Schwetzingen. Sechseinhalb Minuten vergehen, bis das akustische Signal ertönt. Sechseinhalb Minuten, in denen 500 Milliliter Blut aus meiner linken Ellenbeuge hinab in den Blutbeutel fließen. Sechseinhalb Minuten meiner Lebenszeit, die bis zu drei Patienten eine verlängerte Lebenszeit ermöglichen könnte. In den Unikliniken in Mannheim, Heidelberg oder in einem der 25 weiteren Krankenhäuser im Rhein-Neckar-Raum wird mein Blut nach gründlichen Untersuchungen denen zugeführt, die es dringend brauchen.
Aktuell sind Blutkonserven besonders gefragt. Die Sommerferien gelten traditionell als Zeitraum mit geringer Blutspendebereitschaft. Urlaubszeit, Sommerhitze und zahlreiche andere Freizeitaktivitäten halten regelmäßige Spender vom Gang an die Nadel ab. Beim Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), der rund drei Viertel der bundesweiten Versorgung mit Blutpräparaten sicherstellt, bedeutet das oft: leere Liegen. Dabei werden nach DRK-Angaben täglich etwa 15 000 Blutspenden in Deutschland benötigt. Kommt es zu größeren Versorgungslücken, dann kann das lebensbedrohliche Auswirkungen auf Patienten haben.
In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in Niedersachsen sei die Situation in den vergangenen Wochen besonders kritisch gewesen. „In einigen Fällen mussten planbare Operationen bereits verschoben werden“, sagt der Bundessprecher der DRK-Blutspendedienste, Patric Nohe. Einen bundesweiten Notstand gebe es dem Sprecher zufolge zwar nicht – „wer jetzt in Not gerät und dann ins Krankenhaus kommt, der bekommt auch noch eine Blutkonserve“, erklärt Nohe. Dennoch komme das derzeit gespendete Blut oft schon unmittelbar zum Einsatz. Die Reserven seien weitestgehend aufgebraucht.
„Wenn nicht jetzt zur Blutspende gehen, wann dann?“, ging mir durch den Kopf. Mit den Instituten in Mannheim und Heidelberg war ich berufsbedingt ohnehin schon in Kontakt, über die Rahmenbedingungen beim Blutspenden bin ich also informiert – also nichts wie ran an die Nadel.
Blutspenden: Wo täglich geöffnet ist und zahlreiche Termine verfügbar sind
Meinen Blutspendetermin buche ich mir im Vorfeld online unter www.blutspende.de/termine am Institut für Transfusionsmedizin und Immunologie in Mannheim. Die im Stadtteil Neckarstadt-Ost gelegene Einrichtung ist das regionale Institut des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg/Hessen und unterhält die Blutbank an der Mannheimer Uniklinik. Vollblutspenden können dort an vier Tagen in der Woche abgegeben werden. Im Jahr nehmen die 13 Operatoren, wie die größtenteils medizinischen Fachangestellten (MFA) wegen einer Zusatzqualifikation genannt werden, rund 3500 Vollblut-, 3000 Plasma- und 1000 Thrombozytenspenden entgegen. Entsprechend viele freie Slots im 20-minütigen Abstand sind auch kurzfristig zu vergeben. Wer seine erste Blutspende leistet, gibt anschließend die üblichen persönlichen Daten ein und schon trudelt die E-Mail mit der Terminbestätigung in den Posteingang ein.
Darin wird darauf hingewiesen, vor der Spende ausreichend zu essen und mindestens 1,5 Liter Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Für mich als tendenziell dehydrierte Person ist das eine Herausforderung. Den Termin lege ich mir deshalb bewusst auf den Nachmittag. Denn auch für morgendliche Spender gelten dieselben Regeln, wie Oberärztin Prof. Dr. Sabine Kayser mir am Institut erklärt: „Wer lediglich eine Tasse Kaffee getrunken hat, den müssen wir leider wegschicken.“
Die Angaben beim Blutspenden dienen der Gesundheit von Spender und Empfänger
Angekommen im Institut – praktisch gelegen in unmittelbarer Nähe zu einer Straßenbahnhaltestelle und mit kostenlosen Parkplätzen ausgestattet – heißt es nach der Anmeldung mittels Lichtbildausweis erst mal: Papierkram. Den ausführlichen Blutspender-Fragebogen mit Angaben über etwaige Krankheiten, Medikamenteneinnahme, aber auch zu Auslandsaufenthalten und Tätowierungen gilt es, genau durchzuarbeiten. Außerdem müssen – dem Datenschutz geschuldet in einer Art Wahlkabine – weitere Dokumente unterschrieben und Informationsbroschüren gelesen werden. Das alles dient der gesundheitlichen Aufklärung und Sicherheit des Spenders sowie des späteren Empfängers und sollte entsprechend sorgfältig und gewissenhaft erfolgen.
Anschließend werden im Warteraum Gewicht, Körpertemperatur, Blutdruck, Puls und durch einen Pieks in den Finger auch der Hämoglobinwert gemessen. Das sieht bei mir alles gut aus, weiter geht’s dann zu einem der drei Ärzte.
In einem vertraulichen Arztgespräch wird jeder Spender jedes Mal aufs Neue auf seine Tauglichkeit an diesem Tag getestet. Dass die Gesundheit von Spender und Empfänger an oberster Stelle steht, wird bei diesem gründlichen Check-up deutlich. Dr. Marcus Steiner geht den Spender-Fragebogen noch mal mit mir durch, schildert den Ablauf und klärt mich über Risiken und Nebenwirkungen sowie offene Fragen auf. So könnten durch den Einstich mit der Nadel etwa Arterien oder Nerven beschädigt werden oder die Einstichstelle könne sich entzünden. Das meiste käme aber sehr selten vor, gibt der Arzt Entwarnung und ergänzt: „Die allermeisten Patienten gehen beschwerdefrei nach Hause.“
Der Gang in den Spenderaum bleibt am Mannheimer Institut aktuell 7,4 Prozent der Spendewilligen verwehrt. Minderjährige, Personen mit einem Körpergewicht unter 50 Kilogramm oder mit zu niedrigen Blutdruck- und Eisenwerten sind vom Spenden ausgeschlossen. Einfacher als die Aufzählung etwaiger Ausschlusskriterien ist aber jene der Einschlusskriterien: Volljährigkeit, mindestens 50 Kilogramm Körpergewicht und am Tag der Spende gesund und fit. Wer im Vorfeld auf Nummer sicher gehen möchte, der kann bei der Online-Anmeldung einen Spende-Check mit 25 Fragen durchführen. Dieser gibt jedoch lediglich Hinweise und ersetzt weder das Ausfüllen des Fragebogens noch das Arztgespräch vor Ort.
Erstspender dürfen zu Beginn übrigens nur Vollblut abgeben
13 türkisfarbene Liegen erwarten mich im Spenderaum, vier davon dienen der Abgabe von Vollblutspenden. Für Erstspender sind sie verpflichtend die erste Anlaufstelle. Dafür sind neben Blutbeutel und Waage keine Maschinen notwendig. Die Schwerkraft befördert den roten Lebenssaft automatisch in den Beutel. Nadine Brock, eine der medizinischen Fachangestellten im dunkelroten Kasack, scannt meine Ellenbeugen nach der richtigen Vene und zieht den Stauschlauch fest. Bevor sie die Nadel nach der Desinfektion in meinen linken Arm sticht, nutzt sie Trick 17: Ich solle doch mal die vorbeifahrenden Autos zählen. Kaum den Blick aus dem Fenster gerichtet, fließt schon das Blut.
Mit mir im Spenderaum ist an diesem Nachmittag Thomas Krohne. Der Mannheimer tippt lässig auf seinem Smartphone, während die Nadel im anderen Arm an eine Maschine angeschlossen ist. Der Polizist leistet mit seiner regelmäßigen Thrombozytenspende bereits seit 1992 seinen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. Es ist seine 41. Spende, verrät ein Blick in sein Nachweisheft. Erst vor einer halben Stunde sei er angerufen worden – kommt es zu Engpässen, ergreift das DRK selbst die Initiative und kontaktiert registrierte Spender – und liegt jetzt für anderthalb Stunden auf der Liege. Durch die Untersuchungen vor Blutspenden seien in seinem Umfeld teilweise Erkrankungen frühzeitig erkannt worden, erklärt der Polizist seinen Antrieb. „Es hat den Vorteil, dass man immer lückenlos überwacht wird“, sagt er und deutet auf ein Dokument mit seinen Blutwerten.
Nur einen Bruchteil seiner Zeit verbringe ich auf der Liege. Die 500 Milliliter fließen im Eiltempo aus mir heraus. In der Hand knete ich eine Mullbinde, das soll den Blutfluss anregen. Kaum ziehe ich zum Zeitvertreib das Smartphone aus der Hosentasche, meldet sich die Waage. „Das war ganz schön schnell“, merkt Anja Zumkeller an und zieht die Nadel ab. Eine Viertelstunde hätte ich Zeit gehabt, danach müsste sie die Entnahme aus rechtlichen Gründen abbrechen, erklärt mir die Operatorin. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen hat sie im Spenderaum stets ein Auge auf die Spender und ihr Wohlbefinden. Die Stimmung ist locker. Die meisten Spender kommen regelmäßig, sie kennen und unterhalten sich untereinander.
Um Nachblutungen zu vermeiden, bekomme ich einen Tupfer mitsamt Verband um die linke Ellenbeuge. Das ist schon eine andere Kategorie als das bekannte Pflaster nach einer üblichen Entnahme. Rund zehn Minuten verbleibe ich zur Beobachtung noch auf der Liege. Den restlichen Tag solle ich ruhig angehen, sagt Nadine Brock, auf Sport oder einen Saunagang verzichten, des Kreislaufs wegen. „Am besten einfach auf der Couch bleiben“, rät sie mir, bevor ich den Spenderaum nach einer guten Viertelstunde wieder verlasse. In vier bis acht Wochen würde ich meinen Spendeausweis erhalten, sofern die Labortests nicht anschlagen. Dort ist dann auch die Blutgruppe vermerkt. Von den restlichen Ergebnissen erfahren Spender nichts, sofern sie keine Relevanz haben.
Viele Paare kommen gemeinsam ans Mannheimer Institut zum Blutspenden
Der Warteraum ist gut frequentiert – und die Auslage üppig mit Snacks bestückt. Belegte Brötchen, Obst und Gemüse, Joghurt, Schokoriegel sowie Kaltgetränke sollen den Kreislauf in Schwung halten. Für den Ernstfall steht eine Liege bereit. Von Getränken bis zur Infusion sind sie im Institut ausgestattet, um einem Kreislaufkollaps zu begegnen. Die halbe Stunde, die dort zur Nachbeobachtung verbracht werden soll, vergeht wie im Flug. Mehrere Paare sind an den Tischen zu sehen. Sie scheinen die Spenden als gemeinsame Unternehmung anzugehen. Ein netter Gesprächspartner kann bei den rund 90 Minuten, die eine Thrombozytenspende in Anspruch nimmt, sicher nicht schaden.
Ich verlasse das Mannheimer Institut als einer der vielen Spender ohne jegliche Beschwerden. Von vorne bis hinten habe ich mich bei Prof. Dr. Sabine Kayser und dem Operatorenteam bestens aufgehoben und wohlgefühlt. Und selbst das einzige Vorhaben für den Abend konnte ich im Anschluss streichen: Nach der Blutspende gab es schließlich ausreichend Verpflegung. So verbringe ich den restlichen Tag wie empfohlen weitestgehend auf der Couch.
Später schlafe ich nicht nur bei bester Gesundheit, sondern auch mit einem guten Gefühl ein. Dem Gefühl, mit einer für mich schlichten Gabe lebenswichtige Hilfe geleistet zu haben. Dem Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.
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