Justiz

Mannheimer Messerattentat: Islamistische Szene feierte Angreifer als Krieger Gottes

Im Netz bejubelten sie seine „heldenhafte Operation“. Ein Islamwissenschaftler berichtet vor Gericht, wie Mitglieder der islamistischen Szene auf die Tat in Mannheim reagierten.

Von 
Agnes Polewka
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Blick in den Gerichtssaal: Im Sitzungssaal 1 des Oberlandesgerichts in Stuttgart-Stammheim wird das Messerattentat juristisch aufgearbeitet. © Martin Burkhardt

Mannheim. Am 2. Juni 2024 um 17.03 Uhr stirbt der Polizist Rouven Laur. Die Nachricht von seinem Tod geht um die Welt. Und bei den Menschen, die davon erfahren, ist da vor allem Trauer. Und auch Angst, Wut. In den dunklen Ecken des Internets finden sich aber auch noch andere Reaktionen: Freude und frenetischer Jubel.

Mitglieder der islamistischen Szene feiern im Sommer 2024 den Mannheimer Messerangreifer, der mit einem Jagdmesser auf den Marktplatz kam, um Ungläubige zu töten. Sein Ziel: Islamkritiker Michael Stürzenberger, der dort mit seinem rechtspopulistischen Verein „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) eine Kundgebung abhalten wollte.

Noch bevor die BPE-Hymne ertönte, stach der Angreifer auf ihn ein. Er verletzte Stürzenberger und weitere Menschen zum Teil schwer. Und er ging hinterrücks auf Rouven Laur los. Das Messer traf den Polizisten am Hals und am Kopf. Er überlebte seine schweren Verletzungen nicht.

Der Angeklagte Sulaiman A. zu Beginn des Verfahrens. © Martin Burkhardt

Der mutmaßliche Täter Sulaiman A. (26) muss sich seit Mitte Februar vor dem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Mord, versuchten Mord in fünf Fällen und gefährliche Körperverletzung vor.

Ein Islamwissenschaftler, der das Internet und das Dark Web für das Bundeskriminalamt regelmäßig nach radikalen islamistischen Inhalten screent, spricht im Sitzungssaal 1 des OLG-Gebäudes in Stuttgart-Stammheim über das Echo der Szene auf das Messerattentat.

Auf Telegram gibt es im Sommer 2024 Menschen, die den Angreifer als „Löwen“ feiern, als Widerstandskämpfer in diesem heiligen Krieg auf dem Pfad Gottes. Sie loben seine Standhaftigkeit, dass er die Tat durchzog – obwohl er doch eine Frau und zwei Kinder habe. Die Menschen im Netz bejubeln zunächst, dass er gegen den Islamkritiker vorging. Das sei ein „Kampf gegen Teufel“, die man enthaupten müsse, fasst der Experte die Reaktionen zusammen.

Michael Stürzenberger, der zum zweiten Mal in Folge im Gerichtssaal ist, fragt den Sachverständigen: „Gab es denn im Netz Aufforderungen, den Job zu beenden?“ Also ihn, Stürzenberger, zu töten? „Ja“, sagt der Sachverständige. „Es gab einen Telegram-Post, in dem stand, in welcher Klinik Herr Stürzenberger sich befinde und dass man ihn dort doch ,besuchen‘ könne.“

User bejubeln den Angriff, der die „Herzen der Gläubigen geheilt“ habe

Die User feiern nicht nur den Angriff gegen den Islamkritiker Stürzenberger und seine BPE-Anhänger, sondern auch den Mord an Rouven Laur. Der Angreifer habe die „Herzen der Gläubigen geheilt“, heißt es in einem der Beiträge. Ein Polizist, der solche Kundgebungen schütze, sich vor Einzelpersonen stelle, die den Islam verunglimpfen, sei Teil eines verachtenswerten Systems und einer der „Handlanger“.

„Das würde auch für Sie und mich gelten?“, fragt der Vorsitzende Richter des Senats, Herbert Anderer. „Ja“, sagt der Sachverständige. Ein Richter und ein Mitarbeiter des BKA, zweifelsohne Teil des Systems.

Dann spricht der Sachverständige über weitere Nachrichten aus dem Spätsommer, in denen einige Radikale dazu aufrufen, dem Messerangreifer nachzueifern, ähnliches zu tun. Andere vergleichen den Mannheimer Angreifer mit den Kouachi-Brüdern, die den Angriff auf die Redaktion des französischen Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ verübten und mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida in Kontakt standen.

Accounts, die eben jenem nahe stehen, sprechen nach dem Attentat von einer „heldenhaften Operation“. Ein Bekenntnis zum Angreifer? „Das wäre überinterpretiert“, sagt der Sachverständige.

Akteure aus dem IS-nahen Spektrum hätten sich zunächst untereinander darüber ausgetauscht, ob dieser Mannheimer Täter aus ihren Reihen stamme. Der Tenor ihrer Nachrichten: auf offizielle Mitteilung warten. Die kommt aber nie.

Und doch fällt dem Sachverständigen eine eindeutige Einschätzung schwer, wenn es um Bekennerschreiben der großen Terrororganisationen geht. Sowohl der IS als auch Al-Kaida hätten sich in den vergangenen Jahren strategisch neu ausgerichtet. „Man kann sich auch zugehörig fühlen, ohne Teil der Organisation zu sein.“

Neue strategische Ausrichtung des Terrornetzwerks IS

Vor einigen Monaten sagte der Terrorexperte Hans-Jakob Schindler vom „Counter Extremism Project“ im Gespräch mit dieser Redaktion, dass der IS seit 2017 dezidiert an Anhänger appelliere, nicht mehr in den Irak oder nach Syrien zu kommen und stattdessen lieber zu spenden – oder eben im Ausland aktiv zu werden. „Dazu gab es eigens Videos, in denen, wie immer bei der IS-Propaganda besonders grausam, Messerattacken am lebenden Objekt gezeigt wurden“, sagte Schindler.

Neben diesen inspirierten Anschlägen seien die Terroristen auch wieder dazu übergegangen, komplexe Anschläge zu planen, wie sie Mitte der 10er Jahre vor allem Frankreich erschütterten. Und zweitens verübe die Terrororganisation sogenannte „angeleitete Anschläge“, sagte Schindler. Dabei bekämen Menschen, die sich im Stillen radikalisiert haben, per Online-Kommunikation „professionelle“ Unterstützung durch IS-Terrorprofis bei der Verwirklichung ihrer Pläne.

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Und so müssen Angreifer längst kein offizielles Mitglied sein, um im Sinne der Organisationen zu handeln.

Der Angeklagte Sulaiman A. hat sich bislang weder im Ermittlungsverfahren noch vor Gericht zur Tat oder zu seinen religiösen Überzeugungen geäußert. Bislang hat er im Sitzungssaal nur über sein Leben gesprochen. Am zweiten Prozesstag zeichnete A. die Geschichte seiner Flucht aus Afghanistan nach und sprach über seine Ankunft in Deutschland.

Er schien gut integriert zu sein, es gab Menschen, die sich um ihn kümmerten. Sie stellten sicher, dass er medizinisch und auch psychologisch untersucht wurde. Er lernte Deutsch, ging zur Schule, er heiratete und wurde Vater. Er hatte gute Perspektiven.

Daneben stehen die Informationen über seine mutmaßliche Radikalisierung, Chats, in denen es um dir Ermordung „Ungläubiger“ ging und der Jubel über die Tat in der islamistischen Szene. All dies ist in den vergangenen Wochen vor Gericht thematisiert worden, ohne dass der Angeklagte sich dazu äußerte.

Ab 25. März will Sulaiman A. aber auch darüber vor Gericht sprechen.

Redaktion

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