Stuttgart. Als Sulaiman A. Ende März zum ersten Mal vor dem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart darüber sprach, warum er am 31. Mai 2024 mit einem Jagdmesser loszog, um auf dem Mannheimer Marktplatz zu töten, sagte er mehrere Sätze, die hängenblieben. Einer davon: „Ich dachte mir, wenn man jemanden töten will, warum dann nicht Herrn Stürzenberger?“
Eine Woche später sitzt der bekannte Islamkritiker Michael Stürzenberger auf dem Platz, auf dem Sulaiman A. stundenlang seine Geschichte erzählte. Auf dem er beschrieb, wieso er ihn, Stürzenberger, „erledigen“ wollte.
Wenn Stürzenberger etwas sagt, drückt er sich gewählt aus, begleitet von einem bayerischen Sing-Sang. An diesem Dienstag spricht er über sich und seine Anfänge als Fernseh-Journalist in München. Und über einschneidende Erlebnisse in seinem Leben. Der 11. September 2001 etwa, der ihn tief erschüttert und ihn erstmals dazu gebracht habe, sich mit Koranversen zu beschäftigen. Um der Frage nachzuspüren: Warum machen Menschen so etwas? Dann später, der Tod eines Freundes bei einem Terroranschlag in Mumbai.
Und über diese entscheidenden Erfahrungen kommt Stürzenberger am Dienstag zu dem Thema, über das er am liebsten spricht: den „politischen Islam“. Laut Stürzenberger verbirgt sich dahinter eine „Ideologie, die die totalitäre Staatsform anstrebt, ein Kalifat – geregelt durch die Scharia, eine eigene Gesetzgebung, die auf religiösen Primärquellen beruht.“ Und darüber will er aufklären.
„Aufklären statt verschleiern“ stand auch auf den Westen der Mitglieder des rechtspopulistischen Vereins „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE), die sie am 31. Mai 2024 bei den Vorbereitungen ihrer Kundgebung auf dem Mannheimer Marktplatz trugen.
Doch noch bevor die BPE-Hymne ertönte, ereignete sich dort eines der brutalsten und aufsehenerregendsten Verbrechen der jüngeren Mannheimer Geschichte. Ein Messerangreifer verletzte Stürzenberger und weitere Menschen zum Teil schwer. Der Polizist Rouven Laur, der in das Tatgeschehen eingriff, trug tödliche Verletzungen davon. Der mutmaßliche Täter muss sich seit Mitte Februar wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten.
Mehrfach wegen Volksverhetzung vor Gericht
Stürzenberger war früher in seinem Leben Pressesprecher der Münchner CSU, dann Bundesvorsitzender der Kleinpartei „Die Freiheit“, die vom Bayerischen Verfassungsschutz beobachtet wurde, und sich 2016 schließlich auflöste. Stürzenberger selbst hatten die bayerischen Verfassungsschützer bis 2022 im Visier. Der Grund: seine „herausragende Stellung“ innerhalb des „Phänomenbereichs Verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit“. Dadurch habe er sich stigmatisiert gefühlt, sagt Stürzenberger am Dienstag. Und er sei froh, dass er inzwischen nicht mehr unter Beobachtung stehe.
Bis 2022 wurde ihm vorgeworfen, regelmäßig den Islam zu verunglimpfen. Es „liegen zahlreiche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass Stürzenberger und sein Umfeld verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebungen verfolgen“, heißt es in einem der Berichte. Stürzenberger differenziere nicht zwischen Muslimen und radikalen Muslimen. Einige seiner Forderungen verletzten laut den Verfassungsschützern die Menschenwürde von Muslimen.
Stürzenberger musste sich mehrfach wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten. Der Vorsitzende Richter des Senats, Herbert Anderer, konfrontiert ihn – wie andere Zeugen aus den BPE-Reihen vor ihm – mit einem Urteil aus dem Jahr 2020. Stürzenberger wurde damals in zwei Fällen wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 220 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Warum?
Etwa, weil Stürzenberger im Juli 2015 bei einer öffentlichen Rede sagte: „Ihr wisst es, liebe Polizisten, ihr werdet von denen, von diesen Linksextremen, als Bastarde diffamiert. Die rufen ACAB, All Cops Are Bastards – alle Polizisten sind Bastarde“ und weiter: „Das sind Feinde des demokratischen Rechtsstaats. Und ihr Polizisten, ihr verteidigt den freien, demokratischen Rechtsstaat und deswegen hassen sie euch. Und das haben sie mit den Moslems gemein, weil Moslems lehnen auch den freien, demokratischen Rechtsstaat ab.“ Einige Sätze später sagte Stürzenberger: „Beide hassen die Polizei, beide hassen die Demokratie, beide hassen sie den freien, demokratischen Rechtsstaat. Ja, das ist die geistige Brüderschaft, und wir sagen, wie es ist: Der Nationalsozialismus war eine linke Bewegung damals.“
Erst nach mehr als zwei Stunden kommt Anderer – nach einem Exkurs zu den Ursprüngen der „Bürgerbewegung Pax Europa“ – zum Attentat auf dem Marktplatz. Und es zeigt sich einmal mehr, dass diese Verhandlung nicht vor einem „normalen“ Schwurgericht stattfindet, sondern eben vor einem Staatsschutzsenat.
Immer wieder ist ein Murren im Sitzungssaal zu hören, eine Prozessbeobachterin schnaubt empört. Bereits während der Aussagen anderer BPE-Mitglieder monierten einige Prozessbeobachterinnen und -beobachter eine „Täter-Opfer-Umkehr“. Doch Anderer zeigte sich bislang stets unbeeindruckt von solchen Feststellungen.
Anderer lässt ein Video auf die beiden Großleinwände des Sitzungssaales projizieren. Zu sehen ist ein neunminütiger Livestream, den Stürzenberger wenige Minuten vor der Tat auf seinem eigenen Kanal veröffentlicht hat. Er spricht darin über die Talkshow von Markus Lanz am Vorabend, zeigt auf den neuen Pavillon der BPE und lädt Interessierte auf den Mannheimer Marktplatz ein. Im Hintergrund sieht man den Polizisten Rouven Laur, der sich nähert und beobachtet, wie Stürzenberger sich das Smartphone vors Gesicht hält.
Da habe ich registriert: Jetzt wird es gefährlich
Dann geht es um den eigentlichen Angriff, den Stürzenberger nicht kommen sah. Er habe einen Kontakt gespürt, sei hingefallen, wieder aufgestanden und sah das Messer. „Da habe ich registriert: Jetzt wird es gefährlich.“ Dann hätte „das Stechen“ aufgehört, plötzlich habe der Angreifer von ihm abgelassen.
An die Reihenfolge der sechs Stiche, die in seinen Körper fuhren, kann Stürzenberger sich nicht erinnern. Einer davon verfehlte nur knapp seine Lunge, das erfuhr er später in der BG Unfallklinik in Ludwigshafen. Bis heute leide er an Taubheitsgefühlen rund um das vernarbte Gewebe. Und auch sonst habe der 31. Mai 2024 sein Leben verändert. Er habe sich vollkommen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
„Ich bin froh, dass ich überlebt habe, und ich bin froh, dass meine Freunde überlebt haben“, sagt Stürzenberger. „Es trifft mich zutiefst, dass ein Polizist sterben musste.“ Und ja, er habe Todesangst empfunden, allerdings erst später, als er sich das Video ansah, das die Tat im Livestream ins Netz übertrug.
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