Besser hätte die Premiere der Veranstaltungsreihe „Kurpfalz-Horizonte“ von Landtagsvizepräsident Daniel Born (SPD) nicht laufen können. Der Schwetzinger Landtagsabgeordnete begrüßte als Gastgeber des neuen Talkformats mit dem wegweisenden Titel „Ein Leben für die Demokratie“ die 93-jährige Karla Spagerer, eine der letzten Zeitzeuginnen der Nazizeit, die seit Jahren unermüdlich in Schulen unterwegs ist, um jungen Menschen mitzuteilen, wie zerstörerisch die NS-Diktatur gewirkt hat.
Jens Rüttinger, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins, hieß im Rose-Saal etwa einhundert Zuhörer willkommen, unter ihnen Rosa Grünstein, Ehrenbürger Janfried Patzschke, Brühls Bürgermeister Dr. Ralf Göck sowie Gemeinderäte der umliegenden Orte. Das Posaunen-Quintett mit Nik Keller, Felix Dimitrijevic, Lasse Kuhn und Janik Siegler unter der Leitung von Alois Willing von der Musikschule Bezirk Schwetzingen begleitete den Talk musikalisch.
Deutschlandweites Gedenken
Am Freitag gedachte der Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt standen Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Der Landtag von Baden-Württemberg erinnerte am 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau an Menschen, die gegen die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus Widerstand geleistet hatten. In Berlin und in Stuttgart wurde auch queeren Opfern des Holocaust gedacht, die wegen sexueller und geschlechtlicher Identität verfolgt wurden. Vorurteile über Menschen mit queerer Identität seien bis heute nicht überwunden, Diskriminierung finde weiter statt, meinte Rüttinger: „Es ist unsere Aufgabe, sich dagegen einzusetzen.“ Das funktioniere durch Dialog, etwa zwischen „Powermenschen der Demokratie“ wie Spagerer und Born.
Die geborene Mannheimerin strotzt nur so vor Vitalität und Engagement, das war in den eineinhalb Stunden zu merken. Die Zuhörer hingen an ihren Lippen, vor allem einige Zehntklässler des Hebel-Gymnasiums lauschten gebannt. Nach dem Talk war die 93-Jährige von den Schülern umringt. Die Waldhöferin berichtet immer wieder eindrücklich jungen Leuten von den Erlebnissen aus ihrer Kindheit und Jugend unter der Diktatur des Dritten Reichs. Gemeinsam mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei hat sie inzwischen zahlreiche Schulen in Mannheim und in der Metropolregion besucht, um mit den Jugendlichen direkt ins Gespräch zu kommen.
2022 nahm sie als älteste Wahlfrau an der Wahl von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin teil. Im Rose-Saal erzählte Spagerer in launigen Worten vom einmaligen Erlebnis in der Bundeshauptstadt, zu dem sie ihr Enkel Tim begleitet hat. Im Oktober vergangenen Jahres überreichte ihr Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik, weil sie mit der Schilderung ihrer bedrückenden Erfahrungen insbesondere jungen Menschen die Zusammenhänge aus der NS-Zeit begreiflich macht.
Für Demokratie kämpfen
„Ich werde es allen erzählen, dass niemand das Recht hat, andere Menschen zu ermorden“, antwortete sie Daniel Born. Für die Demokratie müsse man kämpfen. Sie habe sich niemals vorstellen können, dass sich das Gedankengut der Nazis noch einmal verbreiten könnte. Getroffen habe sie auch, „dass wir wieder einen Antisemitismusbeauftragten brauchen“.
Ihre Eltern betrieben die Arbeiterkneipe „Waldschlössel“ in Mannheim, wo sich oft Mitglieder der Familien Faulhaber und Lechleiter trafen, die zur kommunistischen Widerstandsgruppe gegen die Nationalsozialisten gehörten. Ihre Großmutter war eine überzeugte Kommunistin und wurde 1936 von der Gestapo verhaftet und für 18 Monate nach Bruchsal ins Zuchthaus gebracht. Karla Spagerer war zehn Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Ihr Vater wurde eingezogen, sodass sie ihn erst Jahre später wiedersah. Sie hat miterlebt, wie Angehörige und Freunde verhaftet, deportiert und ermordet wurden. Sie kämpft heute gegen Rechtsradikale und für die Demokratie. „Hört hin, passt auf. Alle Parteien sind demokratisch, außer der AfD“, gab sie ihren jungen Zuhörern mit auf den Weg.
Persönliche Erinnerungen an ihre Liebe zu ihrem Mann Walter fehlten an diesem Abend auch nicht. Die Waldhöfer Legende war im Februar 2016 im Alter von 97 Jahren verstorben. Der ehemalige Gemeinderat und langjährige SPD-Landtagsabgeordnete war sein ganzes Leben lang mit Mannheim und den Schwächsten der Gesellschaft verbunden, zunächst als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei der Firma Bopp & Reuther und ab 1951 hauptamtlich für die IG Metall. Nach dem Tod ihres Ehemanns, mit dem sie 68 Jahre verheiratet war, hat sich Karla Spagerer verstärkt politisch engagiert: „Durch ihn habe ich erfahren, wie wichtig Gewerkschaften sind. Mit ihm zusammen habe ich ein politisches Leben geführt.“
Die 93-Jährige macht gerne die Aufklärungsarbeit als Zeitzeugin und sie freut sich immer, dass die jungen Menschen sehr interessiert zuhören. „Es ist ein Geschenk, dass es dich gibt“, dankte Daniel Born für ihre Bereicherung der „Kurpfalz Horizonte“. Viele Fragen habe er nicht vorbereiten müssen, unterstrich er mit einem Schmunzeln„denn Karla erzählt sowieso, was sie will“. Als der SPD-Landesvorsitzende Andreas Stoch sie persönlich angerufen habe, um zu fragen, ob sie nach Berlin zur Wahl des Bundespräsidenten fahren möchte, habe sie sich riesig gefreut. Die Nominierung habe sie als große Ehre empfunden. „Aber tausend andere hätten es auch verdient“, meinte sie bescheiden am Schluss der Talkrunde im Rose-Saal.
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