Gartenserie - Häufig sind Pächter von Schrebergärten als Spießer verschrien / Der Altersdurchschnitt auf den Anlagen sinkt aber deutlich / Das Für und Wider umtriebiger Kleingärtner

Der kleine Garten für viele Bewohner

Von 
Christian Hoffmann
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Es gibt Begriffe, die unweigerlich Assoziationen erzeugen. Das Wort „Kleingarten“ ist ein solcher. Kleingarten gleich Gartenzwerge, gleich Plastikstühle samt Blümchentischdecke, gleich Nachbarn, die sich ständig über die Lautstärke beschweren. Kurz: Der Kleingarten scheint für manche die Spießerhölle schlechthin zu sein. Ist dieses Bild noch zeitgemäß?

Nun ja. Bei manchem Pächter mag dieses Bild noch immer zutreffen. Wenn der Nachbar einen über den Gartenzaun stets mit kritischem Blick beäugt und auch der ein oder andere Kommentar zur schiefen Hecke nicht ausbleibt, weiß man, er ist einer von diesen sogenannten Spießern. Jedoch ist dies mit Sicherheit nicht die Regel. Zurzeit jedenfalls wären ganz bestimmt viele Menschen nur zu gerne Pächter einer solch spießigen Idylle, die einen aus dem noch immer ungewohnten neuen Alltag herausreißt, den die Corona-Krise geschaffen hat.

Ich selbst bin kein Pächter, habe lediglich eine an meine Wohnung angeschlossene Terrasse, immerhin. Wäre nicht gerade jetzt, in Zeiten, in denen es nicht selbstverständlich ist, überall hinzugehen, ein kleiner Garten am Rande der Stadt eine willkommene Abwechslung?

Kilian Kelputh, stellvertretender Vorsitzender des Kleingärtnervereins Schwetzingen, sagt ja. „Ein Kleingarten, so Kelputh, „kann eine grüne Oase sein. Er bietet jedem Pächter eine gute Mischung aus Erholung und körperlicher Betätigung und somit Abwechslung vom Büroalltag. Kinder“, ergänzt er, „können sorgenfrei die Natur erkunden.“

Ich erinnere mich heute noch sehr gut an die Zeit in meiner Kindheit, in der Freunde meiner Eltern Pächter eines solchen Kleingartens waren. Meine damalige beste Freundin Caro und ich haben unentwegt gespielt, Krebse des direkt anliegenden Badesees auf ihre Anatomie geprüft und bei gutem Wetter stets in einem Zelt übernachtet. Sicherlich sind Erinnerungen grundsätzlich verklärt und der sich Erinnernde neigt nicht selten zur Romantisierung des Erlebten. In der Retrospektive spielt dies aber keine Rolle, da die Erinnerung zu meiner ganz eigenen Realität wird. Und jene Erinnerung an den Kleingarten, soviel kann ich sagen, ist eine gute.

Dennoch gilt in vielen Kreisen noch immer: Ein Kleingarten ist spießig. Wer nicht älter als 50 ist und sich Sorgen darum macht, was andere von ihm halten, sollte demnach einen großen Bogen um jede Kleingartenkolonie machen. Nicht, dass er aus Versehen über einen Gartenzwerg stolpert. Ein veraltetes Klischee oder die ungeschönte Wahrheit? Folgt man aktuellen Zahl, handelt es sich, jedenfalls was das Alter der Pächter angeht, um eine Sage längst vergangener Zeiten. Das Alter der Pächter hat nämlich deutlich abgenommen. Heute sind es vor allem junge Familien, die ihr Interesse an einer Parzelle bekunden. Dies bestätigt Kelputh, der selbst erst 28 ist: „Noch vor einigen Jahren waren viele Pächter 65 oder 70 Jahre alt. Heute interessieren sich vor allem junge Menschen um die 30, meist mit Kindern, für einen unserer Kleingärten. Sie sind auf der Suche nach Gemeinschaft, die es im Kleingarten, wenn auch eingeschränkt, noch immer gibt.“

Die Nachfrage steigt deutlich

Für den jungen Städter, der tagein, tagaus auf seiner Tastatur rumklimpert und sich in der betonierten Umgebung, die ihn permanent umgibt, selbst verliert, kann ein Kleingarten eben doch einen Zufluchtsort sein, in dem er einfach durchatmen kann. Um zu verstehen, was dies bedeutet, kann man sich folgendes Bild vorstellen: Das selbst gekochte Johannesbeergelee und Joghurt mit roten Stachelbeeren aus eigener Zucht stehen essbereit auf dem selbstgezimmerten Holztisch. Kinder springen im Planschbecken auf und ab. Am Nachmittag wird der Grill entzündet, um gemeinsam mit Freunden zu essen. Auch wenn das Grillen mit den Freunden derzeit entfallen muss oder nur eingeschränkt stattfinden kann, kommen die Kinder auf ihre Kosten, wie jedenfalls meine Erinnerung mir noch immer weiß machen will. Ausreichend Platz für umtriebige Kleingärtner gibt es, folgt man den nackten Zahlen, genug.

Der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde (BDG) nennt für Deutschland die Zahl von 905 000 Kleingärten, die eine Fläche von rund 40 000 Hektar einnehmen – oft in attraktiven Stadtrandlagen. Die Neue Zürcher Zeitung hat errechnet, dass dies über 100 Parks von der Größe des Englischen Gartens in München entspricht. Das klingt nach einer Menge Platz. Zahlen spiegeln jedoch nicht immer die Realität wider. „Seit der Corona-Krise haben wir deutlich mehr Anfragen, so Kelputh, der ergänzt: In den vergangenen Wochen waren es über zwanzig und damit deutlich mehr als üblicherweise.“ Die Wartelisten seien jedoch ohnehin schon voll, so dass der Traum vom eigenen Garten für viele erst nach jahrelangem Warten in Erfüllung gehen wird.

Urban Gardening oder Gemüsebeet

Um das dann gepachtete Grün mit Überzeugung bearbeiten zu können, müssen natürlich die Bedingungen stimmen. Ist dies der Fall, können selbst gezogene Tomaten im Salat oder Karotten im Topf, die man zuvor eigenhändig gesät hat, ungeahnte Glücksmomente erzeugen. Ganz abgesehen davon, dass man sich als Bildschirm- und Tastaturarbeiter hin und wieder gerne die Finger schmutzig macht. Wer will, kann daraus sogar einen „Lifestyle“ machen und von Urban Gardening sprechen. Apropos Lifestyle: Der gerade ultrahippe Selbstversorgungsgedanke, der im Zuge der Corona-Krise nochmals einen ganz neuen Aufschwung erlebt, stand am Taufbecken der Schrebergartenbewegung. Was heute der Wunsch naturentwöhnter Städter nach Obst und Gemüse ist, das nicht auf Massenplantagen angebaut und über Ozeane in hiesige Supermärkte geschippert wurde, war damals, als die Industriegesellschaft die Agrargesellschaft ablöste, pure Notwendigkeit: die Versorgung einer wachsenden städtischen Bevölkerung mit Obst und Gemüse und zudem die Schaffung von Bewegungs- und Erholungsflächen für die Arbeiterschaft und ihre Kinder. Wegen dieser gesellschaftlichen Funktion werden die Kleingartenvereine von den Kommunen auch heute noch gefördert: Die städtischen Flächen, auf denen sie sich ausbreiten, kosten sie und damit die einzelnen Pächter relativ kleines Geld.

Jedoch ist ein Kleingarten längst nicht für jeden etwas. „Jeder Pächter muss Gemüse anbauen und sich an bestimmte Vorgaben in der Gartengestaltung kümmern“, so Kelputh. Daran sollte der freiheitsliebende Gartenfreund vor der Pacht stets denken.

Freier Autor

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