Nachhaltigkeit

Mehrweg statt Einweg: Wie sieht es in Schwetzingen aus?

Neue Ära für das To-go-Zeitalter: Seit 1. Januar gilt die gesetzliche Verpflichtung für Mehrweg- statt Einweggeschirr. Wir haben uns in Schwetzingen mal umgehört.

Von 
Stefan Kern
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Antonio Sotgiu und Frank Käseberg haben eine Alternative für Pizzakartons bereits im Einsatz. © Stefan Kern

Schwetzingen/Region. In Umfragen steigt das Umweltbewusstsein der Deutschen unaufhörlich. Seit vielen Jahren erklären sie in Befragungen, dass sie bereit sind, für Fleisch mehr zu bezahlen, wenn es dem Tierwohl dient. Zuletzt zeigte sich fast die Hälfte der Deutschen überzeugt davon, dass Fernflüge und Kreuzfahrten etwas zurückhaltender angegangen werden sollten. Und eine große Mehrheit sagte, dass sie verstärkt auf Verpackungsmüll achten und vor allem ihren Mitnahme-Verbrauch (Englisch: to go) beschränken wolle. Doch der Weg vom Bewusstsein ins Handeln scheint nicht immer leicht zu sein. Die Zahlen, die das Handeln beschreiben, sind jedenfalls eher ernüchternd.

Der Anteil von Biofleisch am Gesamtmarkt, das dem Tierwohl ja eher zum Vorteil gereicht, machte bei Geflügel im Jahr 2021 2,6 Prozent und bei Schwein, Rind und Lamm 3,6 Prozent aus. Nach dem Corona-Jahr 2020 mit etwas über einer halben Million Kreuzfahrt-Passagiere rechnet die Branche für 2023 wieder mit einem Niveau wie im Vor-Corona-Jahr 2019, sprich mit über 2,5 Millionen Gästen an Bord. Weltweit erwartet die Branche im kommenden Jahr 32 Millionen Passagiere, das wäre ein Plus von zwei Millionen im Vergleich zu 2019.

Und beim Verpackungsmüll verzeichnet das Statistische Bundesamt von 1999 mit etwas über 14 Millionen Tonnen bis 2019 mit fast 19 Millionen Tonnen ein Plus von knapp fünf Millionen Tonnen. Der Bereich Einweggeschirr und To-go schlägt dabei mit 350 000 Tonnen zu Buche. Laut Umweltbundesamt verbrauchen die Deutschen Jahr für Jahr fast drei Milliarden Einwegbecher – Macht pro Stunde über 340 000 Becher oder pro Kopf und Jahr 36 Becher. Alles Zahlen, die durch Corona ganz sicher nicht kleiner wurden. Im Gegenteil: Die Zahl der Einwegverpackungen dürfte in Teilbereichen, so vermutet der Gaststättenverband Dehoga, durch die Decke gegangen sein.

Begrüßenswert, aber . . .

Doch genau damit ist jetzt Schluss. Mit dem 1. Januar dieses Jahres greift die gesetzliche Verpflichtung, neben Einweggeschirr auch ein Mehrwegsystem anzubieten. Anders, so die Überzeugung im Umweltministerium, sei die To-go-Müll-Flut nicht einzugrenzen. Ausgenommen hiervon sind Geschäfte mit weniger als 80 Quadratmeter Verkaufsfläche und weniger als fünf Mitarbeitern. Diese müssen nur gewährleisten, dass Kunden das Essen in mitgebrachten Gefäßen mitnehmen können.

Ursprünglich, so war es geplant, sollte Einweg ganz verschwinden. Doch eine ausnahmslose Mehrwegpflicht war in Deutschland nicht durchzusetzen. Und so einigte man sich in Berlin auf die Pflicht für Gastronomen, mit einem Pfand-Mehrwegsystem als Alternative wenigstens Anreize zu setzen den To-go-Konsum nachhaltiger zu gestalten.

Erstaunlicherweise ergibt eine kleine, freilich absolut nicht repräsentative Umschau in Schwetzingen, dass mit Ausklang des Jahres 2022 nicht wenige Gastronomen hier noch justieren müssen. Vielleicht, so vermutet der Geschäftsführer des Welde-Brauhauses, Robert Nürnberger, stehe die Gastronomie gerade unter dem Eindruck vieler Baustellen. Vor dem Hintergrund der Corona-Zeit, die manche Kollegen immer noch schwer belastet, gewaltigen Personalproblemen und der Inflation, die das Essengehen ja nicht gerade befeuere, sei die To-go-Regelung vielleicht ein Problem-Puzzlestein zu viel. Sein Haus sei jedoch vorbereitet. „Wir prüfen gerade zwei Anbieter und bis Januar steht das Mehrwegangebot.“ Dabei erwartet er aber bei seinen Gästen keine Begeisterung. Das meiste To-go im Welde-Brauhaus sei Essen, das die Gäste hier nicht ganz geschafft haben. „Ich glaube nicht, dass das halbe Schnitzel oder der übriggeblieben Knödel in einem Mehrwegbehälter mitgenommen wird.“ Trotzdem begrüßt er das Projekt. In Sachen Nachhaltigkeit mache es Sinn und sei daher auch ein Fortschritt.

Einweg-Plastik-Produkte sollen mehr und mehr der Vergangenheit angehören. Mit dem 1. Januar sind Gastrobetriebe ab einer bestimmten Größe angehalten, auf Mehrweggeschirr zu setzen. © Robert Günther

Das sieht auch Petar Trivic, Geschäftsführer der Systemgastronomie Aposto am Schlossplatz, so. Der Müllberg müsse kleiner werden und „da will ich mit meinen Gästen mit zu beitragen“. Dabei erwartet er durchaus Zuspruch. „Es kann doch jeder sehen, dass wir ein Problem haben.“ Und die Mehrheit, so glaubt er zuversichtlich, will das Problem angehen. Auch für die Pizza-Kartons denkt er über eine Lösung nach. Denn auch wenn die aus Pappe sind, ist der Ressourcenverbrauch enorm.

Gefunden hat der Autor dieser Zeilen bei seiner Recherche bis dato nur ein Restaurant, das hier eine Lösung im Angebot hat. Das Zafferano in Heidelberg. Für Antonio Sotgiu und Frank Käseberg war To-go-Müll schon immer ein Thema. Käseberg hat vor kurzem ausgerechnet, wie hoch ein Turm aus Pizzakartons wäre, die das sardische Restaurant in einem durchschnittlichen Jahr verlassen. Der Turm wäre knapp über 110 Meter hoch geworden und in den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 wäre er noch deutlich höher gewachsen. Bundesweit fallen laut der Deutschen Umwelthilfe pro Jahr 435 Millionen Pizzakartons an, was ungefähr 50 000 Tonnen Pappkarton entspricht. Würde man die übereinander stapeln und die Höhe des Kartons mit vier Zentimeter annehmen, käme man auf eine Turmhöhe von 174 Kilometern. Damit kommt man locker ins Weltall, dessen Beginn in einer Höhe von zirka 100 Kilometern angesetzt wird. Der Pizzakarton-Turm würde den Mount Everest fast mit einem Faktor 20 überragen. Und da geht es nur um die Pizzakartons in Deutschland! Es sind Dimensionen, die schwindlig machen und Handlungsdruck erzeugen. Wir müssen, so Käseberg, „runter kommen von diesem Irrsinn“. Und so machten sich die beiden schon früh auf die Suche nach einem funktionierenden Mehrwegsystem für Pizzen.

Clevere Lösung

Viele Angebote gibt es nicht und die, die es gibt, seien nicht günstig. Entschieden haben sie sich dann für das System „Pizzycle“ eines Offenbacher Start-ups. Es sieht aus wie zwei flache pizzagroße Teller, die ineinander verschränkt werden können. Die kleinen Luftlöcher gewähren den Abzug der Feuchtwärme, was dafür sorgt, dass die Pizza auch noch nach einer halben Stunde in dem Behälter schön knusprig ist. Ein Zustand, der sich im Pappkarton meist schon nach fünf Minuten erledigt hat.

Wenn To-go eine Zukunft haben sollte, dann so. Pizzakartons, Alufolie, Pappbecher, die übrigens immer eine Kunststoffbeschichtung aufweisen und einer der Gründe sind, warum es heute kaum noch Menschen ohne Plastik im Körper gibt, und Einwegplastikbehälter für Essen müssen möglichst schnell der Vergangenheit angehören. Alles andere hätte für die Natur zunehmend schwerwiegende Konsequenzen.

Bedenkliche Forschungen

Kürzlich fanden Forscher um Emma Carol von der Universität Auckland in Sedimentproben vom Grund der Ozeane in 9000 Meter Tiefe bis zu 1600 Mikroplastikteilchen pro Kilogramm Sediment. Auf den Äckern wiesen Forscher des Thünen-Instituts pro Kilogramm Erde gar bis zu 13 000 dieser winzigen Kunststoffteilchen nach. Wissenschaftler der Stanford-University veröffentlichten jüngst eine Studie, nach der große Bartenwale auf der Jagd nach Krill pro Versuch bis zu 25 000 Mikroplastikteilchen mitverschlucken. Bei einem Blauwal vor der kalifornischen Küste macht das über den Tag insgesamt zehn Millionen Mikroplastikteilchen.

Und 2018 fand man bei einem im Mittelmeer verendeten Pottwal neben Plastiktüten und -flaschen 115 Einwegbecher im Magen. Letzteres führt zu einer Studie der spanischen Universität Cádiz, die keinen Zweifel daran lässt, dass der To-go-Konsum in Form von Plastikprodukten das bedeutendste Problem für die Ozeane dieser Welt ist. 80 Prozent des Mülls in den Meeren besteht aus Plastik und der Großteil davon ist To-go-Müll. Die Verantwortung liegt also nicht abstrakt irgendwo bei der Industrie, sondern bei uns. Und das Ganze komme ja irgendwann zurück auf unsere Teller. Der Nahrungskreislauf sei genau das: ein Kreislauf.

Klar, dass wissen die Schwetzinger Gastronomen Robert Nürnberger und Petar Trivic genau, sei ein Mehrwegsystem mit Aufwand verbunden. Der Kunde muss Pfand bezahlen und den Behälter zurückbringen. Aber die beiden glauben, dass die meisten Menschen am Ende doch dazu bereit seien. Wenn man ehrlich ist, neige sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis zwischen wachsenden Müllaufkommen mit allen Schäden für Fauna und Flora sowie der Mühe, den Behälter zurückzubringen, ziemlich eindeutig in Richtung Mühen und Mehrweg. Das haben auch schon schöne Aktionen in unserem Einzugsgebiet etwa mit Mehrwegbechern für Kaffee bewiesen.

Info: Von Einweg zu Mehrweg – welche Lösungen haben Sie in Ihrem Gastro-Bebetrieb gefunden: Schreiben Sie uns gern (mit Foto) an sz-redaktion@schwetzinger-zeitung.de, Betreff: Mehrweg statt Einweg.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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