Oftersheim. Dem katholischen Pfarrer und Dekan Uwe Lüttinger (54) wird nie langweilig. Der gebürtige Heidelberger kümmert sich mit seinem Team um die Pfarrgemeinden St. Pankratius (Schwetzingen), St. Kilian (Oftersheim) und St. Nikolas (Plankstadt). An diesem Donnerstag, 5. Januar, hält Lüttinger um 18.30 Uhr eine Messfeier mit den Sternsingern in St. Kilian. Seit November 2019 hat der Mann, der sich zum Krankenpfleger ausbilden ließ, Zivildienst in der Heidelberger Thoraxklinik leistete und das Abitur nachholte, die Leitung der Seelsorgeeinheit Schwetzingen übernommen. Wir sprachen mit ihm.
Herr Lüttinger, die Seelsorgeeinheit Schwetzingen, Oftersheim und Plankstadt gibt es seit einigen Jahren. Wie sehen Sie 2022 in der Retrospektive? Gab es denn Höhepunkte – und auch Tiefschläge?
Uwe Lüttinger: Das Jahr 2022 war ein Jahr, in dem sich wieder eine gewisse Normalität einstellte. Weg von den strengen Corona-Regeln in den Gottesdiensten und Gemeindehäusern hin zu wenigen bis fast keinen Regeln mehr. Gruppen und Gemeinschaften konnten sich wieder treffen und auch Gemeindefeste fanden wieder statt. Der Basar in Schwetzingen, Oftersheim und Plankstadt war für die Gemeinschaft und das tastende Suchen nach Wegen ein Erfolg. Manches was sich im Lauf der Corona-Zeit an neuen Formen etabliert hat – wie Aktionen für Kinder im Advent und Fastenzeit – wird beibehalten. Ein besonderer Moment war im März die Sammlung für Güter in die Ukraine. Wenig wurde vorgeplant und es waren sehr schnell 30 Helfer da und wir wurden mit vielen Gütern „beschenkt“.
Und was beschäftigt Sie?
Lüttinger: Was mir als Pfarrer und Dekan sehr zu schaffen macht, sind die vielen Kirchenaustritte. Sicher sind es viele Dinge, die diesen Schritt verständlich machen, aber Kirche ist mehr als Rom und die Kurie, mehr als Missbrauchaufarbeitung. Gerade das Leben vor Ort und das gemeinsame Suchen nach Wegen, Glaube und Leben zusammen zu bringen und in vielen Gruppierungen zu gestalten, zeigt so viel Positives, das leider viel zu wenig gesehen wird. Auch der weiterhin geringe Gottesdienstbesuch beschäftigt mich. Wir versuchen mit einer großen Treue und viel Engagement an den verschiedenen Orten in unserer Seelsorgeeinheit Gottesdienste anzubieten – und manchmal kommen sehr wenige. Gerade auch für ältere Menschen ist das wichtig, einen Gottesdienst in erreichbarer Nähe zu haben. Aber jede Feier braucht auch eine gewisse Anzahl an Besuchern, damit sie eine Feier sein kann. Gerne möchte ich das Angebot noch so aufrecht erhalten, aber ich weiß nicht wie lange das noch möglich ist. Schön ist es da, auch Aufbrüche und neue Formate zu sehen. Zum Beispiel illuminierte Auszeit in Oftersheim, Karfreitag in offener Form in Plankstadt, Impulse wie Kirche im Licht in Schwetzingen. Jedes Jahr an Weihnachten versenden wir Grüße an ehrenamtliche Mitarbeitende, da freue ich mich, wenn diese um die 300 Personen sind. So planen wir auch für 2023 ein Fest für die ehrenamtlichen Mitarbeitenden unserer Gemeinden, bei dem sie nur dazukommen und nicht aktiv sein müssen. Ein kleiner Versuch eines Dankeschön.
Die katholische Kirche befindet sich in einem Umstrukturierungsprozess. An welchen Schalthebeln müssen Sie drehen?
Lüttinger: Als Projektkoordinator vor Ort zusammen mit Dekanatsreferent Raphael Brantzen für den Kirchenentwicklungsprozess 2030 bauen wir gerade die Projektstruktur auf und können mit der Projektleitung die Arbeit beginnen. Sie besteht aus neun Personen aus den drei Seelsorgeeinheiten, die später die Pfarrei-neu im Westen des Dekanates Wiesloch bilden. Wir beginnen hier gerade mit der Analyse, welche Themen für die „Pfarrei-neu“ wichtig sein werden, richten Themengruppen ein und suchen nach dem Sitz der „Pfarrei-neu“. Die Projektleitung legt dann die Themen über den Projektträger den Pfarrgemeinderäten vor und diese verfassen jeweils Voten. Wenige dieser Voten, etwa der Sitz der „Pfarrei-neu“, müssen von Freiburg genehmigt werden. Die meisten Entscheidungen werden vor Ort in den noch bestehenden Seelsorgeeinheiten mit deren Gremien entschieden. Es gilt jetzt, den Prozess noch bekannter zu machen, ins Bewusstsein der Gemeinden zu holen und auch Chancen aufzuzeigen. Dazu konnten wir im Bereich Kommunikation eine Projektstelle einrichten. Stefanie Joosten ist seit dem 1. Januar 2023 hier tätig. Ganz wichtig ist es, das Leben der Gemeinden vor Ort zu stärken und zu motivieren, mit den je eigenen Gaben und Fähigkeiten Akzente zu setzen.
Oft wird diakonische Arbeit unterschätzt. Warum ist das so? Und vor allem, wie lässt sich Wertschätzung erreichen?
Lüttinger: Die diakonische Pastoral wendet sich Menschen in Lebenslagen zu, über die man nicht so gerne spricht oder eben auch hinschaut. Zugleich gehört sie eben zu den wesentlichen Grundaufträgen der Kirche. Wie vieles in Deutschland ist sie auch in der Institution der Caritas professionell verfasst. Aber Not zeigt sich immer im ganz nahen zwischenmenschlichen Bereich und braucht manchmal nur ganz wenig Hilfe, damit sie gewendet wird. Es braucht also Menschen, die mutig sind, sich zu öffnen und Not zu sehen und zu handeln – auch gerade da, wo sie leben. Viel geschieht da schon im Stillen. Kirche kann hier motivieren, hinzuschauen und zu handeln – und kann auch Wertschätzung im Sinne von Begleitung von engagierten Menschen bieten.
Wie lassen sich die Gläubigen – in den drei genannten Orten sind es rund 13 000 Katholiken – langfristig binden und vielleicht auch neue Zielgruppen erschließen?
Lüttinger: Es geht in meinen Augen darum, dass Menschen erfahren, dass Glaube Kraft gibt und in Gemeinschaft gelebt und erfahren werden kann. Wer das verspürt, der bindet sich auch ein. Es gibt in der Kirche aber viele Formen von Bindung: Vom stillen Mitgehen und Unterstützen bis hin zum vielfältigen Engagement. Beides gilt es wertzuschätzen. Die Frage nach neuen Zielgruppen stellt sich eher nicht – Kirche möchte allen Menschen im Sinne Jesu dienen und es ist immer die Frage, wo haben gerade Kräfte und Potenzial oder legt sich etwas aufgrund einer aktuellen Frage nahe.
Kann man zugespitzt formulieren, dass die katholische Kirche den Spagat zwischen Tradition und Innovation hinkriegen muss?
Lüttinger: Das war schon immer eine Frage in der Kirche. Es gab Zeiten, da ist es besser gelungen. Und Zeiten, da hat sich Kirche schwergetan. Es geht immer darum, zu suchen und zu fragen, was dem Leben dient und auch hinzuhören, was uns Gott in der Geschichte gerade hier und heute sagen will. Eine spannende Frage, der ich mich gern stelle.
Gibt es hier in der Region neue Formate, mit denen Menschen unmittelbar angesprochen werden?
Lüttinger: Ja, etwa die Kulturkirche Ketsch. Oder auch die Spendenaktion „Tischlein deck’ dich“.
Hat sich Ihre Rolle als Pfarrer durch Corona, Energiekrise und Ukraine-Krieg verändert?
Lüttinger: Die Rolle des leitenden Pfarrers ist und bleibt spannend. Es geht darum, die täglichen und auch die großen Herausforderungen anzunehmen und mit viel Kommunikation zu gestalten.
Wie geht die Seelsorgeeinheit speziell mit dem Thema Energiekrise um? Sind die Räume im Pfarramt kälter – bleiben die Kirchen demnach kalt?
Lüttinger: Wir versuchen auch Energie im Sinne der Bewahrung der Schöpfung zu sparen. Ebenso haben wir Sorgen wegen der Kosten. Deshalb ermutigen wir Gruppen und Gemeinschaften, kleinere Räume zu nutzen. Sparsam mit der Heizung umzugehen. Die Kirchen werden nur auf zehn Grad temperiert und St. Maria in Schwetzingen wird nicht geheizt.
Not macht erfinderisch, heißt es. Denken Sie, dass Krisenzeiten vor allen Dingen auch Herausforderungen und Chancen darstellen?
Lüttinger: Es geht im Moment darum, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das ist herausfordernd – und auch eine Chance.
Wie können Pfarrämter und der Tross an Ehrenamtlichen an diesem Weg partizipieren?
Lüttinger: Kommunikation ist absolut zentral. Und das Miteinbeziehen ist ja auf dem Weg.
Bitte vervollständigen: Für das kommende Jahr nehme ich mir unbedingt vor, dass …
Lüttinger: ... Glaube und Leben hier weiterhin gelebt und unter einen Hut gebracht werden kann.
Von der großen Politik in Berlin, aber auch von kirchlichen Institutionen würde ich mir noch mehr Realitätssinn, Zuversicht und Empathie wünschen, da ...
Lüttinger: ... die Menschen spüren sollen, dass es bei allem um sie geht!
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