„Berlin 1937 – Im Schatten von morgen“ war eine Ausstellung im Berliner Märkischen Museum überschrieben, die inzwischen zu Ende gegangen ist. Überraschenderweise enthielt sie ein Exponat mit Bezug zu Schwetzingen. Denn gezeigt wurden hier Tafeln des antisemitischen Hetzblatts „Stürmer“, und darunter jene Seite, auf der gegen den Eigner und Verleger der Schwetzinger Zeitung, Albert Moch, Propaganda gemacht worden war.
1937 hatten die Nationalsozialisten in einer Ausstellung in den Berliner Messehallen ihr Vorgehen seit 1933 propagandistisch der Öffentlichkeit präsentiert, im selben Jahr wurde in Berlin das 700-jährige Stadtjubiläum gefeiert. Das Märkische Museum, Stammhaus des Stadtmuseums Berlin, nimmt dies zum Anlass einer kritischen Auseinandersetzung mit den großstädtischen Lebenswirklichkeiten unter den Bedingungen der NS-Diktatur.
Der Alltag in der NS-Vorkriegszeit
Gezeigt sollte dabei werden, wie sich Berlin damals Einwohnern und Besuchern der Stadt präsentierte, welche Brüche oder Kontinuitäten im öffentlichen und privaten Raum festzustellen waren. Wie konnte das NS-Regime im „roten“ Berlin Zustimmung finden und wie deutlich zeigte sich sein verbrecherischer Charakter bereits vor Krieg und Holocaust? Dafür wurde der Alltag der Vorkriegszeit in den Vordergrund gerückt, sollten 50 exemplarische Objekte, verbunden mit Zeitzeugenberichten, die Geschichte „zum Sprechen“ bringen.
Für den nazistischen Alltag stehen beispielsweise die Tastatur der Schreibmaschine Olympia Dm1 mit dem Sonderzeichen „SS“, eine Spenden-Sammelbüchse des „Gaus Berlin“ oder ein SA-Diensthemd. Ein direktes Propagandainstrument stellte das Radio dar, und noch die Typenbezeichnung des „Volksempfängers“ zeugte von der Prägung der Zeit: der „VE 301“ sollte an den Tag der Machtübernahme, an den 30. Januar 1933, erinnern.
Am meisten aber interessiert uns nun das Objekt mit Schwetzinger Ortsbezug: Wie gelangte die antijüdische „Stürmer“-Hetze gegen den Eigentümer und Betreiber der Schwetzinger Zeitung von 1935 in die Ausstellung zu Berlin 1937? Überdies zeigt ein genauer Blick auf die Wiedergabe, dass die Titelseite eine andere Ausgabe, Nummer 20 vom Mai 1935, als die mit der Hetze gegen Moch (und seinen Sohn) zeigt, Nummer 23 vom Juni 1935.
Von Beginn an wollten die Nationalsozialisten Juden aus dem deutschen Pressewesen verbannen. Die Propaganda von „Hakenkreuzbanner“ und „Stürmer“ richtete sich in diesem Sinn auch gegen Albert Moch und seinen katholisch getauften Sohn Guido und ihre Schwetzinger Zeitung. So hielt man Vater Moch vor, ein SS-Schaureiten karikiert und in seinem „Kampf gegen das Hakenkreuz“ 1932 ein Inserat aufgenommen zu haben, in dem von der „Ermordung einer arischen Sau“ die Rede war. Bis Ende 1935 wurde das Blatt auf Anweisung der Reichspressekammer Berlin „arisiert“, also enteignet.
Sollte nun in der Ausstellung die gezielte Schließung einer Zeitung in „jüdischem“ Eigentum bei der Auswahl der „Stürmer“-Ausgabe eine Rolle gespielt haben oder lediglich ein Beispiel dieses Hetzblattes präsentiert werden? Wie der Kurator der Sonderausstellung „Berlin 1937“, Gernot Schaulinski, mitteilte, wurde dabei eine gezielte inhaltliche Auswahl einer Ausgabe des Blattes nicht getroffen.
Vielmehr war von Bedeutung, dass es sich bei dem präsentierten Objekt um eine Tafel mit aufgeklebten Zeitungsseiten handelte, die seinerzeit in einem der Schaukästen, einem sogenannten „Stürmerkasten“ gezeigt wurden. Die Tafel war 2015 auf dem Dachboden einer Ausflugsgaststätte in Berlin-Schmöckwitz gefunden worden, die abgerissen werden sollte, und wurde der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz übergeben.
Sie war möglicherweise im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 1936 abgebaut und eingelagert worden, um etwa internationale Sportfunktionäre oder Journalisten bei der Präsentation der im Bau befindlichen Sportstätten nicht zu stören. Bekanntlich sollten ab 1935 Tafeln mit antisemitischen Aufschriften unauffällig entfernt werden, zunächst, um die Abhaltung der Spiele nicht zu gefährden, dann zur Täuschung der internationalen Öffentlichkeit. In der Nähe des Fundortes befand sich die olympische Regattastrecke in Grünau.
Verlag förderte die Schaukästen
Auf der Tafel bilden die für das Hetzblatt typischen Parolen „Das ist der Jude: Der Feind aller Nationen“ und „Wer beim Juden kauft, stiehlt Volksvermögen“ den Rahmen für antisemitische Karikaturen des „Stürmer“-Zeichners Philipp Rupprecht („Fips“). Dabei war es nicht der Verlag, der die Schaukästen samt der Tafeln erstellte, sondern die Leute vor Ort, in Schwetzingen beispielsweise ein Nazi-Holzbildhauer, der für die Stadt auch ein „künstlerisches“ Stadtwappen aus Holz gestaltet hatte. So trugen Nazi-Fanatiker zur Verbreitung des Blattes bei.
Durch dauernde Veröffentlichungen von Aufnahmen dieser Eigenkonstruktionen förderte der Verlag diesen Einsatz. Bekanntlich glaubten die Schwetzinger Nazis in dem Blatt, während sie ihren Stolz über ihre vermeintliche „Aufklärung in der Judenfrage“ kundtaten, ihren „Stürmerkasten“ als „vielleicht [...] schönste[n] im ganzen Reiche“ rühmen zu dürfen.
Die in Berlin erhalten gebliebene Tafel aus einem solchen Kasten ist, so Kurator Schaulinski, ein einzigartiges historisches Artefakt. Das Objekt dokumentiert die unübersehbare Präsenz des Antisemitismus im öffentlichen Raum. Zumeist wurden, auch das gehörte zur auferlegten Befreiung vom Nazismus, die noch vorhandenen Kästen und Tafeln spätestens 1945 abmontiert oder umgewidmet. In Schwetzingen waren in den Kästen an derselben Stelle nun andere, nämlich Vereinsmitteilungen zu lesen. Das Berliner Exponat wird ab 2020 schließlich auch in der neuen Dauerausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz zu sehen sein, heißt es von Seiten des Kurators Schaulinski.
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