Schwetzingen. 60 Jahre ist es her, dass der Skandalroman „A Clockwork Orange“ von Anthony Burgess erschien, der Anfang der 1970er in der gleichnamigen Verfilmung von Kultregisseur Stanley Kubrik zu Weltruhm gelangte. Exzessive Gewalt, die der 15-jährige Alex mit seinen drei „Droogs“ mit Genuss in der Geschichte verübt, sorgte schon damals für Diskussionen. Prügelnd und vergewaltigend zieht er in einer dystopischen Zukunft durch London. Der Tod einer Frau bringt ihn schließlich ins Gefängnis und durch ein experimentelles Gehirnwäscheverfahren wird er schließlich in ein „gutes und gesetzestreues Mitglied“ der Gesellschaft verwandelt, um danach selbst zum Opfer von Gewalt zu werden.
In einem Gastspiel der Theaterkumpanei Ludwigshafen am Theater am Puls (TaP) in Schwetzingen zeigte Schauspieler Philipp Leinenbach sein beeindruckendes Können. Rund 90 Minuten spielte er in dem faszinierenden Multimedia-Ein-Mann-Stück ohne Pause. Das Theaterstück, dessen Uraufführung vor zehn Jahren im Pfalzbau Ludwigshafen stattgefunden hat, war trotz dessen Erfolg in Schwetzingen das letzte Mal auf einer Bühne zu sehen. TaP- Intendant Joerg Steve Mohr bot für das große Finale die passende Plattform vor ausverkauftem Haus.
„Clockwork Orange“ im Theater am Puls: Einige Gäste verlassen den Raum
Teenager Alex liebt aber nicht nur brutale Gewalt, sondern auch Beethoven. Benebelt von „Messermilch“, einem Drogengesöff, treibt er’s zum Exzess – mit Menschenjagden, mit der Gruppen-Vergewaltigung einer Frau vor ihrem zum Krüppel geschlagenen Ehemann, dabei „Singin’ in the rain“ intonierend. So viel Gewalt hält nicht jeder aus, selbst wenn diese nur erzählt, schauspielerisch (von einer Person) und durch Lichteffekte dargestellt wird. So verließen sogar ein paar Zuschauer den Raum vorzeitig. Auch nach all den Jahren gewöhnungsbedürftig: die Kunst-Jugendsprache „Nadsat“, im Original eine wilde Mischung aus englischem Cockney-Slang und russischen Lehnwörtern. Die Jugendkultur als eigenes Lebensumfeld in einer fern in der Zukunft liegenden Welt. Aber nur anscheinend – sind Gewaltexzesse jedweder Art doch auch heute rund um den Globus noch an der Tagesordnung – ganz nah in der Ukraine oder noch näher in unserer unmittelbaren Umgebung, etwa in den düsteren Ecken mancher Großstädte. Aktualität pur also.
Nach all dem „Tollschocken“ (Verprügeln) und „Subys“ (Zähne ausschlagen) landet Alex nun in der „Ludovico-Klinik“, um dort dank optischer Stimulation und medizinische Wirkstoffe eine Aversion gegen Gewalt zu entwickeln, die in ihm Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen auslöst. Später dann erfährt er selbst Gewalt von denen, die er peinigte, und von einem autoritären Staat, der ihn politisch instrumentalisiert und dafür sogar belohnt.
„Clockwork Orange“ im Theater am Puls: „Krasses Schauspiel. Bombe!“
Überzogene Konsumkultur, Technisierung der Gesellschaft, um sich greifender Hedonismus, perverse Ästhetisierung der Gewalt, staatliche Repression, Jugendgewalt – all dies wird in dem Kultstück aufgegriffen und regt zum Nachdenken an. Darf man dem Menschen seinen freien Willen nehmen und zu sozial konformen Leben zwingen, ihn programmieren mittels Gehirnwäsche? Ist er dann überhaupt noch ein Mensch? Was bleibt, ist die Frage und die Erkenntnis, dass man das Schlechte überall antreffen kann.
Bernd Hoberger aus Rauenberg meinte enthusiastisch: „Leinenbach war der Hammer. Ich kenne den Stoff und den Film. Ohne wäre es nur schwer verständlich gewesen.“ Rebecca Krämer aus Mannheim kommentierte: „Krasses Schauspiel. Bombe! Ich dachte mir schon, dass es gut werden würde. Aber so gut?!“ Auf die Frage, ob Menschen von Natur aus gut oder schlecht seien, entgegnete sie: „Nein. Das liegt alles in der Kindheit!“
„Clockwork Orange“ im Theater am Puls: Ende aus Lizenzgründen
„Wir arbeiten gerne und schon lange mit der Theaterkumpanei zusammen. Und dieses Stück liebe ich einfach“, so Intendant Joerg Steve Mohr. Theaterschauspieler Philipp Leinenbach sagte noch voller Adrenalin: „Ich glaube, ich werde diese Nacht nicht schlafen können. Alex habe ich bestimmt schon 25 bis 30 Mal auf der Bühne verkörpert.“ Die Atmosphäre im TaP würde er wegen der räumlichen Nähe zum Publikum besonders schätzen und ergänzte: „Reaktionen und Energie sind da intensiv erlebbar. Und es ist besser für das Stück, keine Pause zu machen.“ Regisseur Peer Damminger ergänzte: „Ich habe Joerg (Mohr) bei der Premiere kennengelernt. Dass die erste Aufführung im großen Pfalzbau und die letzte nun hier in diesem intimen Rahmen stattfinden konnte, freut mich sehr.“ Es sei ein intensives Stück. Als seine Partnerin zum ersten Mal die Vergewaltigungsszene gesehen habe, hätte sie dieser nicht lange beiwohnen können.
Dass dies nun die letzte Vorstellung gewesen sei, habe pragmatische Gründe. „Die Rechte sind an den Verlag in Großbritannien zurückgefallen und eine Lizenz für Aufführungen zu bekommen, die jetzt für jede einzelne neu beantragt werden muss, ist ungleich schwieriger.“
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