Oftersheim. Melanie Melchior hat lange und gründlich überlegt, was sie machen soll. Bei einer Radtour im hessischen Lahn-Dill-Gebiet mit einer Freundin an Pfingsten hatte sie sich mit Corona angesteckt. Die gesundheitlichen Probleme wollten unterdessen kein Ende nehmen – und im Laufe der Zeit war der 37-Jährigen klar geworden, dass es sich dabei um Long-Covid-Symptome handelt. „Meine Belastbarkeitsschwelle ist so unheimlich niedrig“, sagt Melanie Melchior, die in Oftersheim aufwuchs, beim Redaktionsbesuch in Schwetzingen, „irgendwie ist das alles auch lebens- und persönlichkeitsverändernd.“ Trotz der Signale, die Körper und Geist aussenden, schob die engagierte Theater- und Bewegungspädagogin die Entscheidung einer offiziellen Bürgermeisterkandidatur hinaus. „Ich sagte mir, ich warte ab, solange ich eben kann, in der Hoffnung, dass es besser wird“, so ihr Ansatz. In den letzten Tagen freilich ist die Entscheidung gereift – der Verzicht auf die Kandidatur für die bevorstehende Bürgermeisterwahl am 18. September steht nunmehr fest für sie.
Es ist ein Schritt, der ihr alles andere als leichtgefallen ist. Sie wollte sich mit allen Konsequenzen und Begleiterscheinungen für das Amt des Bürgermeisters bewerben, sich gesellschaftspolitisch einbringen, ihre inhaltlichen Schwerpunktthemen wie beispielsweise Umwelt- und Naturschutz, Jugendarbeit, Kirche, Bildung, Kultur, öffentlicher Nahverkehr und Kommunikation im Wahlkampf setzen – ein Sich-stark-Machen für ein besseres Miteinander war ihr klares Ziel.
„In meinem Fall war nicht davon auszugehen, dass ich tatsächlich Bürgermeisterin werde, doch ich glaube, ich hätte durchaus ein paar Stimmen bei der Wahl gewinnen können“, so ihre Einordnung. Das klingt ambitioniert wie selbstbewusst. Und die Ernsthaftigkeit ihrer im Frühjahr veröffentlichten Bereitschaft der Kandidatur stand niemals infrage. Sie wollte eben durch ihre andere Art und andere Herangehensweise an relevante Kommunalthemen etwas auslösen. Die Suche nach dem was „Oftersheim bewegt!“ stand im Vordergrund – und entsprechend heißt ihre Internetseite.
Ein zusätzlicher Aspekt? Den gab es fraglos. „Ich als Frau stelle mich für dieses Amt zur Verfügung. Zum einen, um den Menschen dieser Gemeinde etwas zurückzugeben, zum anderen aber auch, um zu zeigen: Jeder kann das machen – auch starke Frauen dürfen sich trauen, in die erste Reihe zu treten“, sagte sie bezeichnenderweise am 1. April im Interview mit der Schwetzinger Zeitung. Gerade darin hatten sie Familie, Freunde, Bekannte, Weggefährten und auch „andere starke Frauen“ bestärkt.
Auf der Internetseite hatte sie zwischenzeitlich im Juli einen Beitrag verfasst. „Ja, es ist still geworden“, schrieb sie – und räumte ein, unter Long Covid, kognitiven Symptomen wie Konzentrationsschwäche, Wortfindungsstörungen und „Hirnnebel“ zu leiden. Da hoffte Melchior noch auf „neue Kräfte“ ...
Sie wirkt nach wie vor angeschlagen – und macht keinen Hehl daraus. Veranstaltungs- und Aktionsplanungen sind bis auf Weiteres nicht möglich. „Ich bin jemand, der sich auch über Sprache definiert, von der Ausdrucksfähigkeit und Schlagfertigkeit lebt“, sagt Melanie Melchior, „ich hätte sehr gerne ein paar coole Aktionen gestartet.“
Zuhause liegen noch die vollständigen, in einem bunten Umschlag verpackten Bewerbungsunterlagen, die nun eben nicht bis zum Fristende am Montagabend, 22. August, bis spätestens um 18 Uhr im Rathaus eingeworfen werden. Und noch spürbar kämpferischer ergänzt Melchior: „Es heißt ja nicht, dass ich verschwinde. Es heißt auch nicht, dass ich danach nicht lauter werde.“
Selbstverständlich hat sie das Geschehen in ihrer Heimatgemeinde weiterverfolgt. Die Unterschriftenaktion des gesamten Gemeinderates gegen den amtierenden Bürgermeister Jens Geiß hätte sie so für nicht möglich gehalten. „Ich hätte dieses Ding so niemals unterschrieben“, so Melchior emotional berührt, „für die Gemeinde ist das keine gute Sache. Für mich ist das wie eine Abrechnung oder ein Dolchstoß – es verbaut Jens Geiß oder jedem anderen nächsten Bürgermeister den Weg.“ Melchior zeigt Mitgefühl mit dem attackierten Geiß. Solch ein öffentliches Misstrauensvotum sei schlimm, weil ein derartig frontaler Angriff „persönlich mit einem etwas macht“. Melanie Melchior klipp und klar: „Es ist wie ein Rausschmiss, das Zeichen, ,wir sind fertig mit dir’. Damit habe ich meine Schwierigkeiten. Man hätte auch sinnvoll und konstruktiv in die Zukunft schauen, einen Mediator oder Coach reinnehmen können.“
Die brisanten Themen bleiben
Sie macht sich Sorgen, wie’s in der Gemeinde weitergeht. Die brisanten Themen würden bleiben. Oftersheim mangle es insgesamt an Veränderungsbereitschaft, Transparenz und Kommunikation. Es liefen seltsame und verwirrende „versteckte Geschichten“. Ob Ehrenamtliche oder hauptamtliche Personen, es herrsche im Kommunalbereich Beklemmung. „Die Verunsicherung kommt aus allen Poren“, konstatiert Melchior.
Ihr Appell? „Leute, verschafft euch selbst ein Bild, ein eigenes und nicht ein vorgekautes. Fragt euch, mit welchem Kandidaten ihr zusammensein wollt – oder eben nicht“, sagt sie vor dem entscheidenden Akt des Kreuzchensetzens am 18. September. Melchiors Verzicht auf die Kandidatur geschieht schweren Herzens. Nach einer gründlich von ihr abgewogenen Entscheidung.
Info: Mehr Informationen gibt es unter www.oftersheim-bewegt.de.
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