Oldtimer stehen am ersten Septemberwochenende beim Concours d'Elegance im Schwetzinger Schlossgarten - unter anderem der Motorwagen "Velo" von Carl Benz. Jean Pfanz-Sponagel (1879 - 1958, unser Bild) war einer seiner ersten Mitarbeiter und hat seine Erinnerungen aufgeschrieben. Sie sind im Besitz von Enkelin Heide Schuh. Wir durften mal darin blättern und möchten einige Auszüge veröffentlichen:
An Ostern 1894 trat ich als technischer Lehrling bei der Firma Benz & Co. ein, nachdem Vorstellung und Aufnahme bereits am Gründonnerstag durch Herrn Benz selbst vorgenommen wurde. Das Büro "Motorenbau" beherbergte damals zwei Ingenieure und einen Techniker. Carl Benz betätigte sich an der Neukonstruktion von stationären Motoren, die damals auch noch für bestimmte Zwecke, so für Lichtanlagen besonders konstruiert wurden; denn das elektrische Licht war damals noch eine Seltenheit.
Im Büro für "Wagenbau", dem sogenannten "Geheimbüro" - eine Treppe über der Dreherei einem Magazin angegliedert - befand sich auch Richard Benz, der Sohn des Chefs, mit einem älteren Lehrling und konstruierte Wagenmotoren sowie Fahrgestelle. Hier verbrachte Carl Benz die meiste Zeit des Tages, galt es doch damals (1894) nahezu täglich Neuerungen und Verbesserungen zu schaffen, um den Wünschen der Kundschaft gerecht zu werden, denn zu jener Zeit gab es schon Wagenbesitzer, die Forderungen stellten. Bereits ein Jahr später, im Frühjahr 1895, durfte ich als angehender Techniker in dieses Geheimbüro eindringen und wurde in fast alle Neuerungen des Wagenbaus eingeweiht.
Schon kleine Serien gefertigt
Noch heute freue ich mich, an der Erstehung der Zwei-Zylinder-Contra-Motoren mitgearbeitet zu haben. Richard Benz hatte es nicht leicht, denn ihm oblag neben der Konstruktion auch die Betriebsleitung mit 130 Leuten. Wir bauten bereits serienmäßig, wenn auch kleine Serien. So den "Velo" und die kleinen Einzylindermotoren für Paris. Die großen Wagen "Viktoria", "Vis-aVis" und "Phateon" wurden, nachdem sie als Fahrgestell auf den Rädern standen, von zwei Männern zum Wagenbauer Kaltreuther gebracht, nachdem sie zuvor von Papa Benz kontrolliert und mit einer Nummer versehen worden waren, die sie für immer behielten. Sie wurden in ein selbst angefertigtes Buch, in die Kladde eingetragen, die bis heute im Nationalbüro existieren.
Von Kaltreuther wurden die Fahrgestelle mit Sitzen, Verdeck und Polsterung versehen, um dann im Rohbau zur Probefahrt zu gelangen. Danach nahm Meister Mitschele die Lackierung vor, die drei bis vier Wochen dauerte, denn ein Motorwagen sollte so fein lackiert sein wie die Kutsche der Großherzogs.
Herr Benz war auch Architekt, fertigte die Pläne für einen Neubau mit Baumeister Fucks zusammen an, der in der Waldhofstraße im Jahre 1896 erstellt werden konnte. Dort gab es dann großzügige Büros, aus denen viele Schüler von Carl Benz später als Konkurrenten hervorgingen. Es ist keine andere Automobilfabrik entstanden, die nicht von Benz-Schülern eingerichtet oder geleitet wurde. Im Jahre 1894 konnte Carl Benz noch ohne weiteres die Männer aufzählen, die einen Motorwagen fahren konnten. War doch das Mannheimer Werk die Geburtsstätte des Wagens und zugleich auch die erste Fahrschule, überhaupt die erste Schule der Automobiltechnik.
Der Opel war eine Kopie
Wenn auch bereits Fahrten anderer Motorwagen stattfanden, so konnten wir im Jahre 1899 bei einer Fernfahrt Mainz-Koblenz außer Motor-Dreirädern nur Benz-, De-Dietrich-und einen Morswagen aus Frankreich sehen. Den uns nachgeahmten Wagen von Opel sahen wir nur in Mainz beim Start. Alsbald nach der Erstellung des Fabrik-Neubaus wurde mit den Konstruktionen für die fabrikmäßige Herstellung von Motorwagen begonnen. In diese Zeit fallen auch die Erfolge, welche den Aufbau des Getriebes mit Riesenschritten vorwärts getragen haben. Der Motorenbau (Groß- und Kleinmotoren) hatte Aufträge, die Fabrikation von "Velo" und "Comfortable" wurde serienmäßig aufgelegt, der Verkauf ins Ausland setzte ein und so wuchs das Werk von Jahr zu Jahr. Carl Benz blieb uns in seinem Schaffensdrang immer ein Vorbild. Seine Anregungen, wenn er aus dem Ausland zurückkehrte, wurden gewürdigt und verwertet. Nicht zugänglich war Carl Benz jedoch, wenn nach der Wagenablieferung jemand aus dem Ausland zurückkam und von den damaligen "Franzosen-Wagen" mit stehenden Motoren berichtet.
Papa Benz hatte seine eigene Lichtanlage mit Akkumulatoren (Batterien) im Keller der Privatwohnung und er hat diese oft selbst an der Schalttafel bedient. Fortwährend waren Verbesserungen fällig und allwöchentlich sind solche an den Bremsen und Lenkungsmechanismen vorgenommen worden. Man bedenke, dass die Bremse im Jahr 1894 nur aus einer einfachen Backenbremse (Radbremse) bestand, wie diese bei Pferdekutschen üblich war. Als dann Gummireifen eingeführt wurden, wurde diesem eine Eisenplatte profilmäßig angepasst und hierdurch eine Bremsvorrichtung ganz neu geschaffen. Die Wagen wurden schneller, von 25 Stundenkilometern wurde die Fahrtgeschwindigkeit auf 35 oder 40 erhöht und damit wurden die Ansprüche höher. Die Kunden wollten auch ins Gebirge fahren und dazu waren gute Bremsen erforderlich.
Man bedenke ferner, dass mit dem ersten Wagen bei gedrosseltem Motor - als Bremse wirkend - gefahren werden konnte. Man musste also den Riemen eingeschaltet lassen. Mein erster und einziger Unfall war im Jahre 1897 dem Außerachtlassen dieser Vorschrift zuzuschreiben. Ich selbst habe schon im Jahre 1895 das Fahren erlernt, was für mich nicht schwer war, durfte ich doch die Wagengestelle in die Stadt steuern, die von zwei Männern geschoben wurden.
Eines Tages musste ich mit Papa Benz in die Stadt fahren, um Werkzeuge, Gewinde- und Spiralbohrer auszusuchen und zu kaufen. Vor dem Laden Hommel in O 5 am Strohmarkt war die Straße voller Neugieriger, die unser Wägelchen, einen "Velo", bewunderten. Da erhielt ich von Papa Benz den Auftrag, den Leuten etwas vorzufahren. So fuhr ich zweimal um den Gockelsmarkt und Papa Benz strahlte, dass der kleine Kerl, ich war 15 Jahre alt, schon so gut fahren konnte. Übrigens nahm Carl Benz die Fahrprüfung immer selbst ab. Es ist vorgekommen, dass ein Bauer oder ein Schutzmann kam und bei einem Vorkommnis unberechtigt unserem Motorwagen die Schuld zuschob, so, wenn die Pferde scheuten oder eine alte Frau erschrocken war. Aber da hatte der betreffende Fahrer keinen leichten Stand bei Papa Benz, nicht einmal, wenn es einer seiner Söhne war. Er hat uns stets darauf hingewiesen, dass wir langsam fahren sollen. Sofern Pferde scheuen, sollten wir den Motor abstellen und den Pferden zureden, um sie zu beruhigen. Hatten wir Jungen die Ehre, mit Benz fahren zu dürfen, so war dies eine richtige Erziehungstour, und wenn wir dabei ans Steuer durften, war dies eine ganz besondere Ehre.
14 Tage Fahrverbot bekommen
Mir ist eine Fahrt in Erinnerung geblieben, die uns von Mannheim über Sandhofen, Käfertal, Goßsachsen und Heddesheim mit einer neuen Zündungsverbesserung (Zündmomentverstellung) und Kompressionserhöhung führte. Der Wagen lief dadurch knapp 35 Sachen und das bezeichnete ein Straßenmeister als Schnellzuggeschwindigkeit, weshalb er bei Benz anrief - die beiden waren Stammtisch-Bekannte - und sich beklagte. Wir bekamen 14 Tage Fahrverbot, was eine der härtesten Strafen für uns war.
Als wir die Serienfabrikation für "Velo" und "Comfortable" richtig aufgenommen hatten, waren die Sonntagsprobefahrten umfangreicher geworden. Mit sechs Wägelchen ging's mal von Mannheim über Schriesheim, Wilhelmsfeld und Schönau wieder heim. Für diese Kolonne hatte Papa Benz Meister Spittler die Verantwortung übertragen. Nach einem Halt in Schriesheim ging es bergauf zum Schriesheimer Hof, wo wir einen kurzen Halt machten. Hyronimus, der später Konstrukteur und Rennfahrer in Wien wurde, machte mir den Vorschlag, von Wilhelmsfeld bis Schönau ein Bergrennen zu fahren. Die Wette nahm ich an und wir ließen die zwei "Comfortable" im Freilauf, also ohne eingeschalteten Motor, bergab rollen. Da aber die Bremssicherheit gleich Null war, konnte ich mein Wägelchen nicht mehr halten, fuhr an einer schwierigen Stelle linksseitig gegen eine Böschung und flog hoch im Bogen mit meinem Mitfahrer heraus. Der Wagen kam auf einem Kuhfuhrwerk zum Schmied Laier nach Wilhelmsfeld. Am nächsten Tag fuhren Hyronimus und ich mit einem Viktoria-Wagen zur "Reperatur-Werkstätte" in Wilhelmsfeld und reparierten den Unfallwagen. Carl Benz war natürlich nicht entzückt, freute sich aber darüber, dass wir das Wägelchen wieder mit eigener Kraft nach Hause brachten - es gab wieder Fahrverbot.
Carl Benz war wie sein Sohn Richard ein passionierter Amateur-Fotograf - viele Bilder, die heute noch in der Öffentlichkeit gezeigt werden, entstammen seiner eigenen Kamera.
Schon 1896 hatte ich mich mit der praktischen Arbeit in allen Materien des damals reichhaltigen Programms vertraut gemacht. In abwechslungsreicher Folge habe ich das Härten von Kugellagern, die wir selbst gedreht haben, das Drehen von Kurbelwellen, das Zylinderbohren kennengelernt, denn es gab noch keine Spezialmaschinen. Und doch konnten wir durch eigens angefertigte Vorrichtungen schon Akkordarbeiten durchführen, die sehr gut bezahlt wurden. Benz hatte für tüchtige Arbeiter immer einen guten Lohn festgesetzt, den er über den Meister hinweg selbst bestimmte. Eine Aufbesserung, die auch nur einen Pfennig betrug, musste von ihm genehmigt werden. Wer eine Verbesserung vortrug, wurde immer belobigt.
Als predige Papa Benz für uns
So bin ich in den Jahren 1894 bis 1902 einer der engsten Mitarbeiter von Papa Benz gewesen. Der Umstand, dass wir Jungen, die durch die Probefahrten enger mit ihm befreundet waren, hat uns sonntags oft in das zu seiner zweiten Heimat gewordenen Ladenburg geführt. Es mussten damals viele Stationen gemacht werden, teils um Wasser zu tanken, teils um kleine Besprechungen abzuhalten, wobei sich die Erklärungen oft wie Predigten angehört haben. Im Besonderen galten diese dem Verhalten während der Fahrt. Papa Benz legte großen Wert darauf, mit niemand in Konflikt zu geraten, denn die Landbevölkerung mit ihrem Geflügel konnte uns große Schwierigkeiten bereiten. Wurde ein Huhn überfahren oder es flog unter die Räder, dann war es der Bäuerin "allerbestes Leghuhn" und musste entsprechend hoch bezahlt werden.
Strafen mussten wir aus Gründen der Selbsterziehung aus eigener Tasche bezahlen. Hyronimus und Wilhelm Schmitt bezahlten am meisten, da sie der Meinung waren, dass die Straße kein Hühner- oder Gänsestall sei. Musik, kleine Ausflüge in den Odenwald, auch der Tanzboden in Käfertal waren Papa Benz angenehm und zur Winterzeit hat er noch im hohen Alter auf dem Floßhafen dem Schlittschuhsport gehuldigt. Immer bleibt aber Carl Benz der Erfinder des Motorwagens und somit zum Bahnbrecher der Motorisierung. - So hat es jedenfalls Jean Pfanz-Sponagel aufgeschrieben.
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