Friedrich Müller hat viel zu erzählen. Sein weißgraues Haar ist zur Seite gekämmt. In seinen Händen hält er Bilder einer Güterzuglok der Bauart 44 und die Personenzuglokomotive P8. Züge bestimmten einen Großteil seines Lebens. Die Strecke zwischen Mannheim und Karlsruhe kennt er im Schlaf. Der nun 85-jährige Schwetzinger ist noch die alte Dampflok auf dieser Strecke gefahren. Der Blick verfinstert sich etwas: „Die Arbeit war kein Zuckerschlecken“, erinnert sich Müller zurück.
Der Plan sei eigentlich ein ganz anderer gewesen: „Ich wurde als Klempner und Installateur ausgebildet. Da musste ich allerdings im Winter aufs Dach und im Sommer unter anderem im Keller arbeiten. Irgendwann habe ich gedacht: So kann es nicht weitergehen, meine Gesundheit geht vor.“ Damals mit gerade einmal 21 Jahren hat er sich dann nach Alternativen umgesehen. Er wollte zur Bahn in die Werkstatt, „aber da gab es zu diesem Zeitpunkt keine freie Stelle. Nur als Lokomotivführer – und das konnte ich mir nicht vorstellen.“
Mit seinen Freunden sei er dann ein paar Wochen später mit der Bahn auf den Feldberg in den Schwarzwald gefahren – Skilaufen bei bestem Wetter. „Auf der Rückfahrt saß ich dann ganz vorne hinter dem Lokführer. Da hab ich gedacht: Na, wenn der das kann, kann ich das auch!“ Gesagt, getan. Er begann eine Ausbildung 1956 und arbeitete schließlich von 1960 bis 1993 bei der Bahn als Lokführer.
Anstrengender als gedacht
Doch so einfach wie sich Friedrich Müller diese Arbeit vorgestellt hatte, sei es dann doch nicht gewesen. Er reibt seine Hände aneinander und sieht sie an, als würde sich darin die harte Arbeit von damals widerspiegeln. Sie sind etwas rau und kräftig. Damit musste er nämlich nicht nur die Lokomotive lenken, sondern vorher auch die Kohle auf den Rost in den Dampfkessel schaufeln. Das romantisierte Bild von „Lukas dem Lokomotivführer“ nach dem Buch von Michael Ende kann Müller deshalb nicht teilen. „Natürlich standen die Kinder staunend vor der dampfenden Lok, aber eigentlich war das ein Job, den keiner machen wollte.“
Bei einer fast unmenschlichen Hitze – etwa 1000 Grad Celsius im Kessel – musste Müller anfangs noch die Dampflok anheizen. Er erinnert sich an die erste Zeit seiner Ausbildung Ende der 1950er Jahre: „In der ersten Zeit ist beim Kohleschütten auch ordentlich was danebengegangen, aber mit der Zeit hatte ich den Schwung raus“, erzählt er auch etwas stolz. Am Ende einer langen Schicht brannten die Hände schmerzhaft, die Kleidung war von der Kohle dreckig und er kam oft völlig übermüdet nach Hause. Er schüttelt den Kopf, als er sich an diese Zeit erinnert. Denn die Tag- und Nachtschichten waren völlig unregelmäßig verteilt. Müllers Schlafrhythmus sei katastrophal gewesen, weil die Schichten ständig wechselten. Wenig Zeit also, um wirklich abzuschalten. „Bis die Kinder kamen, war das noch machbar, aber mit den Kleinen zu Hause wird es natürlich schwerer, schlafen zu können.“
Wenn die Freunde tanzen gingen
Besonders an den Wochenenden seien die Nachtschichten hart gewesen: „Meine Freunde haben sich dann zum Tanzen verabredet und ich stand schon mit der Tasche unter dem Arm da, weil ich zur Arbeit musste.“ Teilweise blieb er dann dort bis tief in die Nacht.
Müller begann als Heizer und steuerte dann ab 1960 die Personenzuglokomotive (kurz P8) im Führerstand – mehr als 30 Jahre, bis zu seiner verdienten Rente. Besonders nach der harten Arbeit als Heizer folgten viele schöne Momente, zum Beispiel dann, wenn die rauchende Lok Kinderaugen zum Strahlen brachte. „Viele Kinder standen mit ihren Vätern am Bahngleis und haben darauf gewartet, bis sich die großen Räder langsam in Bewegung gesetzt haben. Da wurden die Augen ganz groß“, beschreibt er seine Eindrücke.
Im Vergleich zu heutigen Verhältnissen war die P8 definitiv nicht die Schnellste, 100 Kilometer pro Stunde brachte sie schon an ihre Grenze. Ein ICE-Schnellzug schafft es heutzutage in Deutschland auf mehr als 300 Kilometer pro Stunde. Trotzdem war die P8 der königlich-preußischen Eisenbahnverwaltung beliebt und wurde auch nach dem Ersten Weltkrieg noch weitergebaut. Das schreibt die Enzyklopädie der Eisenbahnen, in dem die P8 aufgeführt ist. Ein entsprechendes Foto mit Erklärstück hat Friedrich Müller mitgebracht. Die Lok zeichnete sich vor allem durch ihre Zuverlässigkeit, Robustheit und ihren sparsamen Kohleverbrauch aus. Mitte der 1970er Jahre war allerdings Schluss für die mittlerweile umgetaufte „Baureihe 38“.
Und auch Friedrich Müller wechselte schon 1964 auf die Elektrolok. „Bei der ist man dann auch nicht mehr so dreckig geworden“, sagt er und lacht. Die Arbeit war zwar nun angenehmer, doch die Dampflok war einzigartig anzuschauen. Die großen roten Räder, die alle sichtbar durch die Kuppelstangen bewegt wurden, der qualmende Auspuff, das schwermütige Schnaufen – diese Atmosphäre fehlte seit diesem Tag. Friedrich Müller hat sie noch erlebt. Und umso schöner, dass er seine Erinnerungen mit unseren Lesern teilt.
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