Weitsprung - Mihambo wird Vierte bei Olympia / Ihr Verein TSV 1895 Oftersheim lädt ein zum Public Viewing in den Bürgersaal / An der großartigen Leistung der 22-Jährigen besteht kein Zweifel

Malaikas Mama hält es zu Hause nicht aus

Von 
Anette Zietsch
Lesedauer: 

Daumen hoch für eine tolle Leistung: Zu früher Stunde haben sich im Bürgersaal rund 50 Fans versammelt, um mit Malaika Mihambo mitzufiebern.

© Zietsch

Oftersheim. Fast unbemerkt betritt die schlanke Frau mit den kurzen Haaren wenige Minuten nach 3 Uhr am frühen Donnerstagmorgen den Bürgersaal. Sie ist spürbar nervös, bemüht, nicht aufzufallen. Dennoch steht sie wenige Minuten später im Mittelpunkt. Es ist Petra Mihambo-Fichtner, die Mutter der Weltklasse-Weitspringerin Malaika Mihambo.

> Aktueller Bericht (16.12.2019): Die Krönung: Weitsprung-Weltmeisterin Mihambo ist „Sportlerin des Jahres“
> Bericht (6.10.2019): Malaika Mihambo ist Weltmeisterin im Weitsprung 

Die Tochter kämpft zur gleichen Zeit im rund 9500 Kilometer entfernten Estádio Olímpico João Havelange von Rio de Janeiro um eine olympische Medaille.

Am Ende reicht es zwar nicht für eine Olympia-Medaille, aber die Besucher beim kurzfristig anberaumten Public Viewing sind dennoch voll des Lobes für "ihre" Malaika. Sie trauern nicht um die verpasste Bronzemedaille, sondern freuen sich, dass die Oftersheimer Leichtathletin vom TSV 1895 mit 6,95 Metern ihre persönliche Bestleistung um fünf Zentimeter gesteigert hat.

"Leider nein", bedauert der TSV-Vorsitzende Markus Lauff noch am Nachmittag im Gespräch mit unserer Zeitung, es gebe keinen Ort, an dem man gemeinsam den Wettkampf schauen könne. Er selbst werde wohl eine Flasche Bordeaux entkorken und mit Knabbereien vor dem heimischen Fernseher die Nervosität bekämpfen. Eine halbe Stunde später hat sich die Situation geändert: "Es haben jetzt doch einige Fans nachgefragt, deshalb laden wir ab 2 Uhr heute Nacht zum Public Viewing ein."

Souverän ins Finale

Die Vorbereitungen sind für den Fall der Fälle getroffen. "Die Gemeinde hat uns ganz toll unterstützt und am Nachmittag alle technischen Voraussetzungen geschaffen", freut sich Lauff. Der Vorsitzende des größten Oftersheimer Vereins ist froh, dass Malaika so souverän ins Finale gekommen ist. "Die Erwartungen sind nicht auf eine Medaille ausgerichtet, die Hoffnung schon", gibt er zu.

Kurz vor 2 Uhr quietschen Reifen vor dem Bürgersaal. Etwa zehn Jugendliche sind dorthin geradelt, sie trainieren zusammen beim TSV. Die Top-Weitspringerin kennen sie vom Sportplatz. "Wir haben ja noch Ferien, morgen früh klingelt kein Wecker", gibt es für Hendrik, 17, David, 16, und die anderen keinen Grund, das Public Viewing zu "schwänzen".

"Der TSV lädt ein", begrüßt Markus Lauff die Gäste und sorgt in der kleinen Küche dafür, dass genügend Getränke kalt stehen. Auch an Salzbrezeln hat man gedacht. Mittlerweile füllt sich der Raum, rund 50 Mihambo-Fans sind schon vor Ort, natürlich auch Bürgermeister Jens Geiß im grünen Polo-Shirt der Gemeinde. Andere - wie Gemeinderat Patrick Schönenberg - haben Trikots der deutschen Fußball-Nationalmannschaft angezogen, und auch die schwarz-rot-goldenen Girlanden finden in dieser Nacht wieder Verwendung.

Es wird immer ruhiger

Im Bürgersaal läuft Olympia auf der Großbild-Leinwand. Das fachkundige Publikum nimmt am Rande zur Kenntnis, dass Kai Kazmirek beim 400-Meter-Lauf des Zehnkampfes Zweiter wird, doch der Fokus ist auf den - aus Oftersheimer Sicht - Wettkampf des Jahres gerichtet, der in wenigen Minuten beginnt. Gerade werden die elf Konkurrentinnen vorgestellt, Malaika Mihambo lächelt freundlich in die Kamera. Die Gespräche verstummen nach und nach.

Unter den Zuschauern in der Heimat sind auch Walter und Christine Kruse. "Sie hat mich aus dem Bett geschmissen", sagt er grinsend und deutet auf seine Frau. Aber er macht einen munteren Eindruck. Die beiden sind TSV-Mitglieder, gehören zum Leichtathletik-Stammtisch.

Die Schwester von Mihambos Trainer Ralf Weber erzählt, sie habe mit ihrem Bruder Kontakt über Whats App. "Gestern Nacht bin ich schon für die Qualifikation aufgestanden. Egal, wie es ausgeht - sie ist im Finale. Das ist die Hauptsache", meint sie angespannt und nippt an einem Glas Sekt-Orange. Ihre Eltern Elisabeth und Gerhard Weber fiebern ebenfalls im Bürgersaal mit ihrem Sohn und dessen Schützling in Rio mit. Großen Stolz empfinde sie, sagt Mutter Elisabeth. "Malaika ist eine ganz Liebe und Nette. Und sie bleibt dem Verein treu. Wir verfolgen ihre Karriere seit 2005."

2.19 Uhr. Jetzt wird es ernst. Auf der Leinwand ist Malaika Mihambo in Großaufnahme zu sehen. Die 22-Jährige eröffnet den Wettbewerb, der Kampfrichter hebt die weiße Flagge. Ein erster verhaltener Applaus für den gültigen Sprung, der - das sieht man - schon mal gelungen ist. Noch mehr Beifall für die 6,83 Meter - die Qualifikationsweite noch mal um einen Zentimeter getoppt. "Ein vielversprechender Einstieg, das kann sich sehen lassen", ist Markus Lauff erleichtert.

Konkurrentin Darja Klischina, die nach längerem Hin und Her vor Gerichten als einzige russische Leichathletin in Rio am Start ist, schafft 6,63 Meter. Der Versuch der US-amerikanischen Weltmeisterin Tianna Bartoletta ist ungültig. Ein Raunen geht durch die voll besetzten Stuhlreihen, als deren Landsfrau Brittney Reese bei weit über sieben Metern landet.

Doch die Mitfavoritin tritt beim Absprung über. Auch der 6,95-Meter-Sprung der serbischen Europameisterin Ivana Spanovic an die vorläufige Spitze nötigt dem Oftersheimer Publikum Respekt ab. Die zweite deutsche Finalteilnehmerin, Sosthene Moguenara, beginnt mit 6,61 Metern, zu diesem Zeitpunkt noch Rang vier.

2.34 Uhr: Der zweite Versuch der "jungen Dame aus Oftersheim", wie ZDF-Mann Norbert König kommentiert. Der Jubel im Bürgersaal weicht wenige Sekunden später einem kollektiv-enttäuschten "Ohhh". Ungültig, ebenso wie der dritte Sprung neun Minuten später. Malaika bleibt vorläufig auf dem Bronze-Rang. Die besten Acht im Wettbewerb dürfen noch dreimal Anlauf nehmen für Edelmetall. Sosthene Moguenara ist als Zehnte nicht mehr dabei. Die Entscheidung fällt zwischen 3.14 und 3.23 Uhr.

Was in Rio in der Zwischenzeit passiert: Alle drei deutschen Speerwerfer sind für das Finale qualifiziert, und auch Usain Bolt hat im Halbfinale über 200 Meter seine Klasse unter Beweis gestellt. Mihambo kann sich im vierten Versuch nicht verbessern. Im Bürgersaal macht sich Schläfrigkeit breit, die frühe Stunde fordert ihren Tribut in Form von verstohlenem Gähnen.

Mit dem Satz von Reese auf 7,09 Meter nimmt der Wettbewerb wieder Fahrt auf, und auch die Oftersheimer sind wach: "Ihre" Malaika ist durch Bartolettas 6,95 Meter leider auf Rang vier abgerutscht. Mihambo kontert zwar umgehend mit einer persönlichen Bestleistung von ebenfalls 6,95 Meter, hat aber den schlechtesten zweiten Versuch des Trios. Dann geht es Schlag auf Schlag: Spanovic 7,08 Meter, Bartoletta 7,17 Meter - das wird der Goldsprung des Abends sein - und Reese 7,15 Meter.

Petra Mihambo-Fichtner ist umringt von Bekannten, die ihr zur großartigen Leistung der Tochter - so empfinden die Zuschauer den vierten Platz bei Olympia - gratulieren. Markus Lauff schenkt Sekt aus. "Sie ist ja noch grün hinter den Ohren", teilt Mihambo-Fichtner die Meinung der meisten Fans im Bürgersaal. Doch sie leidet mit ihrer Malaika mit, die gerade im Stadion von Rio auf dem Boden sitzt und ihre Sportschuhe auszieht. "Sie ist enttäuscht", sieht sie.

Eigentlich wollte die Mutter zu Hause schauen. "Ich bin eher zurückhaltend, aber dann habe ich es nicht mehr ausgehalten, als im Fernsehen eine andere Disziplin übertragen wurde und im Liveticker die Nachricht kam, dass Malaika ausgeschieden ist. Nach dieser katastrophalen Saison ist der vierte Platz schon eine tolle Leistung", freut sie sich. Irgendwann am frühen Morgen, wenn die Dopingproben vorbei sind und sich die Anspannung gelegt hat, wird sie ihre Tochter anrufen.

Auch Jens Geiß ist zufrieden: "Der vierte Platz scheint zwar undankbar zu sein, aber das ist Olympia und kein Feld-, Wald- oder Wiesenwettbewerb. Man sieht, dass Malaika mit Spaß dabei ist. Sie ist erst 22 Jahre und hat noch Potenzial."

Zufrieden mit der eigenen Leistung

Patrick Schönenberg findet es "sensationell, wenn man seine persönliche Bestleistung bei Olympia abruft". Als TSV-Mitglied ist er selbstverständlich mit seiner Frau Stephanie in der Nacht zum Public Viewing gekommen, "aber jetzt müssen wir nach Hause, den Babysitter ablösen. Die Schwester meiner Frau passt auf unsere beiden auf."

Mittlerweile ist es 3.40 Uhr. Die meisten sind gegangen, nur noch ein paar Unentwegte hören das Interview, das Malaika Mihambo Norbert König gibt. Auch sie ist zufrieden mit ihrer Leistung. Markus Lauff und der TSV-Aufräumtrupp applaudieren. Sie können stolz sein: Der Verein hat nicht nur eine Weltklasse-Weitspringerin, sondern auch eine sympathische junge Frau in seinen Reihen.

Auf der Straße ist es wieder still geworden. Eine Frau hebt neben dem Bürgersaal ein Paket auf die Halterung an ihrem Fahrrad. Es ist Heike Hendlein. Sie beginnt mit der Verteilung unserer Zeitung an die Abonnenten.

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung