Der Abschiedskuss

Gert Häusler schärft den Blick bei einer aktuellen Dokumentation

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Gert Häusler
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In der ZDF-Mediathek ist noch die fünfteilige Doku „Inside Bündnis Wagenknecht“ zu sehen. Zwei Journalistinnen begleiten über ein Jahr lang die BSW-Gründerin, ihr politisch-persönliches Umfeld mit der entstehenden neuen Partei. Die Hintergründe der politischen Gewichtsverschiebungen – wie jetzt in Brandenburg, Thüringen und Sachsen – werden gut beleuchtet. Ob und wie Regierungsbildungen mit dem BSW überhaupt möglich sind, verfolgen politisch Aktive und Interessierte mit Spannung.

Welchen Spielraum wird die „Chefin“ in Berlin den Landesverbänden letztendlich zugestehen? Sahra Wagenknecht lässt die Kamera nah, aber sehr kontrolliert an sich heran. Sie will ein Bild zeigen, dass sich abhebt von den übrigen Protagonisten im Politbetrieb. Wie weit das gelingt, das mag jeder Seher für sich selbst entscheiden. Manchem fallen dabei aber auch Kleinigkeiten auf. Als sich meine Frau die Folgen ansah, stimmten sie hauptsächlich die politischen Auswirkungen nachdenklich, dennoch machte sie eine bezeichnende Beobachtung am Rande: Am Flughafen Saarbrücken kommt ein Auto an, Sahra Wagenknecht steigt aus und ein älterer Herr beugt sich in den Wagen und reicht ihr die Handtasche. Als er sich umdreht, erkennt man Oskar Lafontaine, ihren Ehemann.

Nachdem er die Tasche übergeben hat, steigt er wieder ins Auto. Dazu bemerkte meine Frau anschließend: „Er hat ihr ja gar keinen Abschiedskuss gegeben.“ Nun kann es Gründe geben, dies nicht zu tun, aber bei einem von ihr mitgestalteten Film, der auch Nähe zeigen soll, bemerken aufmerksame Zuschauerinnen den fehlenden Kuss schon. Eine mit neugierigen Augen durch die Welt gehende und verwitwete Freundin erzählt dazu stets von ihren Beobachtungen offensichtlich langjähriger Paare. Häufig würden sich diese in Restaurants und sonstigen Gelegenheiten mehr anschweigen, als miteinander zu reden, und viele wirkten auf sie wie Zweckgemeinschaften.

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Ob die immer wieder in Machtkämpfe verstrickten und permanent auf Hochtouren laufenden Spitzenpolitiker abseits aller Kameras und Mikrofone noch in der Lage sind, ganz privat und liebevoll zu sein? Das kann man nicht nur bei dem Paar Wagenknecht/Lafontaine fragen. Landespolitisch wird man sehen, ob es demnächst zu Handschlag und Wangenküsschen kommt oder ob sich die Verhandler erstmal sang- und klanglos verabschieden. Wer wen bundespolitisch „küssen“ wird, wird im neuen Jahr die nächste Frage sein.

Freier Autor Gert Häusler schreibt gern Kolumnen über Alltägliches.

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