Vergilbte Dokumente und ein Fotobuch, das fast auseinanderfällt. An einigen Stellen sind nur noch die Klebestreifen zu sehen. „Da fehlt ein bisschen was, aber er hat so vieles aufgehoben.“ Wilhelm Sturm blättert vorsichtig die Seite um. Streichelt über das etwa 100 Jahre alte Papier – und erzählt von dem Großvater seiner Frau.
August Neumann wurde 1900 geboren und starb 1980. Er lebte in einer Zeit zweier Weltkriege, voller Ausgrenzung und Hass. Auf den Fotos ist das nicht zu sehen. Da lächelt er mit seinen Kameraden stolz in die Kamera. Sieht aus wie ein echter Macher, der sich jahrelang beim Ausbesserungswerk Schwetzingen an vielen Dampflokomotiven die Hände schmutzig gemacht hat.
Der 83-jährige Wilhelm Sturm kann sich noch an seine Wohnung erinnern: „Gegenüber vom Bahnhof, wir konnten vom Fenster auf die Gleise sehen. Mein Sohn Jürgen hat damals mit etwa zwei Jahren immer gelauscht und war ganz aufgeregt, wenn er dann von Weitem schon einen Zug gehört hat“, erzählt er. Jetzt ist sein Sohn 61 Jahre alt und August Neumann schon vier Jahrzehnte tot. „Im Krieg hat er den Bautrupp auf der Strecke von Eberbach bis Heilbronn geführt, danach beim Ausbesserungswerk Schwetzingen. Das muss etwa 1950 gewesen sein“, sagt Sturm.
1914 hat er seine Lehre in Karlsruhe bei der Reichsbahn angefangen – Stundenlohn 6 Pfennig. Im Lehrvertrag steht unter anderem auch, dass seine Mutter „Frau Neumann verspricht, ihren Sohn zu einem ordentlichen und gesitteten Lebenswandel anzuhalten und ihn zur pünktlichen Einhaltung seiner eingegangenen Pflichten zu ermahnen. Sie verpflichtet sich, den Lehrling während der ganzen Dauer des Lehrverhältnisses angemessen zu unterhalten und ihm Unterkunft in ihrer Familie zu gewähren“. Sturm liest es vor und schmunzelt.
Beamter auf Lebenszeit
Am 18. Mai 1943 wurde er dann im Namen von Adolf Hitler zum Werkführer ernannt – und gleichzeitig in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Der damalige Präsident der Reichsbahndirektion schreibt dazu: „Ich vollziehe diese Urkunde in der Erwartung, dass der Ernannte getreu seinem Diensteide seine Amtspflichten gewissenhaft erfüllt und das Vertrauen rechtfertigt, das ihm durch diese Ernennung bewiesen wird. Zugleich darf er sich des besonderen Schutzes des Führers sicher sein.“ Nicht nur der Wortlaut zeigt schwarz auf weiß, wie alt dieses Dokument ist, auch die Schriftart lässt es erahnen. Buchstaben mit Serifen, ein langes „s“, über das man beim Lesen etwas stolpert.
40 Jahre war Neumann am Ende Teil der Bahngeschichte. „Er hat als Oberwerkmeister die Dampflokomotiven oder auch die Schienen repariert“, sagt Sturm. Über seine Arbeit habe er zu Lebzeiten nicht viel gesprochen. Die vielen Auszeichnungen und Geschenkkörbe zur Treue und Anerkennung zeigen allerdings: An den Bahngleisen hat er sich wohlgefühlt. „Es gab auch Bilder, wo in der Kantine des Ausbesserungswerks Fasnacht gefeiert wurde“, sagt er. Und noch ein denkwürdiger Moment ist im Fotoalbum verewigt. Viele Mitarbeiter des Ausbesserungswerks stehen und sitzen vor und auf einer Dampflokomotive. Plakate sind zu sehen: „Jetzt hat der Fleck erfüllt sein Zweck“, steht darauf. Vermutlich wurde an diesem Tag eine Dampflokomotive in Schwetzingen verabschiedet – und August Neumann war dabei.
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