Im Interview - Dr. Marc Hemberger sieht große Herausforderungen im Zuge der bevorstehenden Schwimmbadöffnungen / Drohende Bäderschließungen bringen schwerwiegende gesellschaftliche Folgen mit

Lebensgefahr droht an den Seen

Von 
Katja Bauroth
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So sah vor der Pandemie die Schwimmausbilderfortbildung bei der DLRG aus: Jetzt müssten die Schüler zueinander und zum Ausbilder aufgrund der Auflagen viel mehr Abstand halten. Und das wird hier schwierig. © DLRG, Strauch

Dr. Marc Hemberger ist seit 20 Jahren Vorsitzender des Ortsverbandes der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) von Schwetzingen, Oftersheim und Plankstadt. Nach Pfingsten – am 2. Juni – sollen Lockerungen für Schwimmbäder in Kraft treten. Für Schwimmkurse und -unterricht, zur Prüfungsvorbereitung insbesondere für das Sport-Abitur sowie für Trainingseinheiten für Sportvereine können Schwimmbäder geöffnet werden. Dabei gilt, dass maximal zehn Personen gleichzeitig am Schwimmunterricht teilnehmen beziehungsweise trainieren dürfen. Das Abstandsgebot von 1,5 Metern muss ebenso eingehalten werden, deshalb darf jede Bahn nur von maximal drei Personen gleichzeitig benutzt werden – ein Aufschwimmen oder Überholen ist dabei nicht gestattet. Nach Möglichkeit sollten die Bahnen außerdem durch Leinen voneinander getrennt werden. Marc Hemberger freut sich zwar, sieht aber durchaus auch Hürden. Darüber spricht er mit dieser Zeitung und auch über gesellschaftliche Folgen im Zuge der Pandemie mit Blick auf das Schwimmen.

Herr Hemberger, ab 2. Juni sollen Lockerungen für Schwimmbäder in Kraft treten. Wie froh sind Sie darüber?

Dr. Marc Hemberger: Ich bin da etwas zwiegespalten: Zum einen bin ich froh, dass es jetzt schon weitergehen kann, zum anderen ist die Umsetzung der nach wie vor geltenden Regelungen zu Abstand und Hygiene schwer konsequent durchzuhalten. Seit dem 16. März konnte keine Schwimmausbildung in irgendeiner Form mehr stattfinden. Betroffen davon waren etwa 200 Kinder, Jugendliche und Erwachsene in unseren Schwimmstunden und -kursen. Mit der nun zumindest prinzipiellen Möglichkeit, wieder Kurse und Trainings anbieten zu können bei den gegebenen Auflagen, sollten wir eigentlich erleichtert sein. Allerdings sind die Vorgaben sehr strikt, weswegen wir große Schwierigkeiten in der Durchführung der Kurse sehen.

Wie konnten die DLRGler in den vergangenen Wochen überhaupt „trainieren“?

Hemberger: Wir konnten nur in der Theorie „trainieren“. Im Bereich Sanitätsdienst gab es einige Onlineübungsabende, in denen oft aus Zeitmangel liegen gebliebene Themen aufgegriffen werden konnten. Natürlich war auch Corona und der Umgang im Sanitätsdienst sowie der Wache dort Thema. Alles andere unserer vielfältigen Arbeit in der Schwimmausbildung, der Jugendarbeit mit Zeltlagern und den Grillfesten ist ausgefallen. Da unser Vereinsraum im Bassermann-Haus ja auch wegen der Corona-Auflagen nicht zur Verfügung steht, haben wir uns online verabredet.

Sind die Hygiene- und Abstandsauflagen in dieser Art und Weise in Schwimmbädern überhaupt umzusetzen?

Hemberger: Wir schwimmen in der Nordstadthalle. Wenn ich die Halle in Gedanken durchgehe, umfassen die derzeitigen Hygiene- und Abstandsauflagen die Schaffung von Desinfektionsmöglichkeiten an den Ein- und Ausgängen, die Öffnung der nichtautomatischen Türen aus hygienischen Gründen, eine eindeutige Wegeregelung durch die Halle, in den Umkleiden genügend Platz zwischen den Spinden, Einzelumkleiden, die verschließbar sind, abgeschaltete Föhns und eine begrenzte Zahl der Duschen. Da sind wir mit der Stadt in Kontakt, wie das umzusetzen ist. Wir sind intern bereits seit einigen Wochen an der Planung, unterstützt auch durch unser Präsidium und den Landesverband. Auch der Deutsche Schwimmverband (DSV) hat sich dazu Gedanken gemacht. In der Verordnung steht neben dem Abstandsgebot eindeutig, dass Kurs-und Unterrichtsinhalte, in denen ein direkter körperlicher Kontakt erforderlich oder möglich ist, untersagt sind. Damit fallen viele Unterrichtsinhalte der Neuschwimmer- und des Anfängerschwimmens – Hilfestellung inklusive – weg. Für die fortgeschrittenen Schwimmer ist es dagegen vielleicht möglich, einen Plan zu erarbeiten. Jetzt, da die Randbedingungen feststehen, können diese Pläne konkret werden. Aber auch während des Trainings: Wie beaufsichtigen wir die Abstandsregelung und deren Einhaltung im Bad, Dusche und Umkleide? Ganz ehrlich, wir haben jahrelang an Schutz- und Präventionskonzepten im Bereich Bundeskinderschutzgesetz und sexualisierter Gewalt gearbeitet und unsere Ausbilder dahingehend sensibilisiert. Da ist es nahezu unmöglich, die Aufsicht über die Einhaltung der Regelungen durchgängig zu führen. Da müssen bauliche Maßnahmen getroffen werden, die wir zusammen mit der Stadt treffen müssen. In der Schwimmhalle ist das leichter zu kontrollieren, aber außerhalb eben leider nicht. Das Schwimmbadwasser dient nicht der Verbreitung des Virus, daher handelt es sich hier im Wesentlichen um die Einhaltung der Maßnahmen zur Abstandsregelung und der Hygiene, das heißt im Wasser wird Abstand gehalten und dass Schwimmbretter und weitere Utensilien regelmäßig desinfiziert werden können.

Und natürlich die Frage: Wer kann und will unter diesen Bedingungen überhaupt Ausbildung machen?

Hemberger: Das stimmt. Jeder Ausbilder trägt nicht nur für sich, sondern auch für seine Angehörigen eine hohe Verantwortung. Dazu kommt noch die Verantwortung, die Aufsicht in der Schwimmhalle zu führen und Infektionen zu verhindern. Ob man das mittragen will und kann, muss jeder Ausbilder für sich beantworten. Jede Entscheidung wird respektiert.

Wie genau funktioniert die Menschenrettung bei „Abstandshaltung“?

Hemberger: Natürlich hat weder der landgebundene Rettungsdienst noch der Wasser-Rettungsdienst seine Arbeit in dieser Zeit eingestellt. Dafür ergreift das medizinische Fachpersonal die notwendigen Maßnahmen, um sich selbst und andere vor Ansteckung zu schützen. Die notwendige Hilfeleistung erfolgt trotzdem.

Wie soll so ein Wachdienst im Schwimmbad umgesetzt werden?

Hemberger: In Schwetzingen betreiben wir Wachdienst im Freizeitbad „Bellamar“. Es gibt Empfehlungen des Präsidiums der DLRG, wie Wachdienst aussehen könnte, immer unter der Annahme des Schutzes des Wachdienstteilnehmers. Dazu gehört jederzeit erreichbares Handdesinfektionsmittel sowie das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes. Bei der Behandlung von Patienten ist die Nutzung einer Mund-Nase-Maske sowie die Nutzung von Schutzhandschuhen dringend angeraten. Dem Patienten ist ein Einweg-Mund-Nase-Schutz aufzusetzen. Sollte bei der Behandlung ein Verdacht aufkommen, dass der behandelte Patient eine Covid-19-Infektion haben könnte, ist das Gesundheitsamt zu kontaktieren. Eine umgehende Eigenquarantäne ist angezeigt. Jede Erste-Hilfe-Leistung ist zu protokollieren. Es wird auch beschrieben, wie eine Herz-Lungen-Wiederbelebung ablaufen sollte. Die Wachgänger müssen dementsprechend geschult sein. Die Frage zielt ja auch in Richtung auf den heldenhaften Rettungsschwimmer, der einem um Hilfe Rufenden beherzt zur Seite springt und aus dem Wasser zieht. Es gibt Hilfsmittel zur Rettung, die verwendet werden können, ansonsten gilt bislang das Schwimmbadwasser als nicht geeigneter Überträger des Virus. Eine anschließende Desinfektion der Hilfsmittel ist natürlich erforderlich.

Es gibt Gemeinden in strukturschwachen Regionen des Landes, die vermutlich aufgrund der wegbrechender Einnahmen Bäder ganz schließen müssen. Was bedeutet dies in Ihren Augen in gesellschaftlicher Hinsicht?

Hemberger: Die DLRG war in den letzten Jahren sehr aktiv im Bereich des Bädererhalts. Die DLRG und die anderen schwimmsporttreibenden Verbände der Bäderallianz haben es sogar bis in den Sportausschuss des Bundestags mit einer Petition zum Bädererhalt gebracht. Für uns sind Bäder Bestandteil der Grundversorgung, neben den sportlichen und gesundheitlichen Aspekten gehört auch der soziale Treffpunkt aller Alters- und Gesellschaftsschichten zu den wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben der Bäderlandschaft. In den letzten Jahren gab es immer wieder Bäderschließungen im ländlichen Raum, bundesweit haben 25 Prozent der Grundschulen keinen Zugang zu Schwimmbädern, obwohl Schwimmen im Bildungsplan für Grundschulen der Länder aufgeführt ist. Die Zahl der sicheren Schwimmer am Ende der Grundschulzeit liegt bei nur noch 50 Prozent. Da sind Bäderschließungen eine Katastrophe, die sich eine Gesellschaft nicht leisten kann.

Könnten derartige Schließungen verhindert werden – wenn ja: wie?

Hemberger: Für uns heißt das, dass der Kampf um den Erhalt der Bäder noch mehr verstärkt werden muss. Der vom Sportausschuss des Bundestages unterstützte Plan, die Bäder finanziell zu unterstützen muss jetzt noch schneller angegangen und umgesetzt werden. Auch auf Landesebene gibt es dazu Initiativen. Da müssen Kommunen für den Erhalt ihrer Bäder schnell und unbürokratisch unterstützt werden. Wir wissen, dass durch Corona viele als sicher geglaubten Errungenschaften unserer Gesellschaft ins Wanken geraten sind. Mal sehen, ob dazu auch die Bäder gehören.

Welche Kurzzeit- sowie Langzeitfolgen und -gefahren sehen Sie durch nicht geöffnete Bäder oder auch mögliche Bäderschließungen?

Hemberger: Ganz konkret und kurzfristig befürchte ich, dass bei länger dauernder Schließung der öffentlichen Bäder und Badestellen die Menschen auf unbewachte Teiche, Seen und Flüsse ausweichen werden. Schon in den letzten Jahren sind 80 Prozent der Ertrinkungstoten dort zu finden gewesen. Für den möglicherweise heißen Sommer 2020 befürchte ich daher steigende Ertrinkungszahlen. Wenn Bäder langfristig schließen, gerade die kommunalen Bäder, die zur Schwimmausbildung geeignet sind, werden die Zahlen der sicheren Schwimmer in der Grundschule weiter zurückgehen. Wir werden immer weniger Nichtschwimmer zu Schwimmern und zu Rettungsschwimmern ausbilden können, die dann als Lehrer, Polizist oder Feuerwehr Dienst am Menschen tun. Und dann wird es noch weniger Ausbildung für Grundschulen geben. Ob es uns dann gelingt, den Abwärtstrend bei der Schwimmfähigkeit der Bürger aufzuhalten? Schwimmen können ist kein Luxusgut, sondern für jedermann. Ich vergleiche Schwimmen können gerne mit Fahrrad fahren: Jeder sollte es können und kann es lernen. Nur ist noch kein Mensch gestorben, weil er nicht Fahrrad fahren konnte.

Hat die Pandemie die Arbeit und den Einsatz der DLRG in Bezug auf das Schwimmenlernen zurückgeworfen?

Hemberger: Da möchte ich die Arbeit der DLRG gar nicht besonders hervorheben. Jeder Bereich der Gesellschaft ist schwer getroffen. Der Bereich der Hilfsorganisationen und der Ehrenamtlichen dabei ganz besonders. Ein ganz kleines Beispiel: Wir haben zwei Bundesfreiwilligendienstler in unseren Reihen, die jetzt ihren angestrebten Ausbildungszweig nicht erreichen werden. Sie wollten Ausbilder im Schwimmen und Rettungsschwimmen werden. Das wird jetzt nicht gehen, da es keine Ausbildungsangebote gibt.

Haben Sie einen Plan oder Ideen in der Tasche, um diesen Folgen entgegenwirken zu können?

Hemberger: Ideen ja, der Plan hängt tatsächlich von ganz konkreten gesetzlichen und organisatorischen Vorgaben ab. Da versuchen wir Einfluss zu nehmen an verschiedenen Stellen. Solange bleibt sehr viel offen.

Wann werden Sie das erste Mal wieder ins Wasser gehen?

Hemberger: Ich persönlich bilde im Bereich des Anfängerschwimmens aus. Da fürchte ich, dass wir dazu frühestens im September wieder ins Wasser steigen können.

Zur Person



Dr. Marc Hemberger (52) ist seit 20 Jahren Vorsitzender der DLRG Schwetzingen/Oftersheim/Plankstadt und seit einigen Jahren stellvertretender Vorsitzender im DLRG-Bezirk Rhein-Neckar.

Er ist seit 34 Jahren in der DLRG vielseitig aktiv. Hemberger ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Plankstadt. kaba

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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