Im Hebeltreff

Karla Spagerer hat die NS-Zeit überlebt und kämpft für Demokratie

Karla Spagerer ist eine bewundernswerte Frau, eine echte Mutmacherin und Kämpferin: Mit ihren 93 Jahren setzt sie sich vor Schüler und Erwachsene und kämpft für die Demokratie, indem sie ihre Erinnerungen an die NS-Zeit mit Schwetzingern teilt.

Von 
Stefan Kern
Lesedauer: 
Auf dem Podium: Harald Paulsen, Karla Spagerer und Daniel Born. © Dorothea Lenhardt

Schwetzingen. Es sind nicht wenige, die von der Demokratie unter Druck und der Notwendigkeit, für sie einzustehen, reden. Fachleute aller Couleur suchen nach Wegen, das Feuer der Demokratie am Brennen zu halten. Kein leichtes Geschäft, denn es geht nicht nur um Daten und Fakten. Demokratie braucht Leidenschaft. Und genau das erlebten die Schüler und Eltern im jüngsten Hebeltreff im Hebel-Gymnasium in Schwetzingen.

Es waren nur 60 Minuten im Musiktrakt des Hebel-Gymnasiums mit einer 93-Jährigen. Aber das Feuer für die Demokratie, dass die 1929 geborene Karla Spagerer hier entzündete, hätte heller nicht sein können. Um den Wert ermessen zu können, braucht es nicht immer einen Bundespräsidenten oder einen Politphilosophen. Es genügt eine Stunde mit einer Frau, die die Unfreiheit und das Dunkle im Herzen der Menschen gesehen und erlebt hat, um den Wert der Freiheit und Solidarität förmlich zu spüren. Mit Superlativen sollte man vorsichtig sein. Aber das hier markiert dann doch eine kleine Sternstunde – nicht für die Welt, aber für die, die da waren.

Karla Spagerer gibt Einblicke in das private Leben

Neben Karla Spagerer saßen SPD-Landtagsvizepräsident Daniel Born und Lehrer Harald Paulsen auf dem Podium im knallvollen Musiktrakt. Und so voll es hier war, so leise war es. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Was nicht nur am Thema, sondern auch an dieser Frau lag. Zugleich detailreich und den großen Bogen nie aus den Augen verlierend, schuf sie für die hier Anwesenden ein extrem eindrückliches Bild von der Unmenschlichkeit, die mit autoritären Systemen immer mit einhergeht. Bei Hitlers Machtergreifung 1933 war sie vier Jahre alt, beim Ende des Zweiten Weltkrieges 16. Dazwischen liegen zwölf Jahre Leid, das aus heutiger Sicht unvorstellbar erscheint.

Geboren in eine Mannheimer Arbeiterfamilie, eher arm und sehr kommunistisch, fand sich ihr Koordinatensystem immer quer zur nationalsozialistischen Ideologie. Was das bedeutet, wurde ihr mit sechs Jahren klar. 1936 kam die Gestapo und verhaftete ihre Oma und inhaftierte sie im Mannheimer Schloss. Am Ende wurde sie zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt, weil sie einer mittellosen Familie geholfen hat.

Wir dürfen nicht vergessen, dass der Mensch verführbar und manipulierbar ist.
Karla Spagerer

Ihr Vater arbeitete für ein jüdisches Unternehmen. Einem jüdischen Schwesternpaar riet er schon früh zu fliehen. Doch sie glaubten nicht an die Gefahr. Am Ende stand am 9. November 1938 die Reichspogromnacht, die Deportation ins Konzentrationslager Gurs und die Ermordung. Ermordet, weil jemand beschlossen hat, dass diese oder jene Menschen nicht dazugehören und ausgemerzt gehören.

Eine Unmenschlichkeit, die die 93-Jährige noch heute umtreibt. Und einer der Gründe, warum sie erzählt und sich einmischt. „Wir dürfen nicht vergessen, dass der Mensch verführbar und manipulierbar ist.“ Und das Medium, das er nutzt, sei die Angst. Damals wie heute, so Spagerer, die seit über 50 Jahren Mitglied der SPD ist, würde die Angst genutzt, um Menschen für Hass empfänglich zu machen. Und genau hier findet sich für die Seniorin die Verantwortung für die Jüngeren: die verhängnisvolle Verknüpfung erkennen und sich dagegenstellen.

Spagerer appelliert an Schwetzinger Schüler: „Engagiert euch, außer in der AfD“

Es ist einer der Gründe, warum Born in der SPD ist. Mit Wissen und Engagement, so der Politiker aus Schwetzingen, eine Brandmauer für die Demokratie errichten. Und Spagerer appellierte an die Schüler, es ihm gleichzutun. Hier gäbe es die Freiheit, sich einzumischen und Einfluss auszuüben. „Engagiert euch, egal, welche Partei, außer in der AfD.“ Eine Ansage, die aus ihrem Mund und den vielen Geschichten, die sie hier erzählte, doch ein anderes Gewicht bekam. Die Angst vor Denunziation und dann dem Bombenkrieg seien Dinge, die nie wieder passieren dürften.

Eine Gefahr, die übrigens nicht nur von rechts drohe. Auch die Kommunisten zeigten sich unmenschlich. Vorneweg der Sowjet Josef Stalin, der mit seinem Terror viel Leid über Millionen von Menschen gebracht habe. Auch in ihrer Familie. Ihr Onkel, ein glühender Kommunist, ist in den 1930ern nach Moskau, geflohen und wurde im Zuge der von den Kommunisten um Stalin initiierten Säuberungen ermordet. Karla Spagerer: „Meine Familie hat unter zwei Diktatoren gelitten.“ Derzeit, und da ließ sie keine Zweifel aufkommen, „droht die größte Gefahr für uns alle von rechts“.

Das Publikum besteht aus Schülern und Erwachsenen, die alle gespannt den Ausführungen von Karla Spagerer lauschen, die durchaus auch von Humor begleitet waren. © Dorothea Lenhardt

Nun war es aber nicht nur ein Abend in Moll. Im Gegenteil. Karla Spagerer verstand es immer wieder, auch für Lacher zu sorgen. Wie bei der Erzählung darüber, wie sie ihren Mann Walter Spagerer kennengelernt hat. Für sie war es Liebe auf den ersten Blick, „für ihn nicht“. Aber sie blieb immer in seiner Nähe und interessierte sich für seine Gewerkschaftsarbeit: „Er hatte so gar keine Zeit, eine andere kennenzulernen.“ Zwei Jahre später habe sie geheiratet und blieben es bis zu seinem Tod 68 Jahre lang.

Es war ein Abend, der bei den Anwesenden in Erinnerung bleiben wird. Schulleiter Stefan Ade erklärte sichtlich bewegt, dass er Erzählungen über diese dunkle Epoche noch nie so persönlich und ergreifend vernommen habe. Eine Einschätzung, die hier wohl alle geteilt haben. Der lange Applaus ließ da jedenfalls kaum einen anderen Schluss zu.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung