Frankenthal. Als Johnny Cash am 13. Januar 1968 ein Live-Konzert vor den Gefangenen im Folsom-Prison-State-Gefängnis gab, konnte niemand ahnen, dass sich der Mitschnitt mehr als sechs Millionen Mal verkaufen würde und das Album drei Wochen Platz eins der US-Country-Charts belegen würde.
Nun ist nicht zu erwarten, dass Rolf Suter und seine Mitstreiter demnächst reich und berühmt werden, aber der Hintergrund des Besuchs der Poetry Slammer in der Frankenthaler Justizvollzugsanstalt ist ein ähnlicher damals.
Teilnahme der Häftlinge an Poetry Slam musste in Frankenthal genehmigt werden
In der Gefängnis-Turnhalle haben sich rund 30 der etwa 400 Häftlinge versammelt. Ihre Teilnahme an der Veranstaltung mussten sie zuvor schriftlich beantragen und genehmigt bekommen. Was sie an diesem Donnerstagabend eint, ist der Wunsch nach einer Ablenkung vom öden Alltag in der Haftanstalt. Ein Stück Freiheit hinter schweren Türen.
Ob sie wissen, was sie erwartet? Kaum. Wahrscheinlich haben die wenigsten Julia Engelmann gesehen, die im Jahr 2014 zur Galionsfigur der Szene wurde. Kein anderer Beitrag wurde so oft im Netz geteilt wie ihr „One-Day“-Slam, in dem sie sich mit verpassten Chancen im Leben auseinandersetzt. Für Rolf Suter aus Weingarten bei Karlsruhe ist es das 34. Mal im Gefängnis. „Die Landkulturschaffenden Südwest“ heißt der Verein, den er gegründet hat. Was die „Knast Slams“ anbelangt, so spricht er von einer Erfolgsgeschichte. Für die Insassen geraten die zwei Stunden zu einer kleinen Reise in die Freiheit.
Häftlinge bewerten Performance der Poetry Slammer
Sechs Slammer aus dem gesamten Südwesten Deutschlands haben sich in Frankenthal auf Einladung Suters eingefunden. Es sind heitere, nachdenkliche, manchmal laute und zuweilen leise Texte, die sie den Gefangenen vortragen. Mit fragenden Augen hocken die Männer in Häftlingsklamotten vor ihnen auf einfachen Stühlen. Unter dem Künstlernamen „Nicht ganz Dichter“ präsentiert ein Ludwigshafener im Sprechgesang, warum er total auf Schach abfährt. Stefan Klaus alias „Don Esteban“ setzt sich in seinem siebenminütigen Beitrag mit einer Explosion in einer Fleischerei auseinander und rätselt gemeinsam mit der Mutter Gottes und Jesus über eine Bockwurst. Skurril.
Einige Häftlinge lachen, anderen verziehen keine Miene. Die Häftlinge fungieren aber nicht nur als Zuhörer, sondern auch als Juroren. Sie sprechen sich ab und zücken laminierte Zifferblätter. Sie entscheiden darüber, wer den besten Text abgeliefert hat. An diesem Abend wird es der aus Mainz gekommene Fatih Serbest sein, der mit seinem nachdenklichen Text „Grenzgespenst“ am ehesten den Nerv der Anwesenden trifft. Es sind keine Begeisterungsstürme, die hier losbrechen. Vielmehr ist eine Dankbarkeit zu spüren, dass sich die Poetry Slammer für ihr Urteil interessieren. Einen Text, der sich mit Angst auseinandersetzt, liest Laura Leiheseder. Sie ist als 40. Mitglied gerade in den Club der Poetry Slammer aufgenommen worden. Sich von der Angst nicht regieren zu lassen, ist der Tenor ihres Vortrages, der die Gefangenen sichtbar erreicht. Sie bekommt viel Applaus. Suter weiß, dass hinter diesen dicken Mauern nicht jeder Text geeignet ist.
Auf einen Beitrag aus den Reihen der Häftlinge selbst muss er am Ende verzichten. Einer habe sich interessiert, aber letztlich wegen Lampenfieber einen Rückzieher gemacht.
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