Sibylle M. Derr
Ein Mal pro Jahr tagen die Mitglieder der Europäischen Vereinigung des Historischen Tanzes "EADH" (European Association of Dance Historians). Am Samstag hielten sie ihre Konferenz im Palais Hirsch ab. Eingeladen hatte das Ensemble für historischen Tanz und EADH-Mitglied "I Danzatori Palatini". Ein ganzer Tag war dem Vorläufer des Walzers, der Allemande, gewidmet.
25 Mitglieder der vor zwölf Jahren gegründeten Vereinigung mit Sitz in London erörterten die Geschichte des deutschen Tanzes und krönten diese mit einer Darbietung des "Internationalen Tanzensembles Slawia", die den Walzer stilrein in einer deutschen Fassung wiederaufleben ließ.
Die Mitglieder der "EADH" waren aus verschiedenen europäischen Staaten und - als assoziiertes Mitglied die USA - sogar aus Hawai bereits am Freitag angereist, nicht ohne den Tag mit einem Tänzchen ausklingen zu lassen. Am Samstag war dann großes Programm - die Marathon-Sitzung mit neun Vorträgen in englischer Sprache dauerte von neun Uhr morgens bis 17 Uhr. Die Präsidentin der erlauchten Vereinigung, Madeleine Inglehearn, bemerkte, die Allemande sei zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert in Deutschland praktisch nicht aufgetaucht, jedenfalls was ihre schriftliche Fixierung anbetreffe. Sie sei in Deutschland als Volkstanz mündlich überliefert worden.
Michael Robertson, der bei Gustav Leonhardt in Cembalo unterrichtet wurde, fand heraus, dass die Allemande im frühen 17. Jahrhundert mehr eine rein instrumentelle Funktion etwa als Tafelmusik übernahm, heute würde man von Hintergrundmusik sprechen. Courante und Menuett tauchen demgegenüber als Tänze auf. Nur in Wien sei die Allemande in dieser Zeit getanzt worden. Der Choreograph Riccardo Barros der "Mercurius Company" und Barbara Segal demonstrierten die subtilen Variationen einer Allemande von 1705, 1715 und 1765.
Eine große Bedeutung im Zusammenhang mit den Tanzfiguren der Allemande kommt Franz Anton Roller (geboren 1775 in Budapest) zu. Er verfasste Artikel in dem Journal "Toilettengeschenk für Damen" - Hannelore Unfried räumte alle Missverständnisse gleich aus, das Haarbürsten habe im 17. Jahrhundert auch zur täglichen Toilette gehört -, sondern auch das "Systematische Lehrbuch des bildenden Tanzes", das 1843 in Weimar erschien.
Unfried, die an der Wiener Universität historischen Tanz studierte, demonstrierte die für die Allemande so spezifischen Figuren wie die "Welle", den "Sturz", das "Fenster", den "Spiegel" und den "Triumphbogen". Anfang des 19. Jahrhunderts sei die Allemande ein Tanz für drei Personen gewesen.
Sehr charmant referierte der in Italien geborene und heute in England lebende Tanzkritiker Giannandrea Poesio über die Bedeutung des Walzers in der Oper, und zwar hier insbesondere des "Musette" in Puccinis "La Bohème". In Richard Straussens Oper "Salome" komme dem Walzer die Bedeutung eines ekstatischen Tanzes oder Walzer-Deliriums zu.
In Betzinger Tracht
Am späten Nachmittag flogen sechs Paare in hübschen Betzinger Trachten durch den Saal des Obergeschosses im Palais Hirsch. Dagmar von Garnier, die das Ensemble leitet, erläuterte die mitunter sehr schwierigen Tanzfiguren nach choreografischen Vorgaben von Aenne Goldschmidt.
"Sie lässt nicht jedes Ensemble diese Figuren tanzen", denn sie sei sehr auf Stilreinheit bedacht. Die Grand-Dame der Allemande und Verfasserin des "Handbuch des deutschen Volkstanzes" Aenne Goldschmidt fand heraus, dass der Wiener Walzer nicht die deutschen Elemente des Walzers besitzt.
Zu diesen Figuren zählen der so genannte "Getupfte Schleifer", der "Schleiferwalzer", der Rund- oder Wechselwalzer, der "Kniebohrer", der "Spazier"- und der "Schlingwalzer", um nur einige zu nennen.
Gelungener Abschluss
"Ich denke, das war ein gelungener Abschluss", bedankte sich die Gastgeberin Anna-Maria Avenius bei den jugendlich-frischen Amateurtänzern, zu deren Repertoire auch viele osteuropäische Tänze gehören.
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