Wohnraum - Familie Stadler braucht dringend einen Bauplatz / Keine Sonderregelung im Gebiet „Kantstraße Nord“ / Grundstücke sind heutzutage sehr teuer

„Boden unter den Füßen weggerissen“

Von 
Catharina Zelt
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Elena Stadler lächelt mit Tochter Amelie in die Kamera. Händeringend sucht die Familie nach einem Bauplatz. © Stadler

Plankstadt. Die Zeit ist knapp für Familie Stadler. Dringend benötigen sie einen Bauplatz, um behindertengerecht bauen zu können. Denn die dreijährige Tochter Amelie ist krank. Sie leidet an Aicardi-Goutieres-Syndrom (AGS), einer sehr seltenen genetischen Erkrankung, die zu einer schweren geistigen und motorischen Behinderung führt und die Lebenserwartung erheblich verringert. Selbstständig laufen, sitzen oder essen kann sie nicht und auch das Sprechen wird sie vermutlich nie lernen. Um mobil sein zu können, braucht sie einen Rollstuhl. Außerdem ist Amelie rund um die Uhr auf Betreuung angewiesen. Trotz ihrer Einschränkungen ist die Dreijährige ein fröhliches Kind mit einem starken Willen. Sie lacht viel und fühlt sich vor allem in Gegenwart ihres kleinen Bruders sehr wohl.

Für Familie Stadler hat dieser Schicksalsschlag das Leben verändert. Mutter Elena Stadler ist verzweifelt, als sie unsere Redaktion kontaktiert. Schnell brauche sie einen Platz, auf dem sie ebenerdig bauen könne, um Amelie bestmöglich zu fördern und ihr ein zufriedenes Leben zu ermöglichen. „Die Nähe zu meinen Eltern, dem Kindergarten in Oftersheim und Ärzten ist für uns dabei sehr wichtig“, erklärt sie im Gespräch.

Wohnraum in der Gemeinde

„Fraktionsübergreifend ist es dem Gemeinderat in den vergangenen fünf Jahren gelungen, sehr viele Projekte und Maßnahmen für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in Plankstadt umzusetzen“, heißt es in der Stellungnahme der Gemeinde.

Zum Beispiel entstünden im Antoniusquartier aktuell 42 neue, barrierearme Wohnungen mit 30-jähriger Mietpreisbindung.

Die Mieten der rund 200 Gemeindewohnungen wurden in den vergangenen sieben Jahre nicht erhöht. 2017 wurden weitere zwölf Wohnungen für die Unterbringung von Flüchtlingen errichtet.

Der Wohnungsbestand der Gemeinde wurde 2019 und 2020 um 14 Wohnungen erweitert. zg/caz

Optimal sei das Baugebiet „Kantstraße Nord“ in unmittelbarer Nähe zum Elternhaus, in dem die Familie aktuell gemeinsam mit den Großeltern wohnt. Stadler habe auf eine Sonderregelung für ihre Familie gehofft, eine Sicherheit, hier einen Bauplatz zu bekommen. „Wir wollten keine Vergünstigungen oder Sonderkonditionen, sondern nur Sicherheit“, betont Stadler, die viele Gespräche mit Bürgermeister Nils Drescher geführt habe. Es sei dabei von Beginn an klar gewesen, dass die „Kantstraße Nord“ ein eher teures Gebiet werde, da es sich um große Grundstücke in sehr guter Lage handele. Doch mit dem Beschluss des Gemeinderates, die Grundstücke nach Bieterverfahren zu vergeben, schwanden ihre Hoffnungen auf einen Bauplatz.

Diagnose im Oktober 2018

„Als wir die Diagnose unserer Tochter im Oktober 2018 erhalten hatten, haben wir noch nicht direkt an das Thema Barrierefreiheit im Eigenheim gedacht. Kurze Zeit später informierten wir jedoch den Bürgermeister über unseren Schicksalsschlag und baten um Unterstützung“, meint Stadler. Der Beschluss, das Gebiet „Kantstraße Nord“ im Bieterverfahren zu vergeben und soziale Kriterien vollkommen außer Acht zu lassen, habe sie schockiert.

„Aufgrund unserer familiären Situation und da wir auch keinen Sozialbauplatz erwartet haben, also bereit waren den bereits angekündigten höheren Preis von mindestens 700 Euro pro Quadratmeter zu zahlen, haben wir mit einer festen Zusage von der Gemeinde gerechnet“, erklärt sie. „Als wir nun von dem Bieterverfahren erfahren haben, wurde unserer Familie der Boden unter den Füßen weggerissen.“ Sie fühle sich alleingelassen – von der Gemeinde, vom Bürgermeister, den Gemeinderäten. Wohnraum sei ohnehin sehr knapp, einen geeigneten Bauplatz ohne Unterstützung der Gemeinde zu finden scheinbar unmöglich.

Viele Projekte bereits umgesetzt

Der Wohnraummangel, der sich nicht nur in Plankstadt, sondern generell in großen Teilen Deutschlands breitmacht, ist für Bürgermeister Nils Drescher ein wichtiges Thema. „Fraktionsübergreifend ist es dem Gemeinderat in den vergangenen fünf Jahren gelungen, sehr viele Projekte und Maßnahmen für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in Plankstadt umzusetzen“, schreibt der Bürgermeister in einer gemeinsamen Stellungnahme, die er mit den Fraktionen des Gemeinderates abgestimmt hat (siehe Infobox).

Mit der innovativen Richtlinie für die Vergabe der Grundstücke im Antoniusquartier sei nach vielen Abstimmungsrunden im Gemeinderat eine europarechtskonforme Vergabe von Bauplätzen nach sozialen und ortsbezogenen Kriterien beschlossen worden. Diese Richtlinie begünstige unter anderem – wie im Falle der Familie Stadler – eine Schwerbehinderung von Haushaltsangehörigen. Das Bewerbungsverfahren für diese Bauplätze endete am 31. Januar 2019.

Für die Familie Stadler war das Antoniusquartier allerdings keine wirkliche Alternative. „Als wir angefangen haben nach einem Bauplatz zu suchen, war nur noch eine Vier-Zimmer-Wohnung frei“, erklärt Elena Stadler.

„Das zwischenzeitlich rechtskräftig beschlossene Baugebiet ,Kantstraße Nord’ basiert auf einer besonderen Erschließungssituation“, heißt es in der Stellungnahme weiter. Zum einen sei dies die Feldrandlage, andererseits die geringe Tiefe, die nur einen erschließenden Straßenzug ermögliche. Dieser Umstand führe für heutige Verhältnisse zu relativ großen Grundstücken. Die Planung datiere noch aus dem Anfang der 1980er Jahre. Die Entwicklung dieses Baugebiets sei daher kontrovers im Gemeinderat diskutiert worden. Bei der Gebietsentwicklung seien viele Wünsche der Fraktionen berücksichtigt worden, zum Beispiel durch das Einfügen von Geschosswohnungsbau und die Bildung von kleinstmöglichen Grundstücken.

„Einige Mitglieder des Rates haben stetig in den öffentlichen Diskussionen auf die geringe Eignung dieser Wohnlage für soziale Zwecke und den hohen Landschaftsverbrauch hingewiesen. Letztlich wird jedoch auch in der Kantstraße attraktiver, dringend benötigter Wohnraum geschaffen und die Gemeinde ist gleichzeitig für den Abbau des erheblichen Sanierungsstaus auf die Einnahmen aus den Grundstücksverkäufen angewiesen“, schreiben Bürgermeister und Gemeinderäte weiter.

Bedrohliche Finanzlage

Denn Projekte wie der Ersatzbau der Mehrzweckhalle und der Dr. Erwin-Senn-Halle, die Sanierung des Lehrschwimmbeckens, der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, die Barrierefreiheit der Haltestellen sowie Straßen- und Kanalsanierungen müssen eben finanziert werden. Und dies solle nach der mittelfristigen Finanzplanung ohne Schuldenaufnahme oder Gebühren- und Steuererhöhungen erfolgen, die alle Plankstadter treffen würden. Die aktuelle bedrohliche Finanzlage der Gemeinden durch die Pandemie verschärfe diese Notwendigkeit.

Der Gemeinderat hat mit überwiegender Mehrheit für ein Bieterverfahren bei der Vergabe von Grundstücken in der „Kantstraße Nord“ gestimmt. Der Beschluss wurde gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und bei einer Enthaltung gefasst. „Dies ist insbesondere unter dem Aspekt nachvollziehbar, dass eine Wertfindung für ein Grundstück in dem aktuellen Immobilienboom sehr schwierig ist. Hat die Gemeinde die Grundstücke im Antoniusquartier 2019 noch für 499 Euro pro Quadratmeter veräußert, wechselte zuletzt privat ein Baugrundstück für 1000 Euro pro Quadratmeter den Eigentümer. Dies ist eine sehr bedenkliche Entwicklung, da der Traum vom Eigenheim für viele Durchschnittsverdiener unbezahlbar wird. Die Gemeinde darf Grundstücke aber nicht unter Wert veräußern“, steht in der Stellungnahme. Zudem sei das Bauen sehr teuer geworden. Einhellig bedauerten die Fraktionen diese Entwicklung. Die Handlungsmöglichkeiten auf lokaler Ebene seien jedoch gering.

Stetiger Dialog

Die Familie Stadler steht seit dem Jahr 2018 wegen einem Bauplatz und im vergangenen Jahr auch wegen eines erfüllten Wunsch-Kindergartenplatzes für Amelie in einem stetigen Dialog mit Bürgermeister Nils Drescher. Dieser habe der Familie 2018 empfohlen, sich auf das Antoniusquartier zu bewerben. Dies sei jedoch mit Verweis auf die soziale Struktur der nahen Eisenbahnersiedlung und der Entfernung zum jetzigen Wohnhaus abgelehnt worden. Stattdessen habe sich der Wunsch der Familie auf ein Grundstück in der „Kantstraße Nord“ konzentriert.

Die Familie Stadler wisse seit dem ersten Gespräch, dass nicht der Bürgermeister, sondern der Gemeinderat für die Vergabe der Bauplätze in Plankstadt zuständig ist. Die Verwaltung habe in der Vorlage zur Grundstücksvergabe auf die über 200 vorliegenden Bewerbungen und die Vielzahl der telefonischen Anfragen hingewiesen. Eine Darstellung der vielen Einzelfälle und Familienkonstellationen, die in den vergangenen Jahren an die Verwaltung und den Bürgermeister im Zuge der Entwicklung der „Kantstraße Nord“ herangetragen wurden, sei aus datenschutzrechtlichen Gründen unzulässig und wäre auch nicht leistbar gewesen.

„Der Verwaltungs- und Finanzausschuss wurde nach einer Beschwerde der Familie Stadler seitens des Bürgermeisters nochmals eingehend über die familiäre Situation informiert. Einstimmig wurde jedoch in der Sitzung entschieden, keine Einzelfallentscheidung zuzulassen, sondern bei dem im Gemeinderat mit großer Mehrheit beschlossenen Verfahren zu bleiben. Die Grundstücke müssten sonst transparent an gleich gelagerte Fälle vergeben werden. Eine Diskriminierung Auswärtiger bei der Vergabe von Grundstücken ist rechtlich nicht zulässig.“

„Situation nicht alternativlos“

Die Situation der Familie Stadler sei darüber hinaus nicht alternativlos. Die Familie habe nun die Möglichkeit, sich am Bieterverfahren zu beteiligen, ein Grundstück einer Baulücke in einer anderen Ortslage zu erwerben, ein älteres Haus in der Ortsmitte zu erwerben und zu sanieren oder das aktuell von der Familie und den Großeltern von Amelie bewohnte Haus barrierefrei umzubauen, eventuell verbunden mit einem Umzug der Großeltern in eine ebenfalls barrierefreie Wohnung. Diese entstünden aktuell im Antoniusquartier oder zukünftig auch auf einem der drei für Geschosswohnungsbau vorgesehenen Grundstücke in der „Kantstraße Nord“ in verschiedenen Größen.

Für Elena Stadler scheint die Situation ausweglos. Zwar versuche sie nun beim Bieterverfahren ihr Glück, aber die Preise seien einfach zu hoch für die junge Familie – viel höher, als der Betrag, der noch vor wenigen Monaten im Gespräch war. „Die Therapien und Gerätschaften für Amelie kosten ja auch Geld – die Krankenkasse zahlt das nicht alles“, meint Stadler. „Ich verstehe nicht, dass bei 64 Grundstücken nicht einige wenige aus dem Bieterverfahren herausgenommen werden für Familien wie uns“, fügt sie hinzu. „Ich bin auf alle Fraktionen zugegangen; seit der Ablehnung kam keine Reaktion mehr.“ Nun suche sie weiter nach einem Bauplatz. „Jetzt kämpfe ich und warte auf ein Wunder.“

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