfen, bevor das Gemüse verrottet.

Aber funktioniert das überhaupt? Ich hab’s probiert. Ich bin 52 Jahre, sitze viel am Schreibtisch und meine sportlichen Aktivitäten sind überschaubar. Das Zusammenspiel dieser Faktoren hinterlässt ungute Spuren an meiner Konstitution. Aber ich bin willens, meinen Beitrag zum Wohlergehen der Gesellschaft zu leisten. Ich melde mich beim Spargelhof von Gerd Koppert und der hat nichts dagegen, dass ich meine späte Leidenschaft zur Landwirtschaft entdecken will. Vereinbarungsgemäß stehe ich morgens um 7 Uhr – eigentlich nicht meine Zeit – in der Mannheimer Straße 45. Er nimmt mich mit zu seinen Spargeläckern im Kohlwald und stattet mich mit dem nötigen Handwerkszeug aus: Körbchen, Handschuhe, Glätteschaufel und Spargelmesser.

So funktioniert’s

Der erfahrene Spargelbauer macht vor, wie’s im Optimalfall (bei Rechtshändern) aussieht: Man greift mit dem linken Zeige- und Mittelfinger vorsichtig die Spargelspitze, mit dem rechten Zeige- und Mittelfinger schiebt man die sandige Erde beiseite und gräbt sich vorsichtig wie eine Wühlmaus an der Stange nach unten. Die Größe ist ideal, wenn der Boden des Körbchens in der Länge zu drei Viertel bedeckt ist. Dann sticht man den Spargel, was ein melodisches Knirschen erzeugt. Immer noch vorsichtig lässt man die linke Hand an der Stange nach unten gleiten und zieht sie vorsichtig nach oben, um sie sorgsam ins Körbchen zu legen.

Schließlich wird die Erde wieder mit der Schaufel geglättet, damit sich die Pflanze erholt und den Genießer eine angemessene Zeit später wieder erfreut. Dabei stützt man sich nicht mit den Knien am Spargeldamm ab, sondern verbeugt sich mit krummem Rücken vor dem Spargel. Es sind die Feinheiten, die den Profi vom Amateur unterscheiden.

Hoffnungsfroher Anfang

Gerd Koppert beobachtet mich noch bei meinem ersten Mal, lobt mich aufmunternd, dass die Stangen eine schöne Länge haben und das Ergebnis im Allgemeinen gar nicht schlecht ist. Na also, denke ich, geht doch. Ich rufe ihm noch zum Abschied hinterher, dass ich es für den Anfang erst mal zwei bis drei Stunden probieren will. Er lächelt mir wohlwollend zu. Wenn ich mich heute an die Szene erinnere, weiß ich: Es war ein mitleidiges Grinsen.

An den kleinen Hügeln, der Fachmann nennt sie Dämme, sind die rumänischen Erntehelfer zugange, die mittlerweile doch einreisen durften. Warum die Politik noch ein Einsehen mit den Bauern hatte, werde ich an diesem Morgen im Kohlwald erfahren. Die routinierten Fachkräfte arbeiten zügig die Reihen ab, ihre Körbchen füllen sich.

Mein erster Entschluss lautet, mich nur den Spargeln zu widmen, die mir ihr zartes Köpfchen schon verheißungsvoll – wie mir scheint grüßen sie freundlich – entgegenstrecken (der Profi schaut sich die Beschaffenheit der Dämme an und erkennt an kaum sichtbaren Rissen, dass eine Stange kurz vor ihrem Durchbruch steht).

Ich mache alles, wie mir geheißen – und schon zwei Minuten später bette ich nach einer mittelschweren Geburt die prachtvolle Stange ins Körbchen. Hui, das war ganz schön anstrengend! Aber wenigstens ist sie nicht abgebrochen.

Oben auf dem Damm ist die Erde schön sandig, die Beschaffenheit hat aber ihre Tücken: Die Erde rieselt nämlich immer wieder zurück ins Loch, wenn man nicht schnell genug ist. Weiter unten ist die Erde feucht – und leistet meinen zwei Fingern unerwarteten Widerstand. Bald nehme ich die ganze Hand und später auch noch die zweite zu Hilfe. Das kostet Kraft. Ich beschließe, nicht so weit nach unten mit den Fingern zu graben und verstärkt das Spargelmesser zum Einsatz zu bringen. Hoppla! Aus dem feinsinnigen Knirschen wird ein brutales Knacken. Ich habe eine Spitze in der Hand. Und nur die. Die Lektion: Spargel verzeiht keine grobmotorische Behandlung.

Irgendwann – die Schmerzen an Schultern, Rücken und Fingern haben mein Zeitgefühl betäubt – ertaste ich bei einem weiteren Versuch, eine Stange freizulegen, eine zweite Spitze. Und noch eine dritte. Jackpot!? Körperlich und geistig von der Anstrengung gezeichnet, kommt mir der Gedanke: Gehören die jetzt zur Kernfamilie? Dürfen die in Corona-Zeiten so dicht zusammenstehen? Währenddessen summe ich das Kirchenlied „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“. Ich glaube, das ist kein gutes Zeichen. Genauso wenig wie der Anblick (oder ist es nur eine Halluzination?) der Spargelköpfchen, deren herzliches Lächeln zu einer höhnisch grinsenden Fratze wechselt. Ich ignoriere die Erscheinung und lerne: Auch dicke Stangen sind nicht robuster als die dünneren. Es knackt.

Während ich kurz raste, nimmt sich Paul, ein junger, rumänischer Saisonarbeiter weiter hinten in meiner Reihe der Risse an, die ich vernachlässigt habe. Er findet dabei noch ganz schön viele Exemplare.

Es ist gerade mal eine Stunde vergangen, wie mir ein Blick auf die Uhr verrät und Gerd Koppert ist wieder da. Er schätzt meine Beute auf rund drei Kilo (zum Vergleich: erfahrene Spargelstecher bringen es auf 15 Kilo), deutet aber auch vorsichtig an, dass die Länge ein bisschen zu wünschen übrig lasse. Aber immerhin gab’s nicht viel Bruch. Ich kann nicht mehr und beende das Experiment.

Auf dem Wirtschaftsweg spricht mich ein Ehepaar an, das mit seinem Hund unterwegs ist: „Prima, dass die Erntehelfer jetzt doch kommen durften.“ Demütig signalisiere ich – soweit es meine schmerzenden Schultern es zulassen – mit einem Nicken meine unbedingte Zustimmung.

Haben die Spargel eigentlich jemals so wunderbar geschmeckt wie an diesem Abend?

Info: Ein Video zum Spargelstechen und weitere Bilder gibt’s unter www.schwetzinger-zeitung.de

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