Oftersheim. Für einen Moment sind die Emotionen an diesem Vormittag im Samariterhaus des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Oftersheim deutlich zu spüren. Es ist die berührende Geschichte, die Heimleiterin Janett Hoffmann erzählt, die bei den Beteiligten der Gesprächsrunde für feuchte Augen sorgt. Sie handelt von einem Ehemann, der seine demenzkranke Frau täglich im Samariterhaus besucht, obwohl sie ihn längst nicht mehr erkennt. Jeden Tag bringt er ein kleines Geschenk mit, um ihr eine Freude zu machen. „Sie weiß nicht mehr, wer ich bin, aber ich weiß, wer sie ist“, sagt der Mann, der in tiefer Liebe mit seiner Frau verbunden ist. Solche Momente zeigen, dass Leben mit Demenz trotz aller Verluste lebenswert sein kann.
Einen Tagesablauf voller Geduld und Menschlichkeit zu ermöglichen, ist auch das Ziel der Mitarbeiter des Samariterhauses. Es sind Tage voller kleiner Rituale, Begegnungen und Herausforderungen. Das Seniorenheim, das 2008 eröffnet wurde, ist für viele ältere Menschen längst ein Zuhause geworden. Besonders im Fokus steht hier die Betreuung von Menschen mit Demenz, deren Anteil unter den Bewohnern stetig wächst.
Individuelle Betreuung und familiäre Atmosphäre in Oftersheim
Das Samariterhaus versteht sich als Lebensraum, in dem die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Bewohner im Mittelpunkt stehen. Ein Team aus Pflegekräften, Therapeuten und Hauswirtschaftskräften sorgt dafür, dass jeder Mensch so selbstbestimmt und würdevoll wie möglich leben kann.
Und nach den neuesten pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen wird in der Einrichtung auch gearbeitet. Die Atmosphäre ist ruhig, überschaubar und geborgen – ein wichtiger Faktor, um Orientierung und Sicherheit zu vermitteln. „Wir haben auf jeder Station Bewohner mit Demenz, in ganz unterschiedlichen Stadien“, erklärt Einrichtungsleiterin Janett Hoffmann und fügt an: „Diagnostiziert sind mehr als die Hälfte unserer 74 Bewohner, Tendenz steigend.“
Die Ausstattung des Samariterhauses ist auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten. Moderne Pflegebetten und Möbel aus Kirschholz schaffen eine wohnliche Umgebung. Großzügige Gruppenräume, ansprechende Gemeinschaftsbereiche, eine große Dachterrasse und ein gepflegter Garten laden zum Verweilen ein. „Gerade im Sommer sitzen die Bewohner gerne draußen, plaudern oder genießen einfach die Sonne“, berichtet Annett Schulz, die als Hauswirtschaftsleiterin auch für die monatliche Hauszeitung verantwortlich ist. Diese kleine Publikation informiert über Geburtstage, neue Bewohner, Feste und Aktivitäten – und ist für viele ein Highlight, das Erinnerungen weckt und Gesprächsstoff liefert.
Alltag mit Demenz: Herausforderungen und Chancen auch in Oftersheim
Demenz ist eine Krankheit, die das Leben grundlegend verändert – für die Betroffenen ebenso wie für ihre Angehörigen und das Pflegepersonal. Die Symptome reichen von Vergesslichkeit über Orientierungslosigkeit bis hin zu Persönlichkeitsveränderungen. „Im Verlauf der Erkrankung entwickeln sich die Menschen leider zurück, bis hin zu einem Stadium, das an die Kindheit erinnert“, erklärt Sebastian Hering, Pflegedienstleiter und Gerontofachkraft. „Es beginnt mit kleinen Aussetzern, später werden alltägliche Abläufe wie Waschen oder Anziehen schwierig. Bekannte Gesichter werden nicht mehr erkannt, manchmal sogar die eigenen Kinder.“
Über die Krankheit Alzheimer
- Alzheimer ist die häufigste Demenzform , eine unheilbare, fortschreitende Hirnerkrankung, die zu Verlust von Gedächtnis, Orientierung und Fähigkeiten für den Alltag führt.
- Verantwortlich sind Ablagerungen von Proteinen (Amyloid-beta und Tau) im Gehirn, die Nervenzellen zerstören. Symptome sind anfangs Vergesslichkeit und Schwierigkeiten beim Lernen, später auch Orientierungsprobleme, Sprachschwierigkeiten und Verhaltensänderungen.
- Der Welt-Alzheimertag am 21. September erinnert daran, dass Demenz eine gesellschaftliche Aufgabe ist.
Trotz aller Einschränkungen gibt es im Samariterhaus viele Momente der Freude. Musik spielt dabei eine besondere Rolle: „Manche Bewohner, die kaum noch sprechen, singen plötzlich mit, wenn ein bekanntes Lied erklingt“, erzählt Hering. Auch gemeinsames Kochen, Backen oder Ausflüge können Erinnerungen wachrufen und die Sinne anregen. „Es gibt immer wieder diese kleinen Trigger, die etwas auslösen. Das ist bei jedem Menschen anders, und es ist unsere Aufgabe, das herauszufinden“, ergänzt Hering. Das Samariterhaus ist ein offenes Haus. Die Bewohnerinnen und Bewohner können sich frei bewegen, sowohl innerhalb des Hauses als auch im Garten. „Wir hatten in all den Jahren nur sehr wenige Vorfälle, bei denen jemand wirklich vermisst wurde“, berichtet Gül Dincer, die in der Verwaltung des Hauses arbeitet. „In solchen Fällen arbeiten wir eng mit der Polizei zusammen und konnten bisher immer alles gut auflösen.“
Freiheitsentziehende Maßnahmen wie das Abschließen von Türen werden nur in absoluten Ausnahmefällen und mit richterlichem Beschluss angewendet. „Unser Ziel ist es, so viel Freiheit wie möglich zu erhalten, solange keine Eigen- oder Fremdgefährdung besteht“, sagt Dincer.
Um die Orientierung zu erleichtern, gibt es im Haus zahlreiche kleine Hilfen: Hinweisschilder, farbige Markierungen, ein als Bücherregal getarnter Fahrstuhl. Im Garten ist ein Rundweg angelegt, auf dem die Bewohner ihre Runden drehen können. „Manche laufen stundenlang, andere beschäftigen sich mit Puppen oder Pflanzen“, erzählt Hoffmann. „Jeder hat seine eigenen Rituale.“
Pflege im Wandel: Späte Einzüge, hohe Pflegegrade
Die demografische Entwicklung und die Stärkung ambulanter Pflegedienste haben dazu geführt, dass die Bewohner heute meist erst in einem sehr hohen Pflegegrad ins Heim kommen. „Früher hatten wir viele fitte Bewohner, die das Haus mitgestaltet haben, heute sind es oft Menschen, die zu Hause nicht mehr versorgt werden können“, so Hoffmann. Das stellt das Team vor neue Herausforderungen: „Wir müssen viel individueller arbeiten, Angebote anpassen und immer wieder neue Wege finden, um die Menschen zu erreichen.“
Im Samariterhaus wird viel Wert auf Aktivierung gelegt. Tägliche Betreuungsrunden, gemeinsames Singen, Basteln, Kochen oder Ausflüge stehen auf dem Programm. „Auch wenn viele Bewohner nicht mehr alles verstehen oder sich erinnern können – sie spüren die Atmosphäre, die Gemeinschaft, die Zuwendung“, betont Hering.
Die Mitarbeitenden tragen farbige T-Shirts, um die Orientierung zu erleichtern: Gelb für die Pflege, Blau für die Betreuung, Weinrot für die Hauswirtschaft. „So weiß jeder gleich, an wen er sich wenden kann“, erklärt das Hoffmann. Der Umgang mit Menschen mit Demenz erfordert viel Einfühlungsvermögen. „Das Schlimmste, was man tun kann, ist, die Betroffenen zu korrigieren oder auf Fehler hinzuweisen“, sagt Hering „Besser ist es, den Moment zu nehmen, wie er ist, und gemeinsam etwas Schönes daraus zu machen.“ Kleine Freuden – ein Vogel im Garten, ein Sonnenstrahl, ein gemeinsames Lied – werden zu wichtigen Ankern im Alltag.
Demenz ist eine Krankheit, für die es bislang keine Heilung gibt. Medikamente können den Verlauf allenfalls verzögern, nicht aufhalten. Umso wichtiger ist es, das Leben im Hier und Jetzt zu gestalten, Reize zu setzen, das Gehirn zu fordern und soziale Kontakte zu pflegen. „Wer sich nur noch in den eigenen vier Wänden aufhält, verliert schneller Fähigkeiten“, sagt Hoffmann. „Deshalb ist es wichtig, immer wieder neue Impulse zu geben – sei es durch Ausflüge, Gespräche oder kleine Veränderungen im Alltag.“
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