Reilingen. Kein Straßenfest, keine Kerwe, kein Turnier beim Reiterverein und auch kein Fischerfest – es war ein stilles Jahr, von dem sich die Gemeinde nun verabschiedet hat. Gerade ein Ort wie Reilingen, der sich wie kein zweiter über sein Vereinsleben, seine intakte Dorfgemeinschaft definiert, war 2020 eine Katastrophe. Oder eine Chance. Denn die Kultur- und Sportgemeinschaft (KuSG) nahm die Pandemie nicht klaglos hin, krempelt die Ärmel auf und erfand ihre Feiern neu.
Kein Straßenfest – dann eben ein Tag der Dorfgemeinschaft mit Speis und Trank to go und einem Unterhaltungsprogramm auf Abstand. Ohne Reitturnier wurden die beliebten Russischen Eier ebenso wie der festlose Fisch des ASV im Straßenverkauf an das Volk gebracht.
Weichen für Jugendplatz
Und die Verwaltung schloss sich dem Reigen der Ärmelaufkrempler an, organisierte eine Gutscheinaktion für die darbende Gastronomie, versorgte die Bürger mit Mund-Nase-Masken und stand den Vereinen hilfreich zur Seite. Von den Bürgern wurden Einkaufsaktionen für Menschen organisiert, die Corona-bedingt nicht aus dem Haus konnten – kurzum, die Dorfgemeinschaft zeigte sich überaus lebendig.
Ein Jahr ohne große Feste räumt den Blick frei auf die vielen Bautätigkeiten, die einmal mehr den Jahresablauf prägten. Wobei manche Projekte in Angriff genommen, andere fortgeführt und wieder andere beendet wurden. Beispielsweise stellte die Gemeinde noch zum Jahresende die Weichen für die Errichtung eines Jugendplatzes – in Zeiten spärlich fließender Einnahmen ein deutliches Zeichen.
Seit Jahren gilt das Augenmerk der Gemeinde der Jugend, baut sie mit großen Anstrengungen die Kinderbetreuung aus. Im vergangenen Jahr gelang ihr nun ein Meilenstein an der anderen Seite der Lebensskala – mit dem neuen Seniorenzentrum samt Pflegeheim wurde eine im Bereich der Daseinsvorsorge klaffende Lücke geschlossen. Künftig braucht niemand, nur weil er im Alter auf Hilfe angewiesen ist, seinen Heimatort zu verlassen.
Über 13 Millionen Euro flossen in das Projekt Seniorenzentrum und da die Gemeinde ihre Anstrengungen zum Ausbau der Kinderbetreuung nicht zurückfuhr, rund 7,7 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr im Bereich Kindergärten und Schillerschule als Investitionen angestoßen oder abgeschlossen, kann sie hinter das vergangene Jahr einen stolzen Haken machen. Über 20 Millionen Euro wurden im Jahr 2020 final, schließt man die Vorjahre mit ein, allein in den Bereich Jugend und Senioren investiert.
Eine stolze Summe, die von der Gemeinde nicht allein gestemmt werden konnte. Beim Projekt Seniorenzentrum hat sie zwei Partner an ihrer Seite – die Firmengruppe Orbau und den Bezirksverband Baden der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Von der Firmengruppe wurde das Seniorenzentrum mit seinen Räumlichkeiten für 84 Bewohner für rund zehn Millionen Euro errichtet, von der Awo wird das Heim betrieben.
Auf dem Nachbargrundstück investierte die Firmengruppe Orbau rund 3,5 Millionen Euro in den Bau einer Wohnanlage, die Platz für 16 barrierefreie Wohneinheiten für Senioren bietet. Das Seniorenzentrum der vierten Generation, wie das Projekt beim Richtfest gerühmt wurde, trägt maßgeblich die Handschrift von Ralf Bräuninger, der stark in die Umlegung im Baugebiet „Herten II“ involviert war.
Wenn mit dem Seniorenzentrum und der Übergabe des Anbaus an die Schillerschule, die Mensa wird in diesen Tagen in Betrieb genommen, im vergangenen Jahr die Ernte dessen, was vor geraumer Zeit gesät wurde, geerntet werden konnte, so trübte nur die Pandemie die Freude. Richtfeste, Einweihungsfeiern oder Ähnliches konnte nicht oder nur im kleinen Rahmen gefeiert werden.
Während die Orbau-Gruppe mit rund 13,5 Millionen Euro innerhalb von 27 Monaten, im Sommer wurde die Einrichtung übergeben, für ein altersgerechtes Wohnen in der Gemeinde sorgte, musst die Kommune die Investitionen in den Ausbau der Schillerschule und der Betreuungsplätze größtenteils alleine stemmen.
Durch den Beschluss, die Friedrich-von-Schiller-Schule zur Gemeinschaftsschule zu erweitern, war klar, dass das vorhandene Raumangebot nicht ausreicht. Die neue Art des Lernens mit ihren Ateliers und ihrem insgesamt größeren Platzbedarf machte den Anbau an das bestehende Schulhaus unumgänglich. Wobei zum einen die Weitsicht der Vorväter gerühmt wurde – die hatten die Schillerschule so konzipiert, dass eine Erweiterung leicht möglich war – zum anderen Nägel mit Köpfen gemacht wurde und der Neubau eine Mensa samt Gastroküche erhielt, die es weiterhin ermöglicht, täglich für die Schüler, aber auch für Kindergärten, frisch zu kochen.
Kindergarten wird erweitert
Eine Investition in die Zukunft, denn der Babyboom in der Gemeinde scheint nicht abzuebben. Weshalb im vergangenen Jahr vom Rat zwei Entscheidungen getroffen wurden. Die Kindertagesstätte „Haus der kleinen Sterne“ zieht ins E-Gebäude der Schillerschule um – die Modullösung wäre auf Dauer zu teuer gekommen – und der Oberlin-Kindergarten wird um einen Anbau erweitert. Damit wird mehr Raum geschaffen und die Anforderungen des Brandschutzes erfüllt.
Doch nicht nur dem Bedarf nach Betreuungs- und Unterrichtsplätzen wurde Rechnung getragen, auch die große Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum wurde teilweise befriedigt. An der Ecke Wilhelm- und Graf-Zeppelin-Straße entstand unter der Regie der Kommunalen-Wohnungsbau-Gesellschaft (KWG) ein Mehrfamilienhaus mit acht Wohnungen. Ein paar Häuser entfernt in der Graf-Zeppelin-Straße wird ein Neubau mit sieben Wohneinheiten erstellt. Rund 2,7 Millionen Euro fließen in die beiden Neubauten. Ein Betrag, der durch einen Landeszuschuss abgefedert wird.
Ein anderes Großprojekt der Gemeinde ging gleichfalls still zu Ende – die Sanierung der Hockenheimer Straße, rund 2,5 Millionen Euro wurde in die Straße sowie in Kanäle und Leitungen investiert. Wäre man im Zeitplan geblieben, hätte ausgelassen in der Vor-Corona-Zeit gefeiert werden können, so fiel die Einweihung nach 16 Monaten Bauzeit in die Mitte des vergangenen Jahres.
Auch andere Vorhaben, die es ansonsten wert gewesen wären, die Sektkorken knallen zu lassen, wurden Corona-bedingt still gewürdigt. So nahm die evangelische Kirchengemeinde ihr neues Gemeindezentrum, das Martin-Luther-Haus, fast unbemerkt in Betrieb, wurde der Baubeginn beim „Haisl“, dem Vereinshaus des TBG Reilingen, im Stillen vollzogen.
Verdiente Bürger geehrt
Auch wenn viele Feste nicht stattfinden konnten – Bürgermeister Stefan Weisbrod ließ es sich nicht nehmen, einige verdiente Bürger, wenn auch in kleinerem Rahmen, zu ehren. Peter Schell, seit 40 Jahren im Rat, Peter Herchenhan, der Mitbegründer des „Bundes der Selbstständigen“, Richard Hartmann, seit 1992 Vorsitzender der Musikvereins, und Geschäftsfrau Sieglindes „Sigi“ Adam wurde von ihm geehrt.
Und es passt zu dem Jahr, dass auch Sabine Petzold, die seit 20 Jahren die Geschicke der Kultur- und Sportgemeinschaft (KuSG) nicht nur lenkt, sondern nachdrücklich prägt, geehrt wurde. War es doch mit die KuSG, die dazu beitrug, dem verseuchten Jahr noch das Beste abzugewinnen.
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