Schwetzingen. Der Amoklauf auf dem Campusgelände der Universität im Neuenheimer Feld in Heidelberg am 24. Januar, der neben dem Täter, der sich selbst richtete, ein unschuldiges Todesopfer und mehrere Verletzte forderte, lässt viele Menschen fassungslos und traumatisiert zurück. Für diese Menschen gibt es jedoch Hilfe – finanziell und seelisch. Dr. Susanne Brose-Mechler ist Oberärztin und Leiterin des Zentrums für Psychische Gesundheit Schwetzingen (zfpG Schwetzingen), einer Anlaufstelle für Betroffene. Die Expertin verdeutlicht im Gespräch, warum ein Austausch über das Erlebte wichtig ist.
Frau Dr. Brose-Mechler, was macht so ein Ereignis wie dieser Amoklauf mit den Menschen, mit direkt Betroffenens aber auch mit Beobachtern, die weiter entfernt sind?
Dr. Susanne Brose-Mechler: Diese Amoktat löst bei jeden von uns eine Reaktion aus, zumeist Betroffenheit und Entsetzen. Die Menschen im Hörsaal erlebten eine unmittelbare schwere Bedrohung. Andere wiederum waren Zeuge oder hielten sich im Gebäude auf und hörten wenig später von der Tat. Jeder Einzelne reagiert anders, oft zunächst mit starker Angst und Verzweiflung aber auch dem Gefühl der Unwirklichkeit. Die unterschiedlichen Reaktionen oder Symptome, die nach solch einem Erlebnis auftreten, teilen wir in Symptomgruppen ein. Wie unter anderem das ungewollte Wiedererleben des Traumas, sowohl Bruchstückhaft als auch als Flashback. Die Betroffenen haben dann das Gefühl, dass Trauma erneut im Hier und Jetzt wahrhaftig zu erleben. Mit einher können starke körperliche Reaktionen gehen. Viele Betroffene fühlen sich auch wie betäubt, ziehen sich zurück und verlieren das Interesse an Dingen, die ihnen sonst Freude bereitet haben. Auffallend ist ihr negativer Blick in die Zukunft. Eine große Zahl der Betroffenen leidet darüber hinaus unter Schreckhaftigkeit. Weil sich das Alarmsystem, welches während der Tat aktiviert wurde, noch nicht wieder herunterreguliert hat. Diese Menschen sind reizbarer, reagieren ärgerlicher als sonst und fühlen sich selbst schlecht behandelt. Hinzu kommen Schlafstörungen und auch Alpträume. Alle diese Symptome sind nachvollziehbar und erklärbar. Meist bilden sie sich innerhalb von Tagen, Wochen oder Monaten allmählich wieder zurück.
Geschieht das zeitnah oder können sich Probleme auch erst Wochen später zeigen?
Brose-Mechler: Es ist gar nicht so selten, dass diese Symptome oder Beschwerden erst Wochen oder Monate nach dem Ereignis auftreten können.
Mit was müssen Betroffenen nun eigentlich klarkommen?
Brose-Mechler: Das traumatische Ereignis bedeutet einen erheblichen Vertrauensverlust in die Menschen und das gesamte Umfeld. Daher benötigen die Betroffenen das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Oftmals erleben wir Schreckhaftigkeit und Empfindlichkeit auf Geräusche.
Was ist hier hilfreich?
Brose-Mechler: Geregelte Tagesabläufe und ausreichend Schlaf sind wichtig. Die Möglichkeit, sich kurzzeitig mal zurückziehen zu können, um sich zu entspannen, ist ebenfalls sehr hilfreich. Spaziergänge an der frischen Luft und viel Bewegung sind immer gut. Wichtig ist, sie sollten der Trauer Raum geben. Die Menschen benötigen die Ermutigung, wieder Dinge zu tun, die ihnen Freude machen. Es kann durchaus vorkommen, dass das Befinden schwankt und nach Tagen der Besserung auch wieder Symptome auftreten. Dies ist meist ein Hinweis darauf, dass sich der- oder diejenige vielleicht doch etwas zu viel zugemutet hat. Daher ist es besser, Schritt für Schritt die Dinge des Alltags anzugehen. Nicht alles auf einmal.
Wie lange kann eine solche seelische Belastung andauern?
Brose-Mechler: Wie lange uns die Symptome belasten, richtet sich auch nach der eigenen Resilienz. Hierunter verstehen wir die psychische Widerstandskraft, schwierige Lebenssituationen zu bewältigen. Ganz grundsätzlich möchte ich den Betroffenen Mut machen, professionelle Hilfe anzunehmen. Wenn Symptome einen so stark belasten, dass sie das alltägliche Leben beeinträchtigen, sollte man unbedingt therapeutische Hilfe suchen. Oftmals reichen einige wenige therapeutische Gespräche, um die Symptome unter Kontrolle zu bringen.
Welche Hilfen gibt es für solche Vorfälle?
Brose-Mechler: Betroffene können Hilfe beim Weißen Ring, Telefon 0711/90 71 39 90, erhalten. Insgesamt verfügt Baden-Württemberg über ein gutes Netzwerk an Trauma-Ambulanzen. 2014 wurde die Trauma-Ambulanz am zfpG Schwetzingen etabliert. Außerdem können sich Betroffenen auch an niedergelassene Psychotherapeuten wenden. Hier kann die Vermittlung über das Patiententelefon der „KVBW Med Call“, Nummer 0711/78 75 39 66, erfolgen.
Wie gehen Sie in Ihrer Ambulanz vor?
Brose-Mechler: Betroffene erreichen uns telefonisch oder per E-Mail – Rufnummer 06202/84 0 20 oder ambulanz@zfpg-schwetzingen.de. Wir vergeben zeitnah einen Termin für ein erstes Gespräch. Hier werden die Möglichkeiten zur aktiven Bewältigung des Ereignisses besprochen, Fragen beantwortet und andere Möglichkeiten zur Unterstützung aufgezeigt.
Haben sich Betroffenen bei Ihnen gemeldet und von was berichten sie?
Brose-Mechler: Aus unseren Erfahrungen wissen wir, dass sich die Menschen meist erst nach einigen Tagen, Wochen oder gar Monaten hier melden. Oft sind es die Angehörigen, welche Hilfe für die Betroffenen suchen. Für Angehörige ist es wichtig, Verständnis zu zeigen, fürsorglich und unterstützend zu sein. Wichtig dabei, die Balance zwischen Fürsorge und Grenzensetzen ist für die Genesung von großer Bedeutung. Eine Überfürsorge und völlige Abschirmung nimmt dem Betroffenen die Chance, selbst wirksam die Situation zu bewältigen.
Was machen solche Erzählungen mit Therapeuten. Wie gehen diese damit um?
Brose-Mechler: Die geschilderten Ereignisse lösen natürlich auch bei uns Anteilnahme aus. Zugleich ist die Erarbeitung von professioneller Distanz ein Kernstück unserer Fort-und Weiterbildung. So können wir mitfühlen und bleiben in unserer Behandlung doch professionell. Eine gute kollegiale Vernetzung und regelmäßige Supervision gehören ebenso dazu.
Haben die Ereignisse in den sozialen Medien Auswirkungen?
Brose-Mechler: Die Problematik der Darstellung in den sozialen Medien ist virulent. Die ungefilterte Verbreitung und Dramatisierung ist meines Erachtens eine erhebliche Respektlosigkeit gegenüber den Betroffenen und deren Angehörigen und hilft keinesfalls bei der Bewältigung des erlebten Traumas. Im Gegenteil, es kann das Trauma sogar verschlimmern.
Hintergrund und Kontakt
- Das Versorgungsamt im Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis, Referat Soziale Entschädigung, weist darauf hin, dass Menschen, die Opfer eines vorsätzlichen, tätlichen, rechtswidrigen Angriffs geworden sind und dadurch eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen nach dem Opferentschädigungsgesetz auf Antrag Leistungen erhalten können. Fragen zum Opferentschädigungsgesetz beantwortet Claudia Bender, Versorgungsamt, Telefon 06221/5 22 27 25, E-Mail: c.bender@rhein-neckar-kreis.de
- Um psychische Folgen zu vermeiden, ist es notwendig, schnell über das Erlebte mit Ärzten sprechen zu können, die auf die Bewältigung eines Traumas spezialisiert sind. Das Zentrum für Psychische Gesundheit Schwetzingen bietet hierzu schnelle Hilfen an. Betroffene können unter der Nummer 06202/ 84 80 20 oder per E-Mail an ambulanz@zfpg-schwetzingen.de einen Termin vereinbaren.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-nach-amoklauf-in-heidelberg-finden-betroffene-hilfe-im-zentrum-fuer-psychische-gesundhei-_arid,1908949.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html