Schwetzingen. „Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache, wie viele denken, sondern ein Thema, dass uns alle angeht“, sagte Dr. Ute Leidig, Staatssekretärin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg im Josefshaus in Schwetzingen. „Gewalt gegen Frauen ist eine Straftat und eine Menschenrechtsverletzung. Sie ist eine Manifestation des immer noch bestehenden Machtgefälles zwischen Mann und Frau in unserer Gesellschaft, sie ist dessen stärkster Auswuchs“, meinte sie laut einer Pressemitteilung aus dem Grünen-Büro.
Der Landtagsabgeordnete der Grünen Dr. Andre Baumann hatte Leidig zu einem Vortrag eingeladen, um „dieses wichtige Thema in den Mittelpunkt zu stellen – dorthin wo es hingehört“, wie er sagte: „Vom Wegschauen und Verdrängen geht es misshandelten und geschlagenen Frauen nicht besser.“
Denn die Zahlen seien erschreckend hoch. So ist etwa jede dritte Frau laut dem zuständigen Bundesministerium im Laufe ihres Lebens von Gewalt betroffen – meistens in einer Beziehung oder im familiären Kontext. Und fast alle drei Tage wird in Deutschland eine Frau wegen ihres Geschlechts vom Partner oder ihrem Ex getötet (wir berichteten). „Dennoch gilt das Thema immer noch als Tabuthema und findet im gesellschaftlichen und politischen Diskurs kaum statt“, so Baumann. „Und wenn es um die Bekämpfung der Gewalt geht, den Schutz der Frauen und Kinder, um die Präventions- und Aufklärungsarbeit, dann fehlt es zudem überall an einer ausreichenden Finanzierung.“
Damit Täter nicht weitermachen
„Täterarbeit ist Frauenschutz“, sagte Meinolf Hartmann von der Organisation „Fairmann“. Dieser Umstand hatte sich auch bei einem dem Vortrag vorangehenden internen Austausch von Baumann und Leidig mit regionalen Akteurinnen und Akteuren über die Arbeit vor Ort gezeigt. Mit dabei waren Vertreterinnen des Zonta-Clubs, der sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen einsetzt, der DRK-Frauenberatungsstelle Hockenheim und eben von „Fairmann“ aus Heidelberg. Dort werden derzeit auch mit einer halben Psychologenstelle Männer aus dem Rhein-Neckar-Kreis betreut, sowohl Opfer von Gewalt als auch Täter: „Ohne diese Arbeit machen die Täter einfach weiter und fühlen sich selbst als Opfer.“
Im Einsatz gegen Gewalt gegen Frauen sei die Istanbul-Konvention ein Meilenstein gewesen, führte Leidig in ihrem Vortrag aus. Das ist ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die in Deutschland 2018 in Kraft getreten ist. Bisher haben 37 Staaten die Konvention ratifiziert. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, Schutzmaßnahmen für Opfer von Gewalt zu schaffen, einschließlich Schutzanordnungen und Unterkünften. Mit der Istanbul-Konvention soll außerdem das Bewusstsein für häusliche Gewalt erhöht werden. „In Baden-Württemberg haben wir bereits vor dem Inkrafttreten der Konvention einen Landesaktionsplan ,Gegen Gewalt an Frauen‘ aufgestellt“, so die Staatssekretärin. „Mit diesem wollen wir Täter in Verantwortung nehmen sowie Opfer schützen und ihnen eine Perspektive auf ein gewaltfreies Leben geben. 2024 werden wir den Landesaktionsplan überarbeiten, um auch neuere Gewaltformen, wie die digitale Gewalt aufzugreifen.“
Land fördert Bau des Frauenhauses
Über die vielfältigen Maßnahmen, Projekte und Strategien des Gewaltschutz-Konzeptes in Baden-Württemberg gab Leidig an diesem Abend einen Überblick. Für die Umsetzung habe man die Haushaltsmittel von 1,6 Millionen im Jahr 2017 auf zwölf Millionen Euro versiebenfacht. „Die Kommunen sind als Sozialhilfeträger zuständig für die Unterbringung betroffener Frauen, wir als Land unterstützen unter anderem den Ausbau der Frauen- und Kinderschutzhäuser.“ Zurzeit gibt es 44 in Baden-Württemberg, das sind 855 Frauenhausplätze, was eine Erhöhung um mehr als 100 Plätze seit 2013 bedeute. „Ihr hier im Rhein-Neckar-Kreis seid zwar kein weißer Fleck auf der Karte, aber mit bisher nur sieben Frauenhausplätzen quasi ein grauer Fleck“, so Leidig. Deswegen sei der geplante Bau eines Schutzhauses mit bis zu 21 Familienplätzen im Kreis besonders wichtig. „Den Bau unterstützen wir als Land sehr gerne mit bis zu 50 Prozent der Kosten. Den Ausbau an Frauenhausplätzen können wir nur mit engagierten Trägern und Kommunen voranbringen.“
Als wichtige Maßnahme bezeichnete Leidig die 15 sogenannten Second-Stage-Projekte im Land, von denen es noch mehr bräuchte. Mit diesen würden Frauen beim Übergang in den Alltag nach dem Frauenhausaufenthalt unterstützt. „Sie leben dann in eigenen Wohnungen und werden fachlich betreut“, erklärte sie. „Das bedeutet, dass sich ihre Aufenthaltsdauer im Frauenhaus reduziert und eine erneute Aufnahme nachhaltig vermieden werden soll. Zudem werden auf diese Weise schneller Plätze frei für Neuaufnahmen.“ Die Leiterin der DRK-Frauenberatungsstelle Hockenheim Elena Lorente wünschte sich die Finanzierung von Second-Stage-Projekten auch im Kreis. „Die Situation auf dem hiesigen Wohnungsmarkt ist leider sehr angespannt“, sagte sie.
Für das Jahr 2024 hoffen die beiden Staatssekretäre auf das geplante neue Bundesschutzgesetz, in dem unter anderem der Anspruch auf Schutz bei häuslicher Gewalt verankert werden soll. Die Länder und Kommunen wären folglich verpflichtet, das System zum Gewaltschutz auszubauen. „Geld fließt oft erst, wenn eine Gesetzesgrundlage da ist“, sagt Baumann. „Daher wäre das Bundesschutzgesetz mit einer entsprechenden finanziellen Beteiligung des Bundes eine große Hilfe für die Umsetzung des Gewaltschutz-Konzeptes auf allen Ebenen.“
2024 kann sich Baden-Württemberg zudem selbst auf Bundesebene gegen Gewalt gegen Frauen einsetzen: Das Land übernimmt dann den Vorsitz der Gleichstellungsministerinnenkonferenz. Baumann und Leidig dankten abschließend allen regionalen Akteurinnen und Akteuren für ihre Arbeit. Leidig: „Ohne Ihren Einsatz und Ihr großes Engagement gäbe es vor Ort keinen Schutz der Frauen vor Gewalt.“
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