Soziales Hilfsprojekt

Oftersheimer Lehrerin Katrin Bugert hilft Kindern in São Paulo

Für die Oftersheimerin Katrin Bugert, Waldorfpädagogin im brasilianischen São Paulo, bedeutet seit 20 Jahren die facettenreiche Arbeit mit insgesamt 150 Kindern alles.

Von 
Dahnah Rudeloff
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Gemeinsamkeit wird großgeschrieben: Kinder und Jugendliche der sozialen Einrichtung „Pequenas Estrelas Na Terra“ spielen zusammen auf einem Holzschiff. © Katrin Bugert

Oftersheim. „Kleine Sterne auf Erden“ oder auch „Pequenas Estrelas Na Terra“, so werden liebevoll die Kinder in der gleichnamigen sozialen Einrichtung im brasilianischen São Paulo genannt. Die kleinen Sterne sind 150 Kinder, die in entsprechenden Altersgruppen betreut werden. Außerdem gibt es das Jugendprojekt „Circus Sternbrücke“, das die Oftersheimerin Katrin Bugert leitet, sowie das Angebot von kunst- und tiergestützter Therapie. Bugert führt das Projekt zusammen mit Regina Klein und Celia Sant’ana. In Deutschland besuchte sie die Freie Waldorfschule Mannheim, die ihr Interesse an der waldorfpädagogischen Arbeit und den Berufswunsch prägte. 2014 ging sie als freiwillige Helferin nach Brasilien, in einen kleinen Kindergarten mit 20 Kindern, deren Eltern und teilweise auch die Kinder HIV-positiv waren.

Eine der drei Hauptverantwortlichen: Katrin Bugert lebt seit 20 Jahren in Südamerika. © Katrin Bugert

Mit Regina Klein und Celia Sant’ana wollte sie die Jugendarbeit ausbauen, Familien als Ganzes unterstützen und begleiten. Zuvor hatte Bugert im Ubuntu Zirkus in Deutschland gearbeitet. Daraus entstand die Idee, in Brasilien ein Zirkusprojekt zu initiieren. „Zunächst spielten wir nur mit den Kindern und Geschwistern Zirkus. Daraus entwickelte sich eins zum anderen. Schnell hatten wir zwölf Kinder, die nicht mehr aufhören wollten“, erzählt sie. Zu Beginn arbeiteten sie mit einfachen Mitteln wie Jongliertellern und Tüchern, gaben kleine Aufführungen für die Familien und Freunde.

Oftersheimer Lehrerin Katrin Bugert in São Paulo: Einmal im Jahr in „Ofdasche“

In den zwanzig Jahren, in den Katrin Bugert dort arbeitet, ist die Einrichtung sehr gewachsen. Den Kontakt zur Heimat hat sie jedoch nie abgebrochen. Wenn möglich, besucht sie einmal im Jahr ihre Eltern in Oftersheim und auch zu ihren vielen Freunden in Deutschland pflegt sie den Kontakt.

Soziales Hilfsprojekt

Katrin Bugert aus Oftersheim arbeitet in São Paulo mit Kindern

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Die Menschen hier finden es toll, dass Bugert ihre Arbeit in Brasilien verrichtet. Für sie ist das jedoch nichts Außergewöhnliches: „Es ist mein Leben und Alltag, wie ich ihn überall leben würde.“ Der Zirkus habe jedoch hat eine besondere Ausstrahlung. „Überall sind wir herzlich willkommen“, sagt Bugert. Auf die Frage, was der Anreiz an einem Leben in Brasilien für sie sei, hat sie direkt eine Antwort – die Aufgabe: „Ich lebe seit mittlerweile 20 Jahren hier, ich habe eine Verantwortung für die Menschenleben, die ich begleite und die mich nicht mehr loslassen. Die Kinder haben Halt in unserer Arbeit gefunden. Sie kommen aus schweren Familienverhältnissen. Wir geben ihnen durch die Tätigkeiten einen Sinn und einen Anker im Leben.“

Bugert schaut auf eine erfolgreiche Auftrittsphase mit dem Zirkus 2022 zurück. Als klar war, dass es nach zwei Jahren Pause wieder losgehen kann, erarbeitete die Jugend-Zirkusgruppe in sieben Tagen eine Choreografie und Rahmengeschichte mit dem Titel „Imagina“ („stell dir vor“). Die Idee und das Bild fanden die Gruppe berührend. Durch das Publikum während der 15 Aufführungen wurde ihnen die Aktualität des Themas bewusst, und dass es mehr Aufführungen bedarf, deshalb werden sie in diesem Jahr in den Süden des Landes ziehen.

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Zweimal ist der Zirkus bereits in Deutschland aufgetreten, zuletzt 2019. Gibt es weitere Pläne dazu? „Wir warten immer auf Einladungen, wenn wir mit dem Zirkus irgendwo hingehen, da die Planung ein bis zwei Jahre in Anspruch nimmt“, erzählt Katrin Bugert.

Neu in diesem Jahr ist die heilpädagogische Arbeit, die sich aus der Notwendigkeit eines höheren und spezielleren Betreuungsbedarfs ergeben hat. Pädagogische Arbeit mit Behinderten hat in Brasilien wenige Möglichkeiten, durch die Politik im Land geraten immer mehr Randgruppen in Vergessenheit. „Wir hatten die Möglichkeit, in einer Nachbarstraße ein Wohnhaus zu erwerben und zu renovieren. So können wir vormittags und nachmittags Kinderbetreuung anbieten. Die heilpädagogische Arbeit wird in zwei Gruppen stattfinden.“ Im ersten Semester 2023 beginnt die heilpädagogische Arbeit. Ziele für 2023 formuliert Katrin Bugert wie folgt: „Ich wünsche mir, dass alles stabil bleibt und wir neue Mitarbeiterinnen finden, was nicht immer so einfach ist. Wir wollen eine neue Tournee erarbeiten und neue Gruppen aufbauen.“

Die Familien, die oft traumatische Schicksale erleben, erholen sich von der Pandemie nur schwer und die politische Situation im Land verschlimmert alles. „Die Not der Familien ist nach der Pandemie deutlich spürbarer, es gibt einige, die wir inzwischen mit Lebensmitteln unterstützen, was vorher nicht der Fall war“, so Bugert. Zum Glück war ihre Arbeit nicht direkt betroffen. Sie ist nicht staatlich organisiert und letztlich unabhängig durch die deutschen Spender. Bugert: „Viele Einrichtungen um uns herum mussten sich zusammentun oder gar schließen. Dadurch hatten wir auch mehr Zulauf und Kinder.“

Zwei Mädchen füttern eins der Therapiepferde der neu in die Arbeit integrierten tiergestützten Therapie auf dem Land. Die Einrichtung ist eine gute Stunde von der brasilianischen Großstadt São Paulo entfernt. © Bugert

Während der Pandemie hat das Team den Horizont um Therapieangebote erweitert. „Wir drei Verantwortlichen wohnen auf dem Land mit vielen Tieren nah am Wald. Regina Klein hat eine Fortbildung in Thema Reittherapie gemacht. Wir wollten, dass die Kinder etwas haben.“ Bedürftige ausgewählte Kinder dürfen einmal pro Woche mit aufs Land. Dort können sie die Pferde putzen, füttern und reiten. Es ist weit weg von ihrem eigentlichen Leben. Ganz ohne Medien! Natur und Tiere helfen dabei, die Kinder zu sich zu bringen. Und sie lieben die Tiertherapie. Es sei ein besonderes Projekt, das sich sehr gut ausbauen ließe, aber dies leider kaum machbar erscheint. „Wir können es nur wenigen Kindern ermöglichen, da es eine Stunde von der Betreuungsstätte entfernt ist und wir je nach Verkehr auch mal drei Stunden brauchen. Es bedarf einiges an Organisation. Im Zirkus haben wir aber auch zwei Schafe und Hühner, die die Kinder lieben“, plaudert Katrin Bugert aus dem Nähkästchen.

Neben der Tiertherapie gibt es Psychotherapie und Kunsttherapie. Katrin Bugert nennt ein Beispiel für geglückte Therapie sowie Veränderungen durch die Zirkusarbeit. „Wir haben einen 13-jährigen Jungen, der mir da direkt einfällt“, sagt sie, „die Pandemie hat viel mit den Kindern gemacht. Das mit den Schulen hat in Brasilien nicht funktioniert, weswegen sie den ganzen Tag nur vor dem Handy oder Fernseher saßen.“

Oftersheimer Lehrerin Katrin Bugert in São Paulo: Psychologin eingestellt

Die Fälle mit Aggression, Selbstmordversuchen und psychischen Störungen seien stark gestiegen. Man habe inzwischen eine Psychologin eingestellt. „Jedenfalls ist der Junge in der Schule nicht mehr haltbar gewesen, war sehr aggressiv. Durch die Zirkusarbeit hat er sich verändert“, konstatiert Bugert. Er habe mehr Selbstvertrauen, Freunde gefunden und werde akzeptiert, sei kaum noch aggressiv und helfe viel im Projekt mit. Wichtig: Auch in der Schule konnte er neu Fuß fassen.

Sozialprojekt in Brasilien

„Kleine Sterne auf Erden“ finanziert sich aus Spenden. Webseite: www.circopontedasestrelas.com, E-Mail: ponte-das-estrelas@hotmail.com, Casa Crinca Querida – casacq@terra.com.br.

Spendenkonto: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. , IBAN DE47 4306 0967 0013 0420 10, Verwendungszweck: 6705 CIRCO oder 4711 für die Casa Criança Querida dar

Oft ist „Kleine Sterne auf Erden“ der letzte Ort, worauf der Schüler hinarbeitet. Doch wieder zur normalen Schule gehen zu wollen und tatsächlich eine letzte Chance dafür zu erhalten, geht nur, wenn sich der jeweilige Schüler an das System des Soziallebens und des Lernens anpasst. „Viele Kinder, die über mehrere Jahre bei uns sind, werden zu Vorbildern in ihren Schulen. Und die Zirkusartisten werden zu Helden“, erzählt Katrin Bugert stolz.

Wie können Kinder sie selbst bleiben? „Indem man Erlebnisse für sie schafft“, so Bugert. Die Jugendlichen des Projekts reden nur noch über Medien am Tisch. „Im Zirkus kann ich echte Erlebnisse schaffen, über die wir reden können, wie etwa den letzten Auftritt oder die Reaktion des Publikums.“ Heißt: Erlebnisse schaffen, die mit dem Leben zu tun haben. Laut Katrin Bugert lernen die Kinder in Brasilien nur kopieren, sie schreiben immer von der Tafel ab, ohne wirklich zu verstehen, was sie schreiben. Viele seien überfordert. Das Lernen werde nicht gefördert. Man müsse den Kindern alles erklären, damit sie sagen können: „Ich bin jemand, der es versteht!“

„Ich wünsche diesen Kindern so sehr, dass sie sie selbst sein dürfen, dass sie den Mut finden, selber zu denken und ihren Weg zu gehen“, sagt Katrin Bugert abschließend voller Empathie.

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