Wie ist die Idee zum neuen Buch entstanden?
Florence Brokowski-Shekete: Meine Autobiografie war auf dem Markt. Ich nahm das große Interesse an der Tatsache wahr, dass ich als Schwarze Deutsche in einem nicht erwartbaren Beruf tätig bin – nämlich dem Bereich einer pädagogischen Führungskraft. Aus dem Grund war ich überzeugt, dass es auch andere Schwarze Deutsche geben müsse, die in Berufen tätig sind, in denen sie nicht erwartet werden. Aus dieser Neugier entstand die Idee des Buches.
Über sich selbst zu schreiben ist ja das eine, über andere zu schreiben eine ganz andere Sache. Ist es Ihnen schwergefallen, in das Schicksal anderer einzudringen, sie damit öffentlich zu machen?
Brokowski-Shekete: Zunächst musste ich die Persönlichkeiten, über die ich schreiben wollte, finden und von der Idee überzeugen. Nun bezeichne ich mich selbst als „staatlich geprüfte Stalkerin“ und bin zudem sehr gut vernetzt. Die Recherche war zwar unglaublich zeitintensiv und dennoch erfolgreich. Die Überzeugungsarbeit war nicht schwer. Geholfen hat sicherlich, dass ich zu dem Zeitpunkt bereits über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügte und die Personen gesehen haben, wie mein Schreibstil ist. Es war mir sehr wichtig, ihnen deutlich zu machen, dass mir nicht an einem vo-yeuristischen Blick in ihr Leben gelegen war. Mein Ziel ist es, mit ihnen der geneigten Leserschaft einen weiteren Blick hinter die Kulissen Schwarzer Deutscher zu gewähren. Außerdem wurde nichts geschrieben, was nicht gewollt war. Zudem habe ich, so wurde mir auch gespiegelt, ein feines Gespür dafür, wie weit ich mit meinen Fragen gehen darf. Den Schutz, den ich mir bei der Veröffentlichung meiner eigenen Autobiografie gewährt habe, wollte ich auch meinen Interviewpartnerinnen und -partnern bieten.
Da werden ja oft sehr persönliche Dinge erzählt, wie haben Sie da abgewogen, was Sie schreiben können und was lieber nicht?
Brokowski-Shekete: Ich habe mir dieselbe Frage gestellt, die ich mir auch selbst bei dem Schreiben meiner Geschichte gestellt habe: „Möchte ich, dass die Öffentlichkeit das erfährt?“ Und natürlich war ich im engen Austausch mit meinen Gesprächspartnern, die hierzu ebenfalls eine finale Rückmeldung gegeben haben.
Nun hat sich bei den zwölf Gesprächspartnern ja gezeigt, dass nicht alle stark unter Alltagsrassismus gelitten haben. Ich hatte beim Lesen fast den Eindruck, dass das Aufwachsen auf dem Dorf einfacher war als in der größeren Stadt?
Brokowski-Shekete: Ja, Ihr Eindruck ist richtig. Ich selbst habe ja zwei Jahre in einer recht kleinen Stadt als Grundschullehrerin gearbeitet. Da wollten die Eltern, mit denen ich zu tun hatte, lediglich wissen, ob wir uns auf Deutsch verständigen können und ob ich kompetent genug bin, ihren Kindern etwas beizubringen. Fragen zu meiner Herkunft wurden so gut wie gar nicht gestellt. Ja, man wollte mich schon erst mal persönlich sehen und kennenlernen, aber das war es dann auch schon. Ich habe mich sehr wohlgefühlt, weil es unverkrampft und ehrlich war. Wie Sie wissen, habe ich auch in größeren Städten gearbeitet, da kann ich leider auch von anderen Situationen berichten.
Sie waren ja jetzt mit Ihrem ersten Buch viel unterwegs, haben Podcasts gemacht, viele Lesungen gehalten, waren zu Interviews bei Radio- und Fernsehsendern. Über welche Fragen haben Sie sich da besonders gewundert? Oder sind Sie da gar nicht auf Alltagsrassismus Ihnen gegenüber gestoßen?
Brokowski-Shekete: Jetzt muss ich schmunzeln. Ich erinnere mich an eine Situation im Rahmen einer Lesung. Eine Frau ging mich ziemlich harsch an, weil sie es als absolute Unverschämtheit empfand, wenn ich auf die Frage: „Wo kommen Sie her?“, mit meinem Wohn- oder Geburtsort antworte. Und dabei versuchte ich die ganze Zeit differenziert zu erläutern, warum diese Frage bei manchen Menschen mit einem Migrationshintergrund zu einer Verletzung, ich nenne es auch gerne Mikroenttäuschung führen kann. Das wollte sie aber nicht hören und belehrte mich, wie ich zu antworten hätte. Andere Zuhörerinnen und Zuhörer, weiße wohlgemerkt, ergriffen dann das Wort und versuchten ihr recht eindringlich den Hintergrund zu erläutern. Sie jedoch hatte ihre eigene Sicht der Dinge, von der sie sich auch nicht abbringen ließ und sie grummelte den Rest des Abends vor sich hin. Aber ansonsten kann ich nur über ganz wunderbare Begegnungen berichten. Mein Publikum ist zu 99 Prozent weiß und wirklich sehr geneigt und offen.
Welche Geschichte hat Sie bei der Recherche am meisten „angefasst“ oder beeindruckt? Warum?
Brokowski-Shekete: Alle Biografien waren derart besonders, dass ich nach jedem Interview das Gehörte erst mal sacken lassen musste. Ich habe wirklich zwölf ganz besondere Menschen kennenlernen dürfen. Die Geschichte der Betriebswirtin und Bildungswissenschaftlerin, die mir von ihrem Überfall berichtete, hat mich nachhaltig erschüttert. Vor allem, wie liebevoll sie dennoch von ihrer Heimatstadt spricht, in der der Vorfall passierte und in der sie sich nach wie vor für ein besseres kulturelles Verständnis der Menschen untereinander engagiert, das ist nicht selbstverständlich.
Was raten Sie Schwarzen Deutschen, wenn sie Alltagsrassismus erleben?
Brokowski-Shekete: Zunächst rate ich allen Betroffenen zu einer guten Reflektion der Situationen und nicht unbedacht und inflationär die Rassismuskeule zu schwingen. Der Versuch eines Perspektivwechsels ist immer gut. Kommt man dann jedoch zu dem Schluss und so traurig es ist, kommt man leider meistens zu genau diesem Schluss, dass es sich um eine rassistische Diskriminierung handelt, ist es auf emotionaler Ebene das Wichtigste, Menschen in seinem persönlichen Umfeld zu wissen, die zuhören und verstehen. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine rassistische Ausgrenzung zu erfahren und sich dann noch Dritten gegenüber rechtfertigen zu müssen oder Relativierungen zu hören. Wie oft habe ich es bei mir selbst erlebt, dass ich keinerlei Aufhebens um mich machen wollte und versucht habe, die Situationen runterzuspielen, obwohl ich innerlich spürte, wie ausgrenzend sie war. Je nachdem, was wo vorgefallen ist, zum Beispiel am Arbeitsplatz, in der Schule, in Geschäften oder Behörden, rate ich, mit dem Gegenüber ins Gespräch zu gehen. Sollte sich dieser nicht von seinem gespiegelten Verhalten distanzieren, ist es ratsam, sich ganz konkret an die nächst höhere Stelle zu wenden, mit der Bitte, mehr noch, der Erwartung, Unterstützung zu erhalten. Des Weiteren gibt es die Möglichkeit, sich an externe Institutionen wie beispielsweise Mosaik Deutschland oder an Antidiskriminierungs- oder Gleichstellungsbüros zu wenden, die es in größeren Städten gibt. Hier erhalten Betroffene gute emotionale, aber auch sachdienliche Unterstützung.
Welches Verhalten empfehlen Sie mir, wenn ich Alltagsrassismus bemerke? Wie gehe ich am besten dagegen an?
Brokowski-Shekete: Meinen Sie, wenn Sie bei sich Verhaltensweisen bemerken, die alltagsrassistisch sind oder wenn sie diese bei Dritten beobachten?
Lassen Sie uns doch bitte mal beides anschauen.
Brokowski-Shekete: Wenn Sie bei sich bemerken, dass Sie wider besseren Wissens in einen , nennen wir es, rassistisches Fettnapf getreten sind, dann spricht nichts dagegen, ihr Gegenüber anzusprechen, die Unsicherheit zuzugeben und sich zu entschuldigen. Einen Fehler zu begehen, muss keinem Weltuntergang gleichkommen, der falsche Umgang mit diesem Fehler kann jedoch einen enormen Klimawechsel verursachen.
Und bei Dritten?
Brokowski-Shekete: Beobachten Sie hingegen Alltagsrassismus bei Dritten, tut es gut, wenn Sie der betroffenen Person signalisieren, die Situation zu bemerken. Das kann mit Blickkontakt passieren oder indem Sie sich neben die Person stellen. Und wenn Sie merken, dass es angebracht ist, der rassistisch verhaltenden Person verbal die Rote Karte zu zeigen, dann können Sie das tun. Zeigen Sie Solidarität mit der betroffenen Person, das wirkt wie ein wohltuendes Pflaster auf deren Seele.
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