Bahnjubiläum - Heribert Kammerer hat seine Modellanlage in zweieinhalb Metern Höhe aufgebaut / Transparente Kunststoffwände sichern die Gleise

Hier fahren die Züge über den Kopf hinweg

Von 
Isabel Schönfelder
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Das ist wirklich abgefahren! Oder ist über ihren Köpfen hinweg schon mal der Orient-Express gerauscht? Die Modelleisenbahnanlage von Heribert Kammerer aus Schwetzingen ist alles andere als gewöhnlich. Sie befindet sich nämlich in zweieinhalb Metern Höhe. Die Züge fahren über Balken quer durch sein doppelgeschossiges Zimmer. „Eine Schwebebahn sozusagen“, sagt der Rentner und schmunzelt über die staunenden Blicke, die er erntet. Damit die Züge auf keinen Fall herunterfallen, hat er alle Gleise mit transparenten Kunststoffwänden gesichert.

Unserer Redaktion gewährt der Modellbahnliebhaber Einblicke in dieses außergewöhnliche Reich und erzählt, wie er zu diesem Hobby kam. Mit acht Jahren habe damals alles angefangen. Sein Vater schenkte ihm seine erste kleine Lok, die sogar bis heute noch im Einsatz ist. Aus der Freude an dieser einen Lok entwickelte sich mit der Zeit eine richtige Leidenschaft. Was mit Miniaturlandschaften im Keller begann, endete mit der Idee, die Gleise auf die Holzbalken zu verlegen. Das ist nicht nur einzigartig und originell, sondern spart auch eine Menge Platz.

Alles im Überblick

Auf einer steilen Holzleiter klettert Kammerer nun zu seinem „Steuerplatz“ hoch. Von dort aus hat er den Blick über die gesamte Anlage. Schon ertönt: „Bitte einsteigen, Türen schließen.“ Eine Frauenstimme hallt durch den Raum, kleine Lämpchen leuchten, der Zug setzt sich geräuschvoll in Bewegung. Ich schließe kurz die Augen und fühle mich sofort in eine Bahnhofskulisse versetzt. Es rauscht und rattert, Bremsen quietschen und irgendwo schnauft eine Dampflok. Ich kann fast ihren Ruß riechen. Sie denken, das wäre vielleicht etwas übertrieben? Kammerer setzt noch einen drauf. Er zeigt mir eine Spritze mit Rauchflüssigkeit, die man in die Miniaturlok füllt. Dann raucht diese tatsächlich. Die Dampflok-Idylle ist komplett. „Es ist schon etwas skurril“, gibt der Schwetzinger selbst zu – aber einzigartig ist es allemal.

Dass in dieser Anlage unheimlich viel Mühe und Aufwand steckt, erkennt der Betrachter sofort. Ein halbes Jahr lang werkelte Kammerer fast täglich an seiner Konstruktion, bis sie endgültig fertig war. Anfang 2013 gab es dann grünes Licht und freie Fahrt. Von der detaillierten Kabelverlegung bis hin zur Holzleiter, die zur Anlage hinaufführt, ist alles von ihm eigenhändig gebaut worden. Das habe auch einen bedeutenden Vorteil, erklärt er: „Wenn etwas kaputt ist oder nicht richtig funktioniert, weiß ich genau, wo welches Kabel liegt und was ich tun muss.“ Der 72-Jährige bewahrt bei 80 Meter Schienen, 36 Weichen und zwölf Signalen hochkonzentriert den Durchblick. Er ist voll in seinem Element, das spürt man.

Reines Schienenkonstrukt

Eine Landschaft hat Kammerers Miniaturbahn nicht, da diese auf den schmalen Balken kaum umsetzbar wäre. „Die Gestaltung ist eigentlich völlig unromantisch, sondern rein technisch orientiert“, erklärt er. Statt Nachbauten von Bergen, Seen oder Städten erinnern ihn dafür manche Züge an gemeinsame Urlaube mit seiner Frau oder an einen bestimmten Ort.

Auf die Frage, welche Bahn er am liebsten mag, muss er lange überlegen. Man merkt ihm an, dass er seine Züge eigentlich nicht abstufen will. Der „Helvetia-Express“ fahre besonders elegant, das Schweizer Modell sei ein sehr wertvolles Geschenk gewesen. Und dann seine erste Lok aus Kindertagen . . . jede Bahn hat eben ihre eigene Besonderheit, macht er deutlich.

Zufrieden blickt Heribert Kammerer auf seine Anlage: „Wenn ich darüber erzähle, komme ich schon fast ins Schwärmen. Es ist einfach ein schönes Hobby, es macht Spaß und ist völlig ungefährlich – außer man fällt von hier oben runter.“ Er lacht und zeigt mit einem Augenzwinkern auf die Leitern.

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