Oftersheim. Wenn an einem Samstagnachmittag mehrere hundert Menschen feiernd und tanzend durch die Gemeinde ziehen, kann man sich durchaus mal fragen, was es damit auf sich hat. Am Samstag in Oftersheim lautete die Antwort darauf: „Dorfpride“.
Dabei handelt es sich um eine Veranstaltung, die seit 2020 den Geist des Christopher Street Day (siehe Infobox) auch abseits großer Städte verbreiten soll. Der Sinn ist es, zu zeigen, dass Homo- und Bisexuelle sowie Transgender oder Asexuelle nicht nur in Metropolen leben und arbeiten, sondern auch in Dörfern. Laut Organisatoren geht es vor allem darum, diese Menschen in der breiten Öffentlichkeit sichtbar zu machen und ihnen auch in ländlichen Gegenden zum Beispiel Beratungsstellen zu schaffen. 2020 fand die „Dorfpride“ erstmals in Mühlhausen (Kraichgau) statt, dieses Jahr erhielt Oftersheim den Zuschlag, die Veranstaltung auszutragen.
Schon vor dem offiziellen Beginn um 15 Uhr ist der Gemeindepark an der Kurpfalzhalle beachtlich gefüllt. Katrin Hofner vom Organisationsteam zeigt sich bereits zu diesem Zeitpunkt sehr zufrieden mit dem großen Andrang. „Außerdem sind wir sehr froh um die tolle Zusammenarbeit mit der Gemeinde, den Ordnungsbehörden und dem Landratsamt“, berichtet sie. Im ersten Jahr hätte das Team die Veranstaltung in vier Wochen auf die Beine stellen müssen, diesmal sei etwas mehr Zeit gewesen.
Bevor der offizielle Demonstrationszug die Straßen der Gemeinde erobert, stehen schon erste Redebeiträge an. Hier ist auch Bürgermeister Jens Geiß (CDU) mit von der Partie und spricht darüber, wie es dazu kam, dass die „Dorfpride“ 2021 in Oftersheim gelandet ist. „Wenn man gefragt wird, ob man eine solche Veranstaltung in der eigenen Gemeinde möchte, dann darf es da kein ,Warum?‘ geben, sondern nur ein klares ,Ja.‘“
Mittelfinger für den Tross
Als Vertreter der beiden christlichen Kirchen sprachen zudem die Pfarrer Tobias Habicht und Uwe Lüttinger. Letzterer betont in seiner Rede, dass er sich wie viele andere Kirchendiener gegen die Entscheidung des Papstes gestellt habe, gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen zu verwehren.
Gegen Viertel vor vier bricht der Demonstrationszug von über 700 Menschen auf. Während des Zuges durch die Straßen gilt eine Maskenpflicht, die auch vorbildlich eingehalten wird. Außerdem wurden alle Teilnehmer gebeten, per Luca-App oder Formular ihre Kontaktdaten zu hinterlegen. Die Stimmung während der Parade kann man getrost als ausgelassen bezeichnen. Auch wenn politische Forderungen und Redebeiträge nicht wegzudenken sind, so ist das Zelebrieren der eigenen Vielfalt und Identität ein ebenso zentraler Punkt einer Pride-Veranstaltung. Die Oftersheimer Anwohner zeigen sich während des bunten Treibens vor ihren Häusern mehr als nur interessiert. Viele sind aus ihren Häusern gekommen, beklatschen die Vorbeiziehenden, manche haben sogar Stühle auf den Bürgersteig gestellt. Ein unschönes Vorkommnis gibt es jedoch: So zeigt eine Anwohnerin den Demonstrierenden aus ihrem Fenster heraus längere Zeit den Mittelfinger. Der beeindruckend positiven und ausgelassenen Stimmung tut so etwas keinen Abbruch, es zeigt aber dennoch, wieso die Menschen hier auf die Straße gehen, beziehungsweise das Gefühl bekommen, dass sie es müssen.
Toleriert, aber nicht respektiert
Am Ortsausgang an der Heidelberger Straße ist eine kurze Pause angesetzt, hier gibt es weitere Redebeiträge, auch aus der Politik. So sprechen Bundestagskandidatin Neza Yildirim (SPD), Landtagsabgeordneter Dr. Andre Baumann (Grüne) und Mitglied des Bundestags Jens Brandenburg (FDP). Aber auch das Organisationsteam richtet noch einmal das Wort an die Demonstrierenden und Zuschauer und findet eindringliche Formulierungen für die eigenen Forderungen. So sagt eine Mitorganisatorin: „Queere Menschen werden inzwischen vielleicht toleriert, aber nicht inkludiert und mit Sicherheit nicht respektiert.“ Mit „queer“ sind in diesem Fall Menschen gemeint, die entweder nicht heterosexuell sind oder eine andere Geschlechtsidentität haben als die ihnen biologisch angeborene.
Im Anschluss an diese Kundgebung zieht die Demonstration über den Hardtwaldring und die Heidelberger Straße zurück in den Gemeindepark. Besucher wie Organisierende ziehen ein positives Fazit. Johannes aus Heidelberg hat erstmals an einer „Dorfpride“ teilgenommen: „Letztes Jahr hat es nicht geklappt, aber diesmal war der Veranstaltungsort besser mit der Bahn angebunden“, erzählt er. „Es war wirklich toll, ich hätte niemals gedacht, dass so viele Menschen kommen würden.“
Letzteres kann Johannah Illgner vom Orga-Team unterschreiben: „Es waren viel mehr Menschen als gedacht. Nächstes Jahr melden wir die Demonstration für mehr Teilnehmende an.“ Wo die nächste „Dorfpride“ stattfinden wird, ist allerdings noch nicht entschieden. Bis dahin können sich die Demonstrierenden sicherlich an den positiven Erinnerungen an die Veranstaltung in Oftersheim festhalten.
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Christopher Street Day
- Der Christopher Street Day, kurz CSD, ist eine Parade von Homosexuellen, deren Ursprung in den Vereinigten Staaten liegt. An diesem Tage finden weltweit Paraden zu Ehren der Schwulen, Lesben, Asexuellen, Transgender und Bisexuellen statt. Die größten Umzüge in der Bundesrepublik gibt es in Berlin und Köln.
- Der erste CSD weltweit fand im Jahr 1969 in New York statt. Zehn Jahre später, 1979, dann auch in Deutschland, genauer gesagt in Berlin und Bremen.
- Die Idee der „Dorfpride“ ist es, diesen Pride-Geist jedes Jahr in ein anderes Dorf zu tragen. Es soll ein gemeinschaftliches Event für Bevölkerung, Vereine und queere Menschen vor Ort darstellen.
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