Stadtbibliothek - Poetry Slam zieht Besucher in seinen Bann / Julie Kerdellant erhält lautesten Beifall

Peinliche Eltern erwünscht

Von 
Svenja Fischer
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Moritz Konrad macht das "Performen einfach Spaß". An dem Tag schafft er es nicht ins Finale.

© Lenhardt

"Ich rufe Poetry, ihr ruft Slam!" So einfach sind die Regeln des Dichterwettstreits für das Publikum. Und bitte: "Immer schön laut klatschen!" Marlene Klaus von der Initiative Lesezeit erklärte am Dienstagabend nicht nur erfahrenen Poetry-Slam- Besuchern das Prozedere des Wettbewerbs, der frei übersetzt so viel bedeutet wie "klatschen für Poesie". Auch zahlreiche Poetry-Slam-Anfänger hatten sich in der Stadtbücherei eingefunden. Zehn Künstler trugen ihre selbst verfassten Texte vor. Dafür haben sie maximal sechs Minuten Zeit.

Den Anfang machte Moritz Konrad mit einem Text, den er ausdrücklich nicht seinen Eltern widmete. Die hätten ihn nämlich so stark unterstützt und gefördert, dass er keine kaputte Kindheit vorzuweisen habe, über die er sich als Künstler auslassen könne. "Es war mir sogar peinlich, dass mir meine Eltern als Teenager nicht peinlich waren!"

Manuel Becks lyrischer Text dagegen war eine Lobeshymne: "Ode an Faulenzia". Auf einen Ausflug in die Tierwelt nahm Elmar Bringezu das Publikum mit. So angenehm ruhig, wohlig tief ist seine Bassstimme, man kann sich kaum auf die Inhalte seines Texts konzentrieren konnte.

In der Pause gab Moritz Konrad Einblicke in das Wirken eines Slammers: "Das Performen macht einfach Spaß und man bekommt direktes Feedback." Die Ideen für seine Texte kommen ihm in Alltagssituationen oder hängen mit Themenvorgaben zusammen. Der Karlsruher slammt seit vier Jahren auf den Bühnen der Region. "Angefangen habe ich in Heidelberg beim U 20 Slam. Dort kann man sich ausprobieren."

An diesem Tag hat es der 20-Jährige nicht ins Finale geschafft. In seiner Gruppe bekam Julie Kerdellant den meisten Applaus. "Es ist schon unangenehm, wenn du merkst, dass ein Text wieder und wieder nicht ankommt", sagte Konrad. "Aber ansonsten ist das nicht schlimm. Vor allem nicht, wenn man nachvollziehen kann, dass die anderen Texte auch gut sind und einem gefallen." Nach der Pause ging es nachdenklich zu: Die Poeten sinnierten über vergangene, wiederaufgenommene und leidenschaftliche Liebe.

Jede Menge Handzettel

Das Ablesen der Texte ist beim Poetry Slam übrigens ausdrücklich erlaubt! Ein Buch, eine Mappe, jede Menge Handzettel - auf manchen ließen sich handschriftliche Notizen neben dem Druck erkennen. Der Text kam einmal in Strophen daher, ein anderes Mal ohne Formatierung. Manche Zettel flatterten leicht in den zitternden Händen der Kandidaten. Und manche Slammer wie Yeleni Perez brauchten gar keine Gedächtnisstütze. So unterschiedlich wie das Alter der Slammer und die Inhalte ihrer Texte zeigten sich auch die Garderoben: Einige hatten sich elegant-leger gekleidet, andere bevorzugten ein lässiges Outfit: Kapuzenpullover und Sneakers, die Haare zu Dreads geformt. Die Slammer-Generationen boten dem Publikum, das altersmäßig genauso bunt gemischt war, einen gelungenen Mix an Erfahrungen und Erlebnissen.

"Was sich die Leute ausdenken, ist sehr interessant und lustig", sagte Wolfgang Sior. Dem Ketscher gefielen Julie Kerdellants Text über langsame Menschen und Edith Brünnlers pfälzisch vorgetragener Alptraum, vom "hochdaitsche Dämon" befallen zu sein, am besten. Für ihn stand fest: "Das war nicht mein letzter Poetry Slam."

Im Finale zeigte sich noch einmal die ganze Bandbreite: Julie Kerdellant leise flüsternd und ironisch. Mit tiefstem Dialekt, der das Publikum zum Lachen brachte: Edith Brünnler. Und ganz nachdenklich Yeleni Perez. Dem Publikum fiel es schwer, eine klare Entscheidung zu treffen. Am Ende entschied das Gehör von Thum und Klaus: Für Julie Kerdellant gab es den lautesten Applaus. "Die Texte waren so verschieden wie nur möglich", sagte Rolf Thum von der Initiative Lesezeit. "Man hat gemerkt, dass es dem Publikum schwergefallen ist, einen Sieger zu bestimmen."

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