Mannheim. Frank Obrist spart an diesem sonnigen Oktobertag nicht mit großen Worten: Dies sei ein besonderer Tag, es gehe um die Zukunft der Menschheit, Geschichte werde geschrieben. Unter großer medialer und politischer Aufmerksamkeit besteigt der österreichische Unternehmer und Erfinder auf dem Gelände von Mannheims Klärwerk nördlich von Sandhofen ein blaues umgebautes Tesla-Fahrzeug, um auf den Spuren keiner geringeren als Bertha Benz die weltweit erste „klimapositive“ Autofahrt zu unternehmen.
Oberbürgermeister Christian Specht verabschiedet ihn per Handschlag und los geht’s nach Wiesloch – wo Bertha Benz 1888 in einer Apotheke tankte, Waschbenzin. Frank Obrist tankt „klimapositives“ e-Methanol. Auf der Rückbank von Obrists Auto sitzt ein Notar, er soll den Vorgang überwachen und notariell beglaubigen, man will ins Guinness Buch der Rekorde.
Kooperation mit zwei Start-ups an Mannheims Klärwerk
Frank Obrist spricht von einer „revolutionären Technik“, die der Menschheit helfen werde, das klimaschädliche CO₂ loszuwerden, das sie seit Jahrzehnten in die Atmosphäre bläst. Seine Lösung lautet: Sub Zero Methanol, klimapositives Methanol. Den Namen hat er sich als Marke schützen lassen; für die Herstellung arbeitet er am Klärwerk in einer Demonstrationsanlage mit zwei Start-ups zusammen. Icodos, ein Spin-off des KIT, des Karlsruher Instituts für Technologie, und Up Catalyst, eine estnische Firma. Der synthetische Treibstoff sei überall dort einsetzbar, wo jetzt noch die fossilen Brennstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle verbrannt würden, beim Autofahren und Fliegen, in der Schifffahrt, Bau- und Chemieindustrie, betont Obrist.
Alternative Treibstoffe
- Um insbesondere Schifffahrt und Luftfahrt zu dekarbonisieren, werden alternative Treibstoffe benötigt.
- Grünes Methanol (e-Methanol) gilt dabei als eine Möglichkeit, da er – anders als grüner Wasserstoff – in bestehenden Motoren und Turbinen als Drop-in-Kraftstoff genutzt werden kann.
- Bei der Verbrennung von e-Methanol wird zwar auch Kohlendioxid emittiert, allerdings ist die Bilanz klimaneutral , weil nur so viel CO₂ in die Atmosphäre gelangt, wie ihr vorher zur Produktion des grünen Methanol entnommen wurde. Außerdem ist der Prozess der Herstellung „grün“, weil nachhaltige elektrische Energie, z. B. Solarenergie, genutzt wird. sba
Sub Zero heißt: Das CO₂ in der Atmosphäre wird unter Einsatz von erneuerbarem Strom in e-Methanol umgewandelt, wobei gleichzeitig aus Teilen des entnommenen Kohlendioxids feste Kohlenstoffmaterialien hergestellt werden. Mithin ist der Prozess nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv, es wird mehr CO₂ entnommen als am Ende wieder ausgestoßen wird. So weit Obrists Rechnung. Aber stimmt das?
Grünes Methanol gilt als Schlüsseltechnologie, um vor allem Schifffahrt und Luftverkehr zu dekarbonisieren. Da sind sich die Experten einig. Das Problem: Die Produktionskapazitäten für e-Methanol sind aktuell noch minimal. Entwicklungstechnisch stecken manche Methoden, wie etwa die Gewinnung von CO₂ aus der Umgebungsluft, wie Obrist sie nutzen will, noch in den Kinderschuhen. Als eine große Hürde für eine kommerzielle Nutzung von e-Methanol gilt zudem der Strompreis. Der gesamte Herstellungsprozess ist extrem energieintensiv, gleichzeitig muss der Strom grün sein, damit auch das Methanol am Ende grün ist. Die erneuerbaren Energien, die dafür infrage kommen, Sonne und Wind, sind dort erschwinglich, wo es viel von ihnen gibt.
Milliardeninvestitionen in den „Sonnengürteln“
Zum Beispiel in den „Sonnengürteln“ der Erde, wie Obrists Pressesprecher Thorsten Rixman sagt. Dort, in den „Sonnengürteln“, etwa in den Wüsten Afrikas, sollen riesige Solarfelder gebaut werden, die dann den Strom für die e-Methanol-Produktion liefern. Investoren haben die Österreicher bislang noch keine gefunden, die Kosten pro Anlage beziffert Erfinder Obrist auf 1,6 Milliarden Euro.
Fragwürdig ist die „Rekordfahrt“ jedoch vor allem deshalb, weil die drei Autos, die nach Wiesloch und wieder zurückgefahren sind, CO₂ erzeugt haben. „Jeder gefahrene Kilometer verbessert das Klima“, hatte Obrist erklärt. Tatsächlich entsteht auch bei der Verbrennung von e-Methanol CO₂, das gilt fürs Auto ebenso wie fürs Schiff oder Flugzeug. In der Klimabilanz gilt er gleichwohl als „grün“, weil nur so viel Kohlendioxid ausgestoßen wird, wie zuvor aus der Atmosphäre entnommen wurde, und weil die Herstellung selbst mit grünem Strom erfolgt.
Obrist geht allerdings noch einen Schritt weiter und spricht von einem „vollständig klimapositiven Energiesystem“. Er schlägt nämlich das CO₂, das zusätzlich der Atmosphäre entnommen wird, um in der Prozesskette in feste Kohlenstoffmaterialien verwandelt zu werden, am Ende dem Treibstoff, dem e-Methanol, zu. Ein Knackpunkt, denn Nachhaltigkeitsbilanzen folgen strengen Regeln, in Obrists Versuchsanordnung bleibt offen, wie genau diese Anrechnung erfolgen soll.
Mit ähnlich blumigen Worten, wie der österreichische Erfinder die Fahrt nach Wiesloch begonnen hat, so euphorisch bedankt er sich in einer Pressemitteilung am Tag danach: Ein„historischer Meilenstein“ sei erreicht, neue Maßstäbe gesetzt worden. Beobachter ziehen hier eine eher nüchterne Bilanz: wichtige Technologie, aber der österreichische Unternehmer ist nicht der erste und einzige, der das Feld beforscht, und von einer Skalierung im industriellen Maßstab sind noch viele Entwickler weit entfernt.
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