Schwetzingen. Jürgen Desch engagiert sich nicht nur für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe rund um das Ahrtal, sondern auch für „versunkene“ Oldtimer. Um das „Schöne zu erhalten“, sagt der 59-Jährige. Sein Traum: einen Mercedes Benz von 1970 wieder zum Laufen zu bringen.
Die Stimme klingt belegt, als Jürgen Desch von den Oldtimern berichtet, die er während der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli im Ahrtal regelrecht hat untergehen sehen. „Für viele Sammler sind diese Autos ein Lebenselixier“, erklärt der 59-Jährige, „sie haben wirklich alles verloren.“ Der gelernte Kfz-Mechaniker hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, möglichst viele der teils prämierten Fahrzeuge zu retten.
Noch am 11. Juli hatte der Ahr-Automobil-Club 1924 seine Ausfahrt „Ahr-Rotwein-Classic“ unternommen – genau in jenem Gebiet, in dem die Zerstörungen einige Tage später am verheerendsten sein sollten. Seit einem Vierteljahrhundert wird das Treffen der Oldtimer-Enthusiasten veranstaltet, dieses Mal starteten 150 Fahrzeuge in der Gemeinde Grafschaft, vier Kilometer von Bad Neuenahr entfernt. „Uns ist zwar aufgefallen, dass der Boden des Parks, in dem wir die Autos aufgestellt hatten, Richtung Tal sehr nass war, haben uns aber nichts weiter dabei gedacht und die Autos einfach weiter oben geparkt.“ Über Hönningen, Mayschloss und Rech führte die Oldie-Rallye durch die Eifel.
Schockierende Bilder
Wenige Tage später die Bilder der Hochwasserkatastrophe zu sehen, sei ein Schock gewesen, blickt Desch zurück. „Mir ist bewusst geworden, dass ich das Ahrtal nur kurz zuvor ein letztes Mal so gesehen habe, wie es einmal war. Es war ein so wunderschöner Tag.“
Um das ganze Ausmaß der Zerstörung – auch an den Oldtimern – erfassen zu könne, müsse ein Verständnis für die geografischen Besonderheiten des Ahrtals entwickelt werden, unterstreicht Desch. „Es ist sehr idyllisch und die Ahr eigentlich nur ein 90 Zentimeter flaches Rinnsal.“ Das Tal sei eng, links steile Hänge, rechts Rotweinwingerte auf Schieferboden. Wasser rinnt hier regelrecht ins Tal, da es kaum versickern kann. „Das Wasser, das nach den starken Regenfälle in dieses Tal kam, war einfach zu viel. Es war eine seltene Wettersituation. Das Tief stand über der Region, voller Wasser, und konnte nicht richtig am Hoch vorbei – dann kam es nochmals zurück. Aus drei kleinen Flüssen flossen diese ganzen Wassermassen dann in die Ahr, die sie einfach nicht aufnehmen konnte.“
Deutlich schlimmer als Phuket
Innerhalb kürzester Zeit sei das Wasser gestiegen, über das Ufer getreten und habe zahllose Fahrzeuge und Container mit sich gerissen, die in Ufernähe standen. „Ein Bekannter, der Augenzeuge war, hat mir berichtet, dass die Bewohner teils gar nicht gewarnt wurden“, erzählt Jürgen Desch. „Er hat in Ahrweiler auf einer Bank vor seinem Haus gesessen und musste zusehen, wie das Wasser immer weiter stieg.“ Gegen 22.15 Uhr sei die Stromversorgung in Ahrweiler ausgefallen. „Die Welle kam eine Stunde später. Sie konnten in der Dunkelheit einfach nicht weg. Die Ahr ist von einem Rinnsal zu einem Monster geworden. Sieben Meter hoch!“
Wahrscheinlich zeitgleich hatten andere Oldtimerbesitzer versucht, ihre Fahrzeuge aus einer nahe gelegenen Tiefgarage zu fahren und bezahlten den Versuch nach Auskunft Deschs mit dem Tod. „Durch den Stromausfall sind die Tore heruntergefahren und die Leute kamen nicht mehr heraus“, erzählt Desch.
Desch zieht den Vergleich mit dem Ausmaß der Zerstörungen durch den Tsunami in Phuket 2004. „Ich war im November 2003 und danach im Januar 2004 in Thailand. Der Druck, den das Wasser im Ahrtal aufgebaut hat, war deutlich größer und die Zerstörungen daher auch so viel schlimmer.“ Durch die weggerissenen Container und Fahrzeuge hätten sich quasi Staudämme gebildet. „Der Durchfluss war regelrecht verstopft, wodurch sich der Druck weiter aufgebaut hat, bis die Wassermassen durchgebrochen sind.“ Entsprechend hoch sei die Zerstörungskraft durch Geröll, Wohnwagen und sogar Lastwagen gewesen. Besonders dramatisch war die Entladung in Schuld.
Kleinod auf dem Autofriedhof
Alleine sein Bekannter, Siegfried Eberle, verlor bei der Katastrophe vier Old- und einen Youngtimer im Hochwasser, führt Jürgen Desch weiter aus. Darunter befand sich auch eine Mercedes-Benz-Limousine von 1951, die in Schwetzingen im vergangenen Jahr zu sehen war, prämiert wurde und auch diesmal am ersten September-Wochenende bei der Classic-Gala zu Gast sein sollte.
Besonders angetan hat es Jürgen Desch jedoch ein Mercedes Benz W109 300 SEL. Er nennt ihn das „U-Boot“. „Ich habe das ,U-Boot‘ noch am 11. Juli angeschaut und fotografiert. Es stand in einer Tiefgarage in Ahrweiler und beim Hochwasser leider fünf Meter tief im Wasser“, sinniert Desch, der den Mercedes durch einen reinen Zufall einen Monat später wiederfand. Das Auto stand jetzt 35 Kilometer entfernt in Plaidt auf einem Autofriedhof.
Die Stadt hatte die Garage in Ahrweiler vom Betreiber eines aus dem Boden gestampften Autofriedhofs räumen lassen. Der Betreiber transportierte auch das „U-Boot“ ab und hatte dabei einen Geistesblitz. „Er hat das ,U-Boot‘ durch andere Autos so eingekeilt, dass man es nicht gesehen hat, ohne zu wissen, dass es dort stand. So konnte nichts abmontiert werden“, freut sich Desch, der den SEL abholen und von einem Gutachter untersuchen ließ.
An einer Mercedes-S-Klasse versuchte er sich im Abpumpen von Schlamm und Wasser aus dem Motorraum, war nach fünf Tagen erfolgreich und hofft nun, auch dieses Auto wieder zum Laufen zu bringen. „Ich vermute, es klappt. Der Mercedes hatte noch Glück. Er stand in Bad Neuenahr auf einem Hotelparkplatz fast zwei Meter unter Wasser.“
Nach dem höchstwahrscheinlich geglückten Eingriff an der S-Klasse zog Desch schließlich mehr als fünf Liter Schlamm aus dem „U-Boot“. „Ich hoffe, dass wir es wieder flott bekommen. Es ist ein anspruchsvolles Fahrzeug. Finanziell lohnt es sich nicht, aber das Schöne sollte bewahrt werden.“ Sein Traum: Mit dem „U-Boot“ irgendwann nach Schwetzingen zur Classic-Gala kommen. Als er das sagt, klingt seine Stimme schon hoffnungsvoller.
Info: Weitere Infos gibts unter www.schwetzinger-zeitung.de
Spenden für Sinzig
Unsere Zeitung hat gemeinsam mit den Städten und Gemeinden unseres Einzugsgebietes eine Hilfsaktion für Sinzig gestartet.
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Hilfe für Betroffene
Ein loser Verbund von 15 Gewerbetreibenden um Jürgen Desch, Verbandsbürgermeister Michael Merz, den AAC-Vorsitzenden Hermann Josef Doll und Robert Kreusch organisiert für das Ahrtal unbürokratische Hilfe.
Seit dem zweiten Tag nach der Katastrophe transportieren die ehrenamtlichen Helfer Nahrung, Aggregate, Pumpen, Beleuchtung und Wohncontainer in das betroffene Gebiet.
Der Verbund sucht händeringend Bautrockner. Auch Waschmaschinen und -trockner sowie Werkzeug – hier vor allem Stemmhammer – werden benötigt. E-Mail-Kontakt: jdesch@ac-autoclassic.de
Hilfsgüter werden vom Privatgelände Deschs zu einem Camp am Nürburgring gebracht, von wo aus sie verteilt werden.
Die Wohncontainer sollen den Betroffenen im Winter als Notunterkünfte dienen.
Spendenkonto Automobil-Club: DE 58 5776 1591 0011 802500 mgw
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