Schwetzingen. Unter dem Motto „Sommerzeit ist Lesezeit“ präsentierte das Stadtarchiv am Dienstagabend ein Buch mit historischem Hintergrund und Bezug zu Schwetzingen. Dr. Harald Stockert, Autor und Leiter des Marchivums in Mannheim, stellte sein Werk mit dem Titel „Napoleons Zweitfamilie in Mannheim – der Sohn, die Geliebte, die Adoptivtochter und der Intendant des Nationaltheaters“ in der Stadtbibliothek vor. Bürgermeister Matthias Steffan begrüßte zu der Veranstaltung und warb für das Archiv für Stadtgeschichte und Erinnerung. Der Schwetzinger Bürgermeister und der Historiker aus Hockenheim kennen sich seit Langem. Steffan ist Mitherausgeber des Buches „Moskau – Mannheim – Paris, Europa am Wendepunkt einer Epoche“, in dem Stockert über den Rheinübertritt russischer Truppen bei Mannheim am 1. Januar 1814 schreibt.
Sein neues Buch erzählt die spannende Geschichte von Stephanie, Eleonore, Karl August und Leon und führt zurück in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach Mannheim und Seckenheim, Paris und London. Die zwei Frauen und zwei Männer haben alle mit Napoleon zu tun. Stephanie de Beauharnais war die Adoptivtochter des Kaisers und badische Großherzogin. Eleonore Denuelle de la Plaigne war für kurze Zeit die Geliebte Napoleons und hatte mit ihm den unehelichen Sohn Leon. Später heiratete sie Karl August von Luxburg und zog mit ihm nach Mannheim, wo dieser Intendant des Nationaltheaters wurde. Die letzten drei sind heute weitgehend vergessen. Aber Stephanie de Beauharnais nicht.
Stadtarchivar Joachim Kresin skizzierte die Lebensgeschichte der mitten in den Wirren der Revolution 1789 in Versailles geborenen Französin. Napoleon Bonaparte hatte die Hochzeit zwischen ihr und Erbprinz Carl Ludwig Friedrich 1806 arrangiert, um Baden stärker an Frankreich zu binden. Die Ehe war schwierig. Erst vier Jahre nach der Hochzeit fanden sie zueinander. Das erste Kind wurde im Schloss Schwetzingen geboren. Luise von Baden folgten zwei weitere Söhne, die bereits früh verstarben, und zwei Töchter. Stéphanie und ihr Ehemann lebten zuerst in Mannheim – ab 1811 dann im Karlsruher Schloss. Nach dem frühen Tod Carls 1818 erhielt Stéphanie Mannheim als Witwensitz. Sie kam fortan nicht mehr nach Schwetzingen, sagt Kresin.
Beginn mit dem Winter 1822/23 in Mannheim
Stockerts Schilderung beginnt mit dem Winter 1822/23 in Mannheim, einem der kältesten des Jahrhunderts, als der junge Franzose Leon im Schloss Seckenheim auf seine Mutter, Gräfin Eleonore von Luxburg, trifft. Deren Mann Graf Karl August weiß, dass seine Frau für kurze Zeit die Geliebte Bonapartes gewesen war und mit diesem einen Sohn hat.
Das Buch beschreibt die wechselhaften und teilweise abenteuerlichen Lebenswege von vier Napoleoniden. Man könne fast von einer „Zweitfamilie“ des Korsen sprechen, meint Stockert. Die außergewöhnlichen Lebensläufe machten sie damals zu Figuren der internationalen Presse. Der 53-jährige Marchivum-Direktor wählte bei seinem Werk die Methode des „Storytelling“. Mit kleinen Geschichten werden der Leserschaft „en passant“ historische Informationen vermittelt.
In der Stadtbibliothek erzählte Stockert von einem „Abbild des zwei Jahre zuvor verstorbenen Kaisers Napoleon Bonaparte“ und von einer Heldentat des 15-jährigen Louis-Napoleon, mit der der spätere französische Kaiser Napoleon III. im Frühjahr 1823 „sprichwörtlich in Mannheim baden gegangen ist“.
Er schilderte die Kindheit Leons und wie der Sohn Napoleons zur international bekannten Skandalfigur aufgestiegen war. Das Buch befasst sich mit dem „gescheiterten Militär“ Karl August von Luxburg und dem „empörten, beleidigten und gehörnten Revel“ als Ex-Mann Leonores auf seinem Rachefeldzug. Karl August von Luxburg wird im Februar 1821 Intendant am Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater in Mannheim und bleibt es bis Februar 1836.
„Der autokratische, aufbrausende Führungsstil des Grafen sorgte immer wieder für Unmut bei den Mitgliedern der Theaterkommission“, stellt Stockert in seinem Buch fest. Das im Verlag Regionalkultur herausgegebene Werk erzählt lebendig von weitreichenden Skandalen, prekären Verhältnissen, prominenten Duellanten und überraschenden Wendungen in der großen Politik.
Luxburg starb am 1. September 1849 in Mannheim und wurde auf dem Seckenheimer Friedhof beigesetzt. Heute ist die Ruhestätte verschwunden. Stéphanie Louise Adrienne Napoléone de Beauharnais verschied am 29. Januar 1860 in Nizza. Sie ist in der Fürstengruft der Schloss- und Stiftskirche St. Michael in Pforzheim bestattet. Eleonore von Luxburg starb am 30. Januar 1868 in Paris und fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof Père Lachaise. Am 14. April 1881 verstarb Leon unbeachtet von der Öffentlichkeit als letztes Mitglied der ehemaligen Mannheimer „Zweitfamilie“ Napoleons. Bestattet wurde er in einem Armengrab auf dem Friedhof von Pontoise in Frankreich. Die Grabstätte war bald nicht mehr identifizierbar.
Dr. Harald Stockert hat in seinem Buch vier Biografien, vier Lebensläufe, die spektakulär und in mancher Hinsicht auch skurril erscheinen, niedergeschrieben. Für ihn habe sich das Aufarbeiten der „dramatischen Geschichte von vier außergewöhnlichen Menschen aus Mannheim“ allemal gelohnt, berichtete er seinen Zuhörern in der Stadtbibliothek.
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