Plankstadt. Die Bässe von Lady Gagas "Poker Face" dröhnen durch die Halle. Ausgelassenes Stimmengewirr. Lachen. Die Stimmung bei den 30 Frauen zwischen 16 und 73 ist gut. Der Grund, warum sie ihren Nachmittag in der Schulsporthalle verbringen, ernst. "Besonders nach den Silvesterüberfällen und vor Fasching hat bei uns die Nachfrage nach Selbstverteidigungskursen stark zugenommen", sagt Nicole Kiefer. Die Nhan-Vo-Dao-Trainerin veranstaltet mit ihrem Team regelmäßig Kurse zur Selbstverteidigung, die Elemente der asiatischen Kampfkunst enthalten. In Zukunft auch für Männer. Die nächsten Kurse für Frauen sind für Herbst geplant.
"Zwar denke ich, vieles ist zurzeit auch Panikmache. Zu wissen, wie man sich verteidigt, schadet aber nie", sagt Kiefer. Auch nicht bei Grapschereien: Kiefer demonstriert mit Trainer Mark Woweries wie man sich dagegen wehrt. Von hinten fasst der Angreifer seinem Opfer an die Brust. Blitzschnell hebt sie ihren rechten Arm in die Höhe, dreht ihn nach hinten, klemmt so den einen Arm des Täters ein und kann mit dem anderen zuschlagen.
Hände haben da nichts zu suchen
Auch aus einem Würgegriff befreit man sich so. Einige Frauen scheinen sich über die Härte des Widerstandes zu wundern. Aber Kiefer sagt: "Die Hände eines Fremden haben da nix zu suchen. Warum soll man da gnädig sein, wenn man sich wehrt?" Wehren sollte man sich immer, außer, der Täter hat eine Waffe. "Gebt ihm in so einem Fall euer Geld, Handy. Hauptsache euch passiert nichts", sagt Kiefer. "In jüngster Zeit liest man viel von Überfällen." Deshalb hat sich Laura Kumpf für den Kurs entschieden. "Es ist spannend, zu lernen, mit welchen einfachen Tricks man einen Täter abwehren kann." Um das zu demonstrieren, legt sie sich die flache Hand unter die Nase: "Und dann fest schieben. Das tut höllisch weh. Sogar im Trainigsmodus."
Selbst wenn man als Opfer schon am Boden liegt, kann man sich noch wehren. "Nie aufgeben", sagt Nicole Kiefer. Und vor allem: "Nie auf den Bauch drehen. Das ist tödlich. Dann habt ihr keine Chance mehr." Eine nach der anderen legen sich die Frauen auf den Rücken, die Trainer setzen sich mit ihrem vollen Gewicht auf sie und halten die Hände fest. "Anfangs war das schon etwas unangenehm", sagt Laura, "aber die Trainer wollen uns ja helfen - und ein Täter fragt ja eh nicht".
Sind die Beine noch frei, kann man diese anwinkeln und mit all seiner Kraft das Becken nach oben drücken und so den Täter herunterwerfen. Der Überraschungseffekt kann sogar kräftige Angreifer aus dem Gleichgewicht bringen. Das Opfer gewinnt somit Zeit, kann sich wegdrehen, nachtreten, schlagen, weglaufen.
Auch für Senioren geeignet
"Auch Rentner werden überfallen", sagt Teilnehmerin Erika Baus. "Daher ist es wichtig zu wissen, wie ich mich wehren kann." Wissen, wohin man schlagen, wie man schreien muss. "Ich mache auf jeden Fall noch einen Kurs", ist sich die 73-Jährige sicher.
Kiefer und ihr Nhan-Vo-Dao-Team zeigen den Frauen am zweiten Kurssamstag jedoch nicht nur Übungen, sondern machen auch ein wenig Waffenkunde mit den Teilnehmerinnen. Alles was eine Frau in der Handtasche trägt, kann zur Waffe werden oder die eigene Faust stärken: Regenschirm, Deo, Kaugummidose, Kugelschreiber, feste Plastikflaschen, Lippenstift, Schlüsselbund. "Ganz wichtig ist, dass ihr aufmerksam bleibt", sagt Kiefer. "Blick weg vom Handy, möglichst nicht in dunklen, abgelegenen Gegenden parken, den Schlüsselbund griffbereit haben und sobald ihr im Auto sitzt abschließen."
Training hinterlässt Spuren
Bei der letzten Übung müssen die Frauen dann spontan sein: Alle spazieren durch die Halle. Sie wissen nicht ob, wann und wie sie von den Trainern überfallen werden, die sich zur eigenen Sicherheit in Ganzkörperschutzanzüge gehüllt haben. Spontan müssen sie reagieren, sich verteidigen und zeigen, was sie in den vier Kurseinheiten gelernt ha-ben.
Dass alle nach der Übung außer Atem sind, zeigt, dass sie alles gegeben haben. Selbst, wenn alles nur Übung ist. Dass sie ernst trainiert haben, zeigt am Ende der drei Stunden auch das Gesicht von Trainer Michael Christ: Zwei tiefe rote Kratzspuren ziehen sich quer über Nase und die linke Backe. Auch Fingernägel können also als Waffe eingesetzt werden.
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