Schwetzingen. Wie irrsinnig groß die Bedeutung einer guten handwerklichen Ausbildungsmöglichkeit in der Ukraine ist, war wahrscheinlich auch für die Verantwortlichen an der Erhart-Schott-Schule Schwetzingen (ESSS) eine Überraschung. Als der Stadtrat von Lwiw (deutsch: Lemberg), Bohdan Ivanus, von den Plänen berichtet, das vom Angriff der Russen gezeichnete Land nach Kriegsende wieder aufzubauen, kehrt Stille in das Lehrerzimmer ein. Spätestens jetzt ist jedem in dem umfunktionierten Aufenthaltsraum bewusst, welche Tragweite das neue Austauschprojekt der Schule mit sich bringt.
Kennzeichnend für das erste persönliche Gespräch zwischen den Schwetzinger Verantwortlichen und der frisch angereisten ukrainischen Delegation sind wohl die Pausen zwischen den Redebeiträgen. Natalia Holovato, die anwesende Dolmetscherin, baut nach jedem Satz der Anwesenden eine Brücke über die sprachlichen Barrieren hin zu den Verbündeten.
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Und von denen haben sich einige um den runden Tisch im bunten Lehrerzimmer der ESSS versammelt. Kein Wunder, immerhin nahmen die Gäste der Beruflichen Schule für diesen Anlass über 1000 Kilometer Anreise in Kauf. Die Rede ist von einer Delegation aus dem ukrainischen Lwiw, die sich mit den Schwetzinger Verantwortlichen zum zweiwöchigen Besuch von zehn ukrainischen Berufsschülern im Oktober austauscht.
Internationale Kooperation für Handwerk und Bildung zwischen Schwetzingen und Lwiw in der Ukraine
„Wir haben uns bewusst dazu entschieden, uns hier im Lehrerzimmer zu treffen. Es ist erstens lockerer und zweitens kommt in der Pause ein Barista hierher, der uns mit Kaffee versorgt“, erklärt der ESSS-Schulleiter Thomas Edinger mit einem Augenzwinkern. Neben der Schwetzinger Schule ist außerdem der Heidelberger Verein Werkstattschule an dem Tischler-Projekt beteiligt.
Bei den Berufsschülern, die im Herbst aus der Ukraine anreisen, handle es sich um Auszubildende im Bereich des Möbelbaus, so die Schulleiterin der ukrainischen Schule, Nadia Obniavka.
Projekt mit Schwetzinger Schule: Ukrainische Schüler haben schon praktische Erfahrungen
Gemeinsam mit den deutschen Berufsschülern aus dem Handwerk dürfen die Ukrainer Außenmöbel für den Pausenhof der Schule bauen. „Im öffentlichen Raum haben wir da ohnehin Bedarf“, glaubt Bürgermeister Matthias Steffan, der die Stadt an diesem Tag vertritt. Steffan sagt den ukrainischen Besuchern außerdem vollste Unterstützung bei der Unterbringung ihrer Schüler zu und empfiehlt zum Dinner den berühmten Schwetzinger Spargel.
Insgesamt hätten in Obniavkas Schule 400 künstlerisch und handwerklich begabte Schüler einen Platz. Dabei seien ungefähr 30 Prozent der Schüler schwerhörig oder taub. Schon jetzt beauftrage die ukrainische Stadt die Schüler mit Restaurierungsaufgaben, bestätigt die Schulleiterin. Weitere praktische Erfahrungen seien dank der mitgereisten Möbelbau-Unternehmerin Oksana Straz möglich, die in Lwiw als Bindeglied zwischen den Bauunternehmen und den beruflichen Schulen fungiere. „Die Nachfrage der Unternehmen wächst auf diesem Gebiet ununterbrochen“, erklärt die Geschäftsführerin eines in Lwiw ansässigen Unternehmens.
Unterstützt wird das Projekt von der Eberhard-Schöck-Stiftung, die sich für die Förderung des Handwerks einsetzt und an diesem Tag durch Katharina Gießendörfer vertreten wird. „Wir wünschen uns, dass das Projekt der Anfang einer sehr langen und intensiven Zusammenarbeit ist“, sagt Gießendörfer.
Handwerker werden in der Ukraine besonders für den Aufbau des Landes gebraucht
Seit Beginn des Krieges habe sich die ganze Ukraine in Richtung Lwiw (das frühere Lemberg) verschoben, erzählt Stadtrat Bodhan Ivanus, der für das Dezernat „Berufliche Schulen“ verantwortlich ist. Seine Aufgabe bei diesem Besuch sei es, Impressionen zu sammeln, die im Bildungsministerium zur Weiterentwicklung des beruflichen Systems der Ukraine genutzt werden könnten. Es sei bisher vergleichsweise unattraktiv, in der Ukraine eine handwerkliche Ausbildung zu machen, weiß er. Vor dem Hintergrund, dass gerade Handwerker in der Ukraine künftig besonders gebraucht würden, müsse sich das bisher komplizierte Ausbildungssystem verändern. Zwar sei der Krieg noch nicht zu Ende, es müsse trotzdem schon jetzt an den Wiederaufbau – für den gerade die handwerklichen Berufsgruppen notwendig sind – gedacht werden, findet Ivanus. Auch deshalb sei dieser Austausch so wichtig, um einerseits mit den europäischen Verbündeten im engen Kontakt zu bleiben und andererseits voneinander zu lernen.
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