Brühl. „Ich hätte ihm noch Stunden zuhören können.“ Mit dieser Aussage stand Bernd Eckhartt definitiv nicht alleine da. Beseelt verließen gut 350 Gäste die ausverkaufte Festhalle. Zweimal 40 Minuten lang nahm sie dort der Extrembergsteiger Hans Kammerlander mit auf „Die Matterhörner dieser Welt“. Der charismatische Herzblutalpinist regte mit traumhaften Aufnahmen – teils Fotografien, teils Bewegtbilder – und persönlichen Geschichten das Kopfkino seiner Zuhörer an, darunter Gäste, die sogar aus Bad Kreuznach angereist waren. Er führte sie auf Gipfel an die Fjorde Norwegens, in Nepal, Nordindien und Kanada – allesamt optische Zwillinge des Schweizer Matterhorns. Dazu plauderte er munter Anekdoten aus, erzählte von seinem autobiografischen Film, der im Dezember in die Kinos kommt, und beantwortete Fragen, etwa zu seinen Hilfsprojekten in Nepal (Kammerlander: „Meine zweite Heimat“).
Am Ende war es 22.20 Uhr, als Kulturamtsleiter Jochen Ungerer unter tosendem Applaus den unterhaltsamen Gast von der Bühne verabschiedete. Ungerer hatte persönlich dafür gesorgt, dass der bekannte Bergfex nach Brühl kommt. In seinem Südtirol-Urlaub fädelte er das Ganze ein – abends an der Hotelbar, nach einem Vortrag Kammerlanders vor Ort.
Kopfüber abgestürzt
Fünfmal lauschte Bernd Eckhartt schon Vorträgen Kammerlanders, und ist immer wieder begeistert: „Er ist ein echter Naturbursche, sehr sympathisch. Ich mag die Art und Weise, wie er erzählt“, brachte es der Ludwigshafener auf dem Punkt. Kammerlander erzählte wunderbar unaufgeregt von spektakulären Expeditionen, von denen der 61-Jährige einige heute mit einer gewissen Selbstironie betrachtet: „Du hast eigentlich etwas Sinnloses geschafft, aber ich war glücklich und habe mich gefreut.“ So kommentierte er zum Beispiel den Rekord, binnen 24 Stunden das Matterhorn viermal von allen Seiten zu besteigen. Mit dem Schweizer Diego Wellig schaffte er 1992 diesen Wettlauf, „bei dem wir eine italienische Seilschaft viermal überholten“. Nach dem Abschluss – und vor dem Abstieg ins Tal – ging’s auf die Hörnlihütte. Dort leerte der Kollege lieber mit dem Hüttenwirt eine Weinflasche, statt wie Kammerlander auszuruhen: „Da wusste ich, den Diego aus dem Wallis kann auch eine Straßenwalze nicht breitkriegen.“ Es ist nicht das einzige Mal an diesem Abend, dass herzlich gelacht wird. Auch von seinem ersten Mal am imposanten Schweizer Gipfel berichtete der Südtiroler: Mit 17 Jahren brach er mit zwei Freunden zum Matterhorn auf, „für ein neues Seil hatte das Geld gereicht, für Bergsporthosen nicht“, erinnerte er demütig an seine Wurzeln, daran, dass die Bergbauernfamilie nicht viel Geld hatte. Mit Jeans ging’s auf den Viertausender, „das Zelt hatten wir oberhalb eines Spalts aufgeschlagen. Sowas Dummes! Das Matterhorn war ja bekannt für seinen Steinschlag, ein Bruchhaufen aus schlechtem Fels. Wir hätten besser unterhalb des Spalts campieren sollen, da wären wir geschützter gewesen“, räumte er Fehler ein.
Neben Technik, Ausdauer und Erfahrung ist das Glück bei Bergsteigern ein willkommener Begleiter. Das wurde bei einer weiteren Geschichte zum Shivling deutlich. Am Fuße des Sechstausenders in Nordindien befindet sich die Gangesquelle, ein Ort, der Pilger anzieht und für bewegende Momente bei Kammerlander sorgte: „In die glücklichen Gesichter der Menschen zu schauen, die über Monate den Weg dorthin gegangen sind, ist einfach unbeschreiblich.“ Auch vom Aufstieg an der steilen Shivling-Wand war er so beeindruckt, dass er beim Fotografieren das Gleichgewicht verlor, kopfüber an seinem Kameraden Christoph Hainz vorbeiflog und im Seil hängenblieb. „Da hab’ ich mich wirklich erschrocken“, so der trockene Kommentar. Dem Kollegen widerfuhr kurz darauf das gleiche. Vom Schrecken erholen konnten sich die beiden nicht wirklich, denn die Nacht mussten sie auf einer wackligen Steinplatte im Fels verbringen, „etwa so groß wie die Stehtische im Foyer“, verglich Kammerlander.
Beunruhigend für seinen Begleiter bei der Tour in den kanadischen Rocky Mountains waren vor allem die Grizzlyspuren, „die mich wiederum sehr beeindruckt haben. Einen Bären haben wir aber nicht gesehen“. Mit dem Südtiroler Alpinisten Simon Gietl bestieg Kammerlander dort den Mount Assiniboin (3618 Meter). Er zeigte Bilder von der einsamen Blockhütte im Wald, zu der Elche kamen. Alles wirkte wie gemalt – „so ist es da wirklich“. Begleiter Gietl ließ allerdings die Sache mit den Bären keine Ruhe. Er holte sich daher Tipps von Einheimischen, was bei einer solch tierischen Begegnung zu tun sei. „Einfach schneller rennen als du“, habe Gietl Kammerlander geantwortet, der ihn nach der Empfehlung fragte.
Wettrennen sind nicht mehr das, was Kammerlander antreibt. Den Wettlauf zum Gipfelerfolg hat er gegen das Erleben des Gipfelglücks, „gegen Freiheit“, eingetauscht. Als er mit seinem langjährigen Begleiter Wilfried Oberhofer den Stetind in Norwegen bestiegen hatte, überredete er ihn, ein paar Tage um die Fjorde zu tingeln, die Füße ins Wasser zu halten und Heidelbeeren zu essen, „geklettert sind wir beide in unserem Leben genug“. Kammerlander genießt die Berge, die Natur, visiert dabei jedoch immer wieder neue Ziele an – „es gibt noch einige ,Matterhörner‘, die ihn reizen“.
Herzensangelegenheit Nepalhilfe
Immer wieder lässt der Südtiroler seine Liebe zu Nepal einfließen, über 40 Mal war er schon dort, im Dezember verbringt er mit einer Trekkinggruppe Weihnachten und Silvester „ohne Knaller“ ganz ruhig am Fuß des Mount Everest. Die nahegelegene Ama Dablam war auch Bestandteil des Vortrags, den er nutzte, um auf seine Nepalhilfe aufmerksam zu machen. Mit Freunden errichtete er bereits Schulen in Bergdörfern des Himalayas, unterstützt Waisenhäuser. „Die Kinder sollen lesen, schreiben und auch Englisch lernen, damit sie den Tourismus ihres Landes einmal unterstützen können“, erklärte er.
Gebetsfahnen und Tee nahmen die Vortragsgäste gegen eine Spende für die Nepalhilfe gern mit, ebenso Bücher und Outdoor-Accessoires. Ein Buch kaufte auch Bernd Eckhartt: den druckfrischen Bildband „Die Magie der Dolomiten“. Er ergänzt seine Kammerlander-Literatursammlung und macht Appetit auf den nächsten Urlaub („Wir fahren fast jedes Jahr nach Südtirol“).
Als unsere Zeitung Hans Kammerlander vor fünf Monaten in dessen Heimat traf und ihn fragte, was er sich für den Vortrag in Brühl wünsche, antwortete er: „Ich möchte nur, dass jemand nach dem Vortrag weggeht und sagt, es hat sich gelohnt, den Abend frei zu halten. Dann habe ich alles erreicht.“ Das hat er. Definitiv.
Zur Person
Hans Kammerlander (61) wurde als sechstes Kind einer Bergbauernfamilie in Ahornach bei Sand in Taufers/Südtirol geboren. Der Bergführer und Skilehrer bewältigte 2000 Klettertouren – davon etwa 50 Erstbegehungen. 13 von 14 Achttausendern hat er ohne Sauerstoff bezwungen, sieben davon mit Reinhold Messner. Er hält Rekorde wie die vierfache Besteigung des Matterhorns (4478 m) von allen Seiten in 24 Stunden oder die Skiabfahrt vom Mount Everest (8848 m) im Himalaya.
Der Buchautor – neuestes Werk „Die Magie der Dolomiten“ (Tappeiner, 35 Euro) – hält Vorträge, bietet Wanderungen und Klettertouren sowie Trekkingreisen etwa nach Nepal an.
Im Dezember kommt ein Film über Kammerlanders Leben in die deutschen Kinos. kaba
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